Nju-Jork. Drohnen spielen im Krieg eine wichtige Rolle. Doch leicht zu bekommen sind nur zivile Maschinen – mit großem Nachteil für die Piloten.
Die Männer schauen konzentriert auf die beiden großen Monitore, auf denen die Luftaufnahmen aus dem Frontgebiet zu sehen sind. Ein Dutzend Drohnenpiloten schickt gerade Bilder. Es sind Aufnahmen aus mehr als vierhundert Metern. Wer am Boden unterwegs ist, kann das Sirren der Maschinen nicht mehr hören. Plötzlich machen die Männer ein Ziel aus. Eine befestigte Stellung, aus der heraus ein russischer Maschinengewehrschütze auf die ukrainische Infanterie feuert.
Der stellvertretende Kommandeur greift zum Funkgerät, gibt die Koordinaten durch, erteilt den Feuerbefehl. Dann hievt ein Artillerist irgendwo in Nju-Jork ein Geschoss in einen Mörser. Nju-Jork, manchmal auch New York geschrieben – wie die US-amerikanische Metropole, ist eine Kleinstadt im Osten der Ukraine, im Donbass, dem industriellen Herzen des Landes.
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Deutsche Siedler haben sie im 19. Jahrhundert aufgebaut, der Name soll sich von der Gemeinde Jork bei Hamburg ableiten. Heute erinnert eine kleine Tafel am Kulturzentrum, einem zweigeschossigen braun-rötlichen Backsteingebäude, an die Gründer: Ein Aaron Thiessen soll das Haus einst als Kaufhaus errichtet haben. Die Fenster sind zersplittert, auf der verrammelten Eingangstür warnt eine Aufschrift vor Minen.
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Drohnen werden ukrainische Gegenoffensive entscheidend prägen
Geschützdonner und Explosionen unterbrechen immer wieder die geisterhafte Stille, die in der fast menschenleeren Stadt herrscht. Nju-Jork ist Frontzone, und das nicht erst seit Beginn der russischen Invasion im Februar vergangenen Jahres. Wenige Kilometer östlich liegt die Großstadt Horliwka, die 2016 größtenteils von prorussischen Separatisten besetzt wird. Immer wieder wird Nju Jork unter Feuer genommen, seit dem russischen Überfall ist der Beschuss deutlich intensiver geworden, berichten die wenigen Zivilisten, die sich noch in der Stadt aufhalten.
Am Wochenende starben zwei ältere Frauen, die vor einem Haus auf einer Bank saßen, als ein Geschoss einschlug. Die meisten der Menschen, die auf den Straßen zu sehen sind, tragen olivgrün. Es sind Soldaten der 24. mechanisierten Brigade, die hier stationiert ist, eine kriegserfahrene Einheit, die bei der Gegenoffensive zum Einsatz kommen wird. Drohnen sind aus dem Krieg in der Ukraine nicht mehr wegzudenken. Die Maschinen werden die bevorstehende Gegenoffensive entscheidend prägen.
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Noch ist es aber nicht so weit. „Unsere Aufgabe ist es derzeit, feindliche Vorstöße zu verhindern, den Feind aufzuhalten, so dass unsere Truppen an anderer Stelle vorrücken können“, sagt der Kommandeur des Bataillons, das seine Kommandozentrale im Keller eines Gehöfts in der Stadt eingerichtet hat. Der glatzköpfige Mann mit dem Funknamen Diesel trägt ein T-Shirt, es ist warm hier unten. Ein Heizstrahler soll verhindern, dass die empfindliche Elektronik durch Feuchtigkeit Schaden nimmt.
Zivile Drohnen werfen umgebaut bis zu 16 Kilogramm Sprengstoff ab
In dem muffigen Keller koordinieren Diesel und seine Männer die verschiedenen ukrainischen Einheiten, die in der Region kämpfen. Eine enorm wichtige Rolle spielen dabei Drohnen. Mit ihnen „hat sich unsere Arbeit dramatisch verändert“, sagt Kommandeur Diesel, „wir haben jetzt deutlich bessere Möglichkeiten, den Feind auszukundschaften und die Artillerie zu steuern“.
Im Krieg in der Ukraine trifft altes sowjetische Militärgerät auf Hightech. Russen wie Ukrainer nutzen Uralt-Waffen wie den T-72-Panzer genauso wie moderne Drohnen. In ukrainischen Städten schlagen immer wieder Kamikaze-Drohnen iranischer Bauart ein, die im Grunde nichts anderes sind als steuerbare Bomben. Ukrainische Drohnenpiloten üben mit mehr als 200 Kilometer schnellen FPV-Drohnen, die über Kopfbewegungen gesteuert werden können. Die Ukrainer haben gelernt, zu improvisieren.
Modifizierte zivile Drohnen klinken über Zielen bis zu 16 Kilogramm schwere Sprengsätze aus Aufhängungen aus, die mit 3D-Druckern produziert wurden. „Ukrainer haben die Eigenart, dass sie ganz unglaubliche Dinge mit gewöhnlichen Sachen machen können“, sagt Kommandeur Diesel und lacht. Seit dem russischen Überfall haben ukrainische Organisationen wie die Stiftung des Aktivisten Serhiy Prytula Tausende ziviler Drohnen für das Militär gekauft. Auch die 24. Brigade in Nju-Jork nutzt Drohnen, die eigentlich für zivile Zwecke hergestellt wurden.
Zivile Drohnen sind leicht zu bekommen – haben aber großen Nachteil
Nicht weit von der Kommandozentrale entfernt kämpfen sich in einem anderen Wohnhaus Männer müde aus ihren Feldbetten. Sie sind Drohnenpiloten, die Nachtschicht. Ihr Kommandant ist ein junger Mann mit dem Funknamen Maverick. „Wir arbeiten mit Mavic-Drohnen, die mit Wärmebild-Kameras ausgestattet sind. Wir sind nachts die Augen der Artillerie“, erzählt er. Die Drohne, die er und seine Leute nutzen, ist klein, im Durchmesser etwa so groß wie eine Langspielplatte.
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Das Problem ziviler Drohnen sei, dass sie relativ einfach von den feindlichen Kräften aufgespürt werden, nicht weit fliegen und mit Störsignalen zum Absturz gebracht werden könnten, erklärt er. Maverick und die anderen Piloten der Einheit müssen in nur wenigen Hundert Metern Abstand zum Feind operieren, was sie selbst zum Ziel von Angriffen macht. „Diese Drohnen sind eben nicht für den Krieg gemacht, aber wir kommen leichter an sie heran“, sagt er. Militärische Drohnen seien wesentlich resistenter gegen Störsignale, mit ihnen könnten die Aufklärer in viel größerer Entfernung zum Feind arbeiten. „Es würde uns sehr helfen, wenn wir mehr dieser Drohnen von unseren Freunden bekämen.“
Die Männer, für die Maverick Ziele identifiziert, haben in einem Gehöft etwas außerhalb Nju-Jorks Position bezogen. Unter einem Tarnnetz steht dort zwischen Bäumen ein großkalibriger Mörser. Der Kommandant der kleinen Einheit mit den Funknamen Fynn und seine Männer warten an diesem Nachmittag auf ihren Einsatz. Fynn sitzt im Wohnzimmer an einem Tisch mit Resopal-Platte, an einer Wand hängt ein Sturmgewehr, es gibt Tee aus Blechtassen und süße Kekse. „Die Drohnen sind sehr wichtig für unsere Arbeit“, sagt Fynn, „sie helfen uns, unsere Ziele zu finden und unser Feuer zu korrigieren.“ Früher hat das die Infanterie gemacht, aber die war durch die Landschaft oder die Distanz zum Feind limitiert.
Fünf Mörsergranaten für einen russischen Panzer – dann ist Schluss
Drohnen sind aber nicht nur eine Hilfe, sie sind auch eine Bedrohung. Die russischen Streitkräfte setzen ebenfalls massenhaft Drohnen zur Aufklärung ein, jeder Gang ins Freie ist riskant. „Natürlich machen wir uns darüber Gedanken, aber man kann ohnehin nicht vorhersagen, was passiert“, sagt Fynn schulterzuckend. Im vergangenen September wurden sie bei Cherson entdeckt, ein Panzer feuerte auf sie, sie hatten Verluste und mussten ihre Position fluchtartig verlassen.
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Kurze Zeit später kracht es draußen mehrfach laut. Ein feindlicher Panzer hat irgendetwas in Nju-Jork ins Ziel genommen. Erst ist der Einschlag zu hören, Sekunden später der Schuss. Die Männer in der Mörser-Stellung geben sich cool. Es ist nicht in ihre Richtung gegangen. Plötzlich knarzt das Funkgerät. Die Kommandozentrale meldet ein Ziel. Fynn setzt seine Männer in Marsch. Sie eilen nach draußen, machen die Mörsergranaten scharf, feuern. Nach jedem Schuss meldet sich die Zentrale bei Fynn und gibt Korrekturen durch. Nach dem fünften Schuss ist Schluss. Sie haben das Ziel getroffen.
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