Berlin. Ein Militärökonom und ein Geheimdienst zählen Putin an. Wer seine Verluste in der Ukraine addiert, kann nur zu einem Schluss kommen.
Die gängige Meinung zum Ukraine-Krieg ist, dass die ukrainische Offensive stecken geblieben ist und sich Stimmung und Kräfteverhältnisse drehen, gerade jetzt im Winter. Die Ukraine selbst sieht sich in die Defensive gedrängt. Warum hätte ihr Präsident Wolodymyr Selenskyj sonst erklärt, dass der Bau von Schutzräumen und Festungsanlagen Priorität habe?
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Man kann als Politiker und als General auf diesen Abnutzungskrieg schauen – und als Ökonom. So wie Marcus Keupp, Militärökonom an der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich.
Russlands unglaubliche Abnutzungsrate
Seit Monaten vertritt er die Minderheitenmeinung, dass Russland den Krieg strategisch verloren habe. In T-Online verglich er neulich die Situation mit der Lage 1944: Der Zweite Weltkrieg war für Nazi-Deutschland nicht mehr zu gewinnen, „aber die Kapitulation erfolgte erst im Mai 1945.“
Die Kernfrage ist, ob Kremlchef Wladimir Putin immerzu und schier unerschöpflich nachlegen kann: Menschen und Material, Soldaten und Waffen. Was die Truppen betrifft, hat er viele Vorteile: Mehr Einwohner als die Ukraine, diktatorische Vollmachten und die Skrupellosigkeit, immer mehr teils schlecht ausgebildete und oftmals schlecht ausgerüstete Soldaten in den sicheren Tod zu schicken.
Ökonom bezweifelt, dass Russland in die Offensive gehen kann
Aber bei der Kriegswirtschaft geht es nicht allein ums Durchhalten, sondern um die tatsächlich Möglichkeiten. Keupp vertraut den Angaben der schwedischen Verteidigungsagentur FOI und des International Institute for Strategic Studies, wonach Russland vor Kriegsausbruch auf rund 2.900 einsatzfähige Kampfpanzer zählen konnte. Nun gäbe es allerdings 2.400 bestätigte Abschüsse. „Bei der derzeitigen Abnutzungsrate von fünf Panzern täglich bleiben Putin noch rund 100 Tage, bis der Rest von 500 Kampfpanzern weg ist“, rechnete Keupp vor.
Im ZDF bezweifelte er, dass Russland im Moment noch die Möglichkeit habe, an der gesamten Front die Initiative zu gewinnen. Das Verhältnis zwischen Abschüssen und Neuproduktion sei unausgewogen. Russland zehre bis heute von seinen sowjetischen Reserven und müsse seit Monaten auf eingelagerte ältere Panzer zurückgreifen.
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Manche Experten können Keupps „Rechnung“ offenkundig nicht nachvollziehen, aber eine Institution schon: der US-Geheimdienst CIA. Der legte dem Kongress in Washington einen Bericht vor, wonach Russland unglaubliche 87 Prozent seiner aktiven Bodentruppen verloren habe, die es vor Beginn seiner Invasion in der Ukraine hatte; dazu zwei Drittel seiner Panzer vor der Invasion.
Wer zwingt wen in die Abnutzung?
CNN berichtete mit Verweis auf diese Quelle, dass etwa 2.200 von 3.500 Panzern verloren gegangen seinen, dazu 4.400 der 13.600 Schützenpanzer und Schützenpanzerwagen. Das entspreche einer Verlustrate von 32 Prozent. Diese Zahlen ähneln denen von Militärökonom Keupp.
Geheimdienste sind keine objektiven Quellen. Auch sie verfolgen Interessen und agieren politisch. Gerade ist Selenskyj in Washington, eine parlamentarische Mehrheit für weitere Waffenhilfe ist kein Selbstläufer mehr. Hat der Geheimdienst gerade die Zweifler im Auge? Sollen sie bewogen werden, noch einmal Milliardenhilfen für die Ukraine zu bewilligen?
Ist Putin ein Scheinriese?
Das ist gut möglich. Es ändert aber nichts an der Grundfrage: Wer zwingt wen in die Abnutzung? Wer kann mit seinem Industrie- und Technologiepotenzial länger durchhalten? Der US-Geheimdienst geht von der Annahm aus, dass Russland den militärischen Stillstand im Winter als Vorteil sieht und überdies einkalkuliert, dass die westliche Unterstützung für die Ukraine nachlassen wird. Auch der ukrainische Oberkommandierende Walerij Saluschnyj befüchtet, dass der Stellungskrieg eher Russland nützt.
Indes, die horrenden russischen Verluste und der anhaltende Mangel an ausgebildetem Personal, Munition und Ausrüstung sind ein Fakt. „Wir gehen davon aus, dass das russische Militär seit Beginn seiner Offensive im Oktober mehr als 13.000 Verluste entlang der Achse Awdijiwka-Nowopawliwka und über 220 Verluste an Kampffahrzeugen erlitten hat – das entspricht allein der Ausrüstung von sechs Manöverbataillonen“, sagte die Sprecherin des nationalen US-Sicherheitsrates, Adrienne Watson gegenüber CNN.
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Ist Putins Scheitern zwingend, also wirklich nur eine Frage der Mathematik, von Zeit und Ressourcen? Eine ökonomische Frage? Ist er Scheinriese? Längst treiben die hohen Verlustzahlen auch viele im Netz um.
Das eigentliche Problem der Russen ist für Keupp, dass es eben nicht nur um Fragen der militärischen Führung gehe. Sondern? Den russischen Generälen geh es darum, so Keupp in T-Online, „einem autokratischen Führer zu gefallen, dessen Ziele sich aber mit den derzeit zur Verfügung stehenden Mitteln nicht erreichen lassen.“ Demnach steht Putin gar nicht auf Kriegsfuß mit Adam Riese. Ihm wird der drohende militärische Bankrott schlicht verheimlicht. Und vielleicht will er davon auch nichts wissen.
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