Wiesbaden. Hessens Landeschef Boris Rhein will künftig mit der SPD regieren. Das ist keine gute Nachricht für die Grünen – auch nicht in Berlin.
So etwas nennt man wohl Blitzscheidung. Im nagelneuen Medienraum des Landtags beendete Hessens Ministerpräsident Boris Rhein ohne Schlips und auffallend gut gelaunt in wenigen Minuten die Ehe mit den Grünen, die in Wiesbaden immerhin zehn Jahre lang gehalten hat. Der Coup des strahlenden Wahlsiegers vom 8. Oktober 2023 hat das Land und auch die Bundespolitik überrascht und ebnet zum ersten Mal seit 70 Jahren einer schwarz-roten Koalition im Land den Weg. Allerdings wirft der Kurswechsel Fragen auf.
Warum trennt sich die CDU von den Grünen?
Boris Rhein sieht mit der SPD einen Partner, mit dem man besonders bei den Themen Migration und innere Sicherheit schneller Fortschritte machen kann. Man habe sich, sagt Rhein, die Frage gestellt: „Mit welchem Partner können wir mehr erreichen?“ Und da lagen nach Koalitionsgesprächen mit FDP, Grünen und SPD die Sozialdemokraten vorne.
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Und der Regierungschef machte auch unmissverständlich deutlich, warum die Grünen aus dem Rennen sind. „Die Menschen wollen nicht bevormundet werden“, sagte er. „Sie wollen entlastet und nicht belastet werden“. Rhein gab auch einen Ausblick darauf, was er sich für einen Koalitionsvertrag mit der SPD erwartet: „Ein Programm für Vernunft im Umgang mit der Migration. Besonnen, nie mit Schaum vorm Mund. Aber doch mit sehr klaren Entscheidungen und mit auch sehr klaren Weichenstellungen.“
Wie reagierten die Grünen?
Der langjährige Koalitionspartner wurde von der Entscheidung offenbar überrascht. So formulierte es jedenfalls Fraktionschef Mathias Wagner und räumte ein, dass man erst am Vormittag über den geplanten Koalitionswechsel informiert worden sei. Auch die Bundes-Grünen traf die Entscheidung völlig unvorbereitet. Grünen-Chef Omid Nouripour twitterte zornig: „Ein schlechter Tag für Hessen. Die Entscheidung der CDU ist nach zehn Jahren guter Zusammenarbeit völlig unverständlich“.
Nachdenklichere Töne kamen dagegen aus dem Nachbarland Baden-Württemberg, in dem die Grünen mit Winfried Kretschmann den Ministerpräsidenten stellen. Finanzminister Danyal Bayaz schrieb auf X: „Wir Grüne müssen uns schon auch selbstkritisch fragen, warum uns einstige Koalitionspartner nicht mehr als moderne Kraft der Veränderung, sondern offenbar mehr als eine Art der Belastung in schwierigen Zeiten wahrnehmen“.
Warum will die SPD Juniorpartner werden?
Die SPD bekommt trotz eines Wahldesasters, bei dem sie mit 15,1 Prozent das schlechteste Wahlergebnis ihrer Geschichte eingefahren hatte, jetzt Gestaltungsmacht, Ämter und mehr öffentliche Wahrnehmung. Alles eine gute Voraussetzung für den Versuch, den Höhenflug der CDU spätestens bei der nächsten Wahl 2027 zu stoppen. Historischer Wahlverlierer in der Opposition wäre die schlechteste Rolle für die Sozialdemokraten gewesen.
Die gescheiterte SPD-Spitzenkandidatin, Bundesinnenministerin Nancy Faeser, bleibt trotz der möglichen Regierungsbeteiligung der SPD in Hessen in der Bundesregierung. Faeser erklärte in Berlin: „Ich bleibe Bundesinnenministerin.“ Sie habe in Berlin eine wichtige Aufgabe, zudem gelte für sie: „Immer erst das Land, dann die Partei“. Was sie nicht sagte: Das Amt als Ministerin ist viel mächtiger und attraktiver als zweite Geige in Hessen zu spielen. Faeser riet den Genossen ausdrücklich, Koalitionsgespräche mit der CDU zu empfehlen.
Was bedeutet der Grünen-Rauswurf bundespolitisch?
Die Absage an die Grünen wird die Erwartungshaltung in der Hauptstadt vergrößern, dass auch Olaf Scholz den Partner in der Bundesregierung vor die Tür setzen könnte. Allerdings müsste der Bundeskanzler dann die CDU als Juniorpartner an Bord holen – und da hat der Parteivorsitzende Friedrich Merz mit der Absage für weitere Gespräche über einen „Deutschlandpakt“ die Tür zu Scholz eben erst zugeknallt.
Mit der Abfuhr für die Grünen geht Boris Rhein aber deutlich auf Merz-Kurs, der die Umweltpartei als „Hauptgegner“ identifiziert hatte. Damit stärkt Rhein den CDU-Chef bei dem Versuch, nach der Kanzlerkandidatur zu greifen. Merz-Konkurrent Hendrik Wüst regiert in Düsseldorf weiter mit den Grünen und kommt nach dem spektakulären Kursschwenk jetzt innerparteilich leichter in Argumentationsnöte.
Der CDU-Chef selbst ist mit dem Schwenk der Parteifreunde in Hessen zufrieden und stichelt weiter gegen die Öko-Partei: „Die Grünen müssen für die Zukunft an ihrer Kompromissfähigkeit arbeiten und ihre Politik an der Realität und nicht an ihren Ideologien ausrichten“, sagte er der „FAZ“.
Was ist mit der FDP?
Die Liberalen hatten es im Oktober mit 5,0 Prozent um Haaresbreite in den Landtag geschafft. Boris Rhein hatte danach auch mit der FDP Koalitionsverhandlungen geführt, allerdings benötigt er wegen seines starken Abschneidens mit 34,6 Prozent die FDP nicht, wenn die SPD in die Regierung eintritt.
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