Berlin. Sahra Wagenknecht verlässt die Linke und gründet ihre eigene Partei. Die Folgen sind absehbar. Worauf sich das Land einstellen muss.
Es gibt Sätze, die jeder unterschreiben kann, der die Politik im Herbst 2023 beobachtet. Dieser Satz von Sahra Wagenknecht ist so einer: „Wenn es so weiter geht, werden wir unser Land in zehn Jahren nicht wiedererkennen.“ Wagenknecht hat in vielem Unrecht – in diesem Fall aber hat sie recht. Die AfD schwingt sich zu einer neuen Volkspartei auf, die Skepsis gegenüber der Demokratie ist groß. Viele fühlen sich von den etablierten Parteien nicht mehr vertreten, die Ampel-Regierung ist so unbeliebt wie nie zuvor.
Wir werden unser Land in zehn Jahren nicht wiedererkennen: In diesem Satz steckt auch deshalb viel Richtiges, weil Wagenknecht selbst auch dafür sorgen wird, dass es so kommt. Mit der Parteigründung stoppt sie diesen Prozess nicht – sie beschleunigt ihn. Kommt es, wie die ersten Umfragen erwarten lassen, wird die Wagenknecht-Partei das Parteienspektrum neu mischen, den Druck auf die Parteien der Mitte weiter erhöhen und populistische Debatten befeuern.
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Wagenknecht will mit ihrer Partei nach eigenen Worten eine seriöse Adresse sein für Menschen, die aus Wut AfD wählen. Ihr Angebot ist die typische Wagenknecht-Mischung, das Rezept, mit dem sie seit Jahren weit oben auf der Beliebtheitsskala für Spitzenpolitiker landet: Sie will Menschen erreichen, die Angst vor Armut und unkontrollierter Migration haben. Sie will Wähler an sich binden, die das Gefühl haben, ihre Meinung nicht mehr frei äußern zu können. Und sie will denen eine Stimme geben, die internationalen Konflikten auf nicht-militärische Mittel setzen. Wagenknecht spricht nicht ohne Grund von der Rückkehr zur „Entspannungspolitik“ – dem Wahlkampfschlager der SPD aus den goldenen Zeiten der deutschen Sozialdemokratie.
Die AfD wird auf die neue Konkurrenz reagieren, wie sie immer reagiert
Ein bisschen guter alter Pazifismus, ein bisschen aufgestauter Migrationsfrust, ein Schuss Abstiegsangst – fertig ist der Cocktail, mit dem Protestwähler, Nichtwähler und frustrierte Anhänger von Linken und AfD angelockt werden sollen. Sollte sich das Bündnis auf dem Weg zur Parteigründung nicht hoffnungslos zerlegen, sollte Wagenknecht bei den Wahlen zum Europaparlament und in drei ostdeutschen Bundesländern im kommenden Jahr also tatsächlich antreten – dann wird das nicht nur Auswirkungen auf die Wahlergebnisse aller Parteien haben. Es wird vor allem Folgen für künftige Koalitionen nach sich ziehen.
Die Union hat eine Zusammenarbeit mit der AfD und der Linken ausgeschlossen. Sie wird sich jetzt fragen müssen, ob das auch für die Wagenknecht-Partei gilt. Der erste Reflex dürfte ein klares Ja zur Unvereinbarkeit sein. Ob das aber klug wäre? Um stabile Regierungskoalitionen nach den Wahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg zu bilden, wäre es töricht, als Erstes wieder eine Brandmauer zu errichten.
Die AfD dagegen wird auf die neue Konkurrenz reagieren, wie sie immer reagiert, wenn ihr andere Parteien inhaltlich auf die Pelle rücken: Sie wird mit großer Sicherheit noch weiter nach rechts rücken. Ob ihr das hilft oder schadet, muss sich zeigen. Eines aber ist leider so gut wie sicher: Wenn die AfD die Wagenknecht-Leute überbrüllen will, erhöht sich insgesamt die Lautstärke. Leise Töne, Zwischentöne werden noch schwerer durchdringen als jetzt schon. Und man kann nur hoffen, dass tonangebende Mitte-Politiker wie CDU-Chef Friedrich Merz die Gefahr erkennen – und das populistische Hupkonzert nicht auch noch befeuern. Sonst werden wir unser Land in zehn Jahren wirklich nicht wiedererkennen.
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