Berlin. Eine mögliche Parteigründung von Sahra Wagenknecht bedroht die Linke. Aber auch eine andere Partei könnte das Projekt hart treffen.
Ein Gespenst geht um in der Linkspartei. Das Gespenst einer Sahra-Wagenknecht-Partei. Die prominenteste Politikerin der Linken hat sich mit der Parteispitze heillos zerstritten. Wagenknecht kokettiert mit der Möglichkeit, eine neue Partei zu gründen. „Ich würde mich freuen, wenn all den Wählern, die sich zurzeit durch keine Partei mehr wirklich vertreten fühlen, bald wieder ein seriöses politisches Angebot zur Verfügung steht“, sagte die 54-Jährige kürzlich. „Ich denke, viele wünschen sich eine Partei, die für wirtschaftliche Vernunft, soziale Gerechtigkeit, Frieden und Freiheit steht.“
Die Linke, macht Wagenknecht mit solchen Aussagen deutlich, ist eine solche Partei aus ihrer Sicht nicht. Dass sie nicht mehr für die Linke kandidieren will, hat Wagenknecht bereits angekündigt. Unter den Genossen findet sie Unterstützung für weitere Schritte. „Wenn mit Sahra Wagenknecht eine neue linke Partei entsteht, werden sich ihr sicher viele Mitglieder und Mandatsträger anschließen“, erwartet der frühere Linken-Vorsitzende Klaus Ernst. Auch er könne sich gut vorstellen, mitzugehen.
Gregor Gysi: Folgen einer Wagenknecht-Neugründung „verheerend“
Die Aussicht auf eine Spaltung der Linken beunruhigt viele in der Partei, die im letzten Deutschlandtrend nur noch bei vier Prozent lag. Unter dem Titel „Ist die Linke noch zu retten?“ diskutierten prominente Vertreter wie der Fraktionsvorsitzende Dietmar Bartsch und Ex-Parteichef Gregor Gysi vor knapp zwei Wochen über den Zustand ihrer Partei. Dabei ging es viel um Wagenknecht und das Gespenst einer Neugründung.
Eine „Abspaltung“ sei „verheerend“, warnte Bartsch, der einst gemeinsam mit Wagenknecht die Bundestagsfraktion führte. „Wir befinden uns in einer existenziellen Krise“, attestierte auch Gysi. Mit Blick auf Wagenknecht fügte das Parteiurgestein hinzu: „Ich bin strikt dagegen, dass sie eine neue Partei gründet, weil das verheerende Folgen hätte.“
Umfrage: Jeder Fünfte kann sich Wahl einer Wagenknecht-Partei vorstellen
Bei den Wählerinnen und Wählern trifft die als Buchautorin erfolgreiche Politikerin einen Nerv. Auf die Frage „Wenn am kommenden Sonntag Landtagswahl in Thüringen wäre und es eine ‘Wagenknecht-Partei’ gäbe, wie würden Sie dann wählen?“, entschieden sich 25 Prozent für diese neue Partei, sie wäre damit auf Anhieb stärkste Kraft in dem Bundesland. Stimmen kosten würde das demnach vor allem die AfD. In Thüringen finden im kommenden Jahr Landtagswahlen statt. Auch bundesweit ist das Interesse an einer möglichen Wagenknecht-Partei groß.
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Das Meinungsforschungsinstitut Civey hat für diese Redaktion in einer repräsentativen Online-Erhebung Wahlberechtigte gefragt, ob sie sich grundsätzlich vorstellen könnten, eine von Sahra Wagenknecht gegründete neue Partei zu wählen. Das Ergebnis: Ein Fünftel (20 Prozent) der Bundesbürger bejahte die Frage, elf Prozent sind unentschieden, 69 Prozent können sich das nicht vorstellen. Besonders Anhänger der AfD (44 Prozent) und der Linken (41 Prozent) fühlen sich angesprochen.
Protest? Sympathie? Deswegen findet Neugründung Zuspruch
Wohlgemerkt: Da es die Partei bisher nicht gibt, sind die Werte nicht mit Wahlergebnissen gleichzusetzen. Auch wurde nicht die Sonntagsfrage gestellt, bei der die Befragten angeben, welche Partei sie wählen würden, wenn am nächsten Sonntag ein Urnengang anstünde. Die Umfrage zeigt jedoch wie bereits frühere Erhebungen das mögliche Potenzial eine Wagenknecht-Partei.
Neben der Linken dürfte vor allem die AfD aufmerksam beobachten, was Wagenknecht plant. In Zeiten, in denen die Regierung an Vertrauen verliert, die Koalitionsparteien an Ansehen einbüßen, die Union davon aber nicht profitiert, demonstrieren der Höhenflug der AfD und der Zuspruch für eine potenzielle Wagenknecht-Partei außerdem, wie sehr die politische Mitte unter Druck gerät.
Von den Befragten, die sich vorstellen können, ihre Stimme einer neuen Wagenknecht-Partei zu geben, nannten 29 Prozent zur Begründung Protest gegen die etablierten Parteien, 46 Prozent gaben Sympathie für die Politikerin an. Zwei Drittel (65 Prozent) entschieden sich unter den vorgegebenen Optionen für die Antwort, dass die aktuell wählbaren Parteien sie nicht überzeugten. 68 Prozent wählten Unzufriedenheit mit der aktuellen Politik als Grund. Knapp drei Viertel (73 Prozent) gaben an, sich wegen der aktuellen Standpunkte Wagenknechts die Wahl einer von ihr gegründeten Partei vorstellen zu können.
Sahra Wagenknecht scheiterte mit Projekt „Aufstehen“
Was sind die Standpunkte von Wagenknecht? Die Ehefrau des früheren SPD-Chefs und Ex-Linken-Vorsitzenden Oskar Lafontaine (inzwischen selbst aus der Partei ausgetreten) stand lange für den kommunistischen Flügel der Partei. In Talkshows war die in der DDR geborene Tochter einer Deutschen und eines Iraners Dauergast, wurde so zum bekanntesten Gesicht der Linken, obwohl sie sich immer wieder entgegen der offiziellen Linie der Partei äußerte. Gemeinsam mit Lafontaine unternahm sie 2018 den Versuch, eine überparteiliche linke Sammlungsbewegung mit dem Namen „Aufstehen“ zu einer neuen politischen Kraft zu machen. Das Projekt scheiterte.
Wagenknechts Positionen sind sozialpolitisch links, in der Migrationspolitik hingegen konservativ. Die Frage, ob das Limit für Zuwanderung nach Deutschland erreicht sei, bejaht Wagenknecht. Die Linken-Spitze grenzt sich davon ab und will die Flüchtlingsaktivistin Carola Rackete für die Europawahl 2024 aufstellen. Rackete wurde als Kapitänin eines Schiffs bekannt, das Flüchtlinge im Mittelmeer aus Seenot rettete.
Das sind Wagenknechts Standpunkte
Danach gefragt, was sie AfD-Wählern biete, nannte Wagenknecht vor Kurzem in der „Südwest Presse“ Themen, die von der AfD kaum adressiert würden: Altersarmut, die Höhe des Mindestlohns, die Kindergrundsicherung und Niedriglöhne. In dem Interview versprach sie zudem „Auflehnung gegen einen übergriffigen, bevormundenden Staat, der seinen Bürgern vorschreiben will, wie sie zu reden, zu denken, was sie zu essen und jetzt sogar noch, wie sie zu heizen haben“.
Wagenknecht mahnt, dass die Industrie nicht durch hohe Energiekosten ins Ausland vertrieben werden dürfe, und verlangt, trotz des russischen Angriffs auf die Ukraine wieder Gas aus Russland zu importieren. Die Sanktionen gegen Russland will Wagenknecht beenden. Für Aufsehen sorgte das gemeinsam mit Alice Schwarzer verfasste „Manifest für Frieden“, in dem sie im Februar sofortige Friedensverhandlungen forderte. Dafür erntete Wagenknecht Zuspruch der AfD-Spitze. „Die Theorie des politischen Hufeisens besagt, dass sich in ihren Extremen rechte und linke Positionen immer ähnlicher werden“, kommentierte Justizminister Marco Buschmann (FDP) daraufhin.
„Noch in diesem Jahr“ will Wagenknecht über Neugründung entscheiden
Der Linken-Spitze reicht es mit Wagenknecht. „Die Zukunft der Linken ist eine Zukunft ohne Sahra Wagenknecht“, beschloss der Parteivorstand im Juni. Die Querulantin und ihre Unterstützer wurden aufgefordert, ihre Mandate zurückzugeben. „Den Machtkampf in der Linken habe ich verloren“, stellte Wagenknecht nüchtern fest. Allerdings ist ihr bewusst, dass eine neue Partei auch „Verrückte, Spinner oder Rechtsextreme“ anziehen könne. Ob sie den Schritt wagt, will Wagenknecht „noch in diesem Jahr“ entscheiden.
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