Berlin. Viele Araber seien auf die „Hamas-Propaganda hereingefallen“, sagt der Militärexperte Carlo Masala. Wo er Eskalationsgefahren sieht.

Nach Ansicht des Militärexperten Carlo Masala steckt hinter der Explosion in Gaza eine „fehlgeleitete Rakete“ der Palästinenser. Die Gefahr einer Eskalation hänge vom Vorgehen Israels und der Reaktion „anderer Akteure“ ab, sagt der Politik-Professor der Universität der Bundeswehr München.

Der Raketeneinschlag in einem Krankenhaus in Gaza hat weltweit für Erschütterung gesorgt. Haben Sie eine Einschätzung, wer die Rakete abgeschossen hat?

Carlo Masala: Nach den Bildern, wie wir jetzt kennen, hat es keinen Raketeneinschlag in einem Krankenhaus gegeben. Der Einschlag fand vielmehr auf einem Parkplatz hinten dem Krankenhaus statt. Als Konsequenz dessen wurden auch die Fensterscheiben der Klinik beschädigt. Deshalb ist es auch unwahrscheinlich, dass es rund 500 Tote gegeben hat, wie es zunächst hieß. Wie viele Menschen insgesamt getötet wurden, kann man jetzt definitiv nicht sagen. Wenn man sich die Bilder über den Einschlag und die Explosion betrachtet, spricht vieles dafür, dass es sich nicht um einen Bombenabwurf gehandelt hat. Es ist wohl eher eine Rakete, bei der sehr viel Kerosin ausgetreten ist. Dies stützt die These, dass es sich um eine fehlgeleitete Rakete gehandelt hat, die von Palästinensern abgefeuert wurde.

Mehr zum Thema: Krankenhaus in Gaza getroffen – was bisher bekannt ist

In der arabischen Welt gibt es heftige anti-israelische Reaktionen. Befürchten Sie einen Flächenbrand und eine Eskalation des Konflikts?

Masala: Die arabische Straße hat heftig reagiert, weil viele auf die Hamas-Propaganda hereingefallen sind. Die erste Meldung nach dem Raketeneinschlag kam aus dem Gazastreifen, der von der Hamas kontrolliert wird. Jetzt glätten sich die Wogen. Nun sagen selbst Quellen aus dem Gazastreifen, die keine Pro-Hamas-Quellen sind, dass das Ganze komplizierter ist und nicht auf einem israelischen Bombardement beruht. Eine Eskalation wird es nicht aufgrund dieses Raketeneinschlags geben. Aber die Gefahr einer Eskalation besteht in dieser Region. Sie hängt sehr stark davon ab, wie Israel vorgehen wird und welche strategischen Gelegenheiten andere Akteure erachten, um möglicherweise eine zweite Front zu eröffnen.

Carlo Masala ist Professor für internationale Politik an der Universität der Bundeswehr München.
Carlo Masala ist Professor für internationale Politik an der Universität der Bundeswehr München. © IMAGO/Frank Peter | imago stock

Israels Armeesprecher Richard Hecht sagt: „Alle sprechen von einer Bodenoffensive, aber es könnte auch etwas anderes sein.“ Findet der Einmarsch in den Gazastreifen am Ende gar nicht statt?

Masala: Es ist schwer vorstellbar, dass es keine Bodenoffensive gibt. Es wurde von Israel ein klares politisches und militärisches Ziel ausgegeben: die Zerschlagung der Hamas. Das kann nicht ohne eine Bodenoffensive erreicht werden.

Was ist das beste Mittel zur Geiselbefreiung: Militäreinsatz oder Verhandlungen mit der Hamas durch Drittstaaten wie Katar?

Masala: Es gibt zwei Mittel zur Geiselbefreiung: durch Spezialkräfte und durch Verhandlungen. Wenn Letzteres gelingt, ist das natürlich die bessere Option. Wir wissen aus der Vergangenheit, dass die Hamas über Geiselbefreiung monatelang verhandelt. Im Falle des entführten israelischen Soldaten Gilad Shalit waren es sogar Jahre.

Die Aufmerksamkeit der ganzen Welt richtet sich derzeit auf den Nahen Osten. Besteht die Gefahr, dass die Hilfe des Westens für die nachlässt?

Masala: Zumindest besteht die Gefahr, dass die Aufmerksamkeit für den russischen Aggressionskrieg nachlässt, weil alle Welt auf den Gazastreifen schaut. Es ist aber momentan nicht abzusehen, dass der Westen der Ukraine weniger Militärhilfe leistet. Das Ganze hängt sehr stark davon ab, wie sich der Konflikt im Gazastreifen entwickeln wird.

Die Amerikaner haben die ersten Marschflugköper vom Typ ATACMS an die Ukraine geliefert. Wie wird sich das auf den Krieg auswirken?

Masala: Wie sich Waffen auf den Krieg auswirken, hängt davon ab, wie sie eingesetzt werden. Aber wir haben bereits gesehen: Beim Einsatz der ATACMS gegen russische Flughäfen ist ein Großteil der dort stationierten russischen Luftwaffe zerstört worden. Allerdings handelt es sich um einen heruntergedimmten Marschflugkörper: Er hat eine Reichweite von 165 und nicht 300 Kilometern. Außerdem verfügt er nicht über ein GPS-System. Er kann daher auch nicht „gejammt“, also durch elektronische Funksignale gestört werden. Die Ukraine hat jedoch nun eine Anzahl von Waffen in der Hand, mit denen sie russische Kommandozentralen und Logistik hinter den russischen Verteidigungslinien zerstören kann.