Jerusalem/Gaza. Kein Strom, keine Nahrung, kein Treibstoff: Israel schneidet Gaza von der Versorgung ab. Ziel ist ein Machtwechsel in der Region.
Eine „komplette Blockade“ des Gazastreifens hat Israels Verteidigungsminister Joav Gallant verordnet. Nach Gallants Ansicht reicht nach dem brutalen Überfall der Hamas auf den Süden Israels nicht, die Hamas im Gazastreifen bloß aus der Luft und vom Meer aus anzugreifen. Man müsse auch die Versorgung abwürgen. „Es wird keinen Strom geben, keine Nahrung, keinen Treibstoff – alles ist abgedreht“, verkündete Gallant. „Es sind menschliche Tiere, gegen die wir kämpfen – und genauso behandeln wir sie.“
Die Blockade trifft allerdings nicht nur die Terroristen der Hamas, sondern alle 2,3 Millionen Menschen im Gazastreifen. Bereits seit Samstag ist die Stromversorgung in den Gazastreifen unterbrochen, Krankenhäuser müssen vielfach auf Generatoren zurückgreifen. Da die Treibstoffe knapp werden, könnten manche Spitäler in wenigen Tagen ohne Strom auskommen müssen, meldet die Weltgesundheitsorganisation (WHO). Auch dringend benötigte Versorgung mit medizinischem Bedarf ist stark eingeschränkt, weil alle Grenzübergänge zu Israel – und damit auch die Transportwege ins Westjordanland – geschlossen sind. Trinkwasser ist im Gazastreifen immer knapp, nun verschärft sich die Lage, weil die Aufbereitungsanlagen ohne Strom nicht arbeiten können.
113.000 Haushalte sind abhängig von UN-Nahrungspaketen, die jetzt ausbleiben
Je länger der Krieg andauert, desto mehr Menschen werden akutem Hunger ausgeliefert sein. 113.000 Haushalte im Gazastreifen sind von UN-Nahrungspaketen abhängig. Sie sind wegen der Kriegshandlungen nun eingestellt. Da zudem kein Viehfutter ins Land kommt, werden auch Nutztiere langsam verhungern, was wiederum die Eiweißversorgung aller Menschen in Gaza schwer trifft. Bauern können Felder nicht versorgen, Fischer dürfen wegen der Seeblockade ihrem Beruf nicht nachgehen. Auch das wird viele Familien langfristig schwächen.
Schon bevor die Blockade verhängt wurde, schlugen Hilfsorganisationen Alarm. Bis Montagabend gab es in Gaza nach UN-Angaben bereits 188.000 Vertriebene, die wegen der israelischen Vergeltungsschläge ihre Wohnungen vorübergehend oder für immer verloren haben oder wegen der exponierten Lage in beschossenem Gebiet Angst haben, dass sie getroffen werden. Mindestens 600 Menschen sind ums Leben gekommen, mehr als 2000 Menschen sind verwundet. Die Anzahl der Toten wird auch infolge der unzureichenden medizinischen Versorgung weiter steigen.
Am schlimmsten wiegt aber die Angst der Menschen, die unter ständigem Beschuss stehen, sich aber nicht in Schutz bringen können. Es fehlt an Luftschutzräumen, die Menschen haben aber auch keine Möglichkeit, Gaza zu verlassen. Da die Stromversorgung aus Israel unterbrochen ist und alle Haushalte von einem einzigen Elektrizitätskraftwerk in Gaza abhängig sind, gibt es nur drei bis vier Stunden Strom am Tag.
Über Nacht wurden 200 Ziele in Gaza durch Luftschläge getroffen
Indes setzen sich die Luftschläge der israelischen Streitkräfte fort. Über Nacht seien 200 Ziele in Gaza getroffen worden, erklärte das Militär am Dienstag. Die israelischen Luftschläge sind eine Antwort auf den Raketenbeschuss seitens der Terrorgruppen im Gazastreifen. Am Montag hatte es fast ununterbrochen in verschiedenen Teilen Israels Alarm gegeben, auch in Jerusalem.
Ein Ende des Kriegs ist nicht in Sicht, im Gegenteil. Die israelischen Streitkräfte haben Panzer und Drohnen entlang der Gaza-Grenze positioniert, 300.000 Reservisten wurden mobilisiert. Gemessen an den 9,7 Millionen Einwohnern Israels ist es eine gigantische Mobilisierung binnen kurzer Zeit.
Israels Armee hat angekündigt, dass es nun nicht mehr nur darum geht, die Hamas militärisch in die Knie zu zwingen. Am Ende der Operation soll Gaza aus den Händen der Hamas befreit werden, erklärte ein Armeesprecher. „Das Gesicht des Nahen Ostens wird sich ändern“, erklärte Premierminister Netanjahu. Es geht Israel also nun auch darum, einen Führungswechsel im Gazastreifen zu bewirken. Die letzten Wahlen im Gazastreifen wurden 2006 abgehalten, die Hamas hat die Macht und übt sie repressiv aus. Die überwiegende Mehrheit der Menschen in dem abgeriegelten Landstreifen hat nie etwas anderes kennengelernt als das Regime der islamistischen Terrorgruppe, die Alkohol und Vergnügungsinfrastruktur verbietet und Frauenrechte massiv beschneidet.
Wer nach der Hamas in Gaza regieren könnte, ist unklar
Wer nach der Hamas regieren könnte, ist völlig unklar. In den vergangenen Jahren wurde sie in Israel von vielen als das kleinere Übel betrachtet, im Vergleich zur kleineren Terrorgruppe Palästinensischer Islamischer Dschihad (PIJ), die vor allem im Süden des Gazastreifens zunehmend junge Männer rekrutiert. Die Ansicht, dass man die Hamas als Nachbar tolerieren könne, hat sich mit dem barbarischen Überfall auf Israel endgültig gewandelt.
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