Berlin. Können sich Migranten auf Staatskosten die Zähne sanieren lassen und deutschen Patienten die Arzttermine wegnehmen? Ein Faktencheck.
Noch neun Tage sind es bis zu den Landtagswahlen in Hessen und Bayern. Das dominierende Thema vor den Abstimmungen: Flucht und Migration. Wie angespannt die Debatte ist, war am Donnerstag zu beobachten. Mit einer Äußerung zu Zahnbehandlungen für Geflüchtete löste Friedrich Merz eine bundesweite Debatte aus. Denn diese zahnärztlichen Leistungen sieht der CDU-Chef als einen Grund dafür, dass so viele Menschen nach Deutschland kommen.
In einer Fernseh-Talkrunde sagte er, die Regierung müsse sich endlich um die so genannten Pull-Faktoren kümmern – also jene Faktoren, die Asylbewerber angeblich dazu bewegen, nach Deutschland zu kommen. Dazu zählten auch medizinische Leistungen. Merz sagte: „Die werden doch wahnsinnig, die Leute, wenn die sehen, dass 300.000 Asylbewerber abgelehnt sind, nicht ausreisen, die vollen Leistungen bekommen, die volle Heilfürsorge bekommen. Die sitzen beim Arzt und lassen sich die Zähne neu machen, und die deutschen Bürger nebendran kriegen keine Termine.“
In Richtung der Chefs von SPD und Grünen, Lars Klingbeil und Omid Nouripour, die ebenfalls im TV-Studio saßen, sagte Merz überdies: „Was Sie hier machen, ist eine Katastrophe für dieses Land.“
Die Äußerungen des Oppositionsführers schlugen am Donnerstag im politischen Berlin hohe Wellen. Unterzieht man sie einem Faktencheck, fällt der allerdings ziemlich schlecht aus für den CDU-Chef.
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Für Asylbewerber ist die medizinische Versorgung zunächst auf ein Minimum beschränkt
Zunächst einmal: Solange Flüchtlinge keinen anerkannten Schutzstatus haben oder sie sich seit weniger als 18 Monaten im Land aufhalten, ist ihre medizinische Versorgung auf ein Minimum beschränkt. Zum Stichtag 30. Juni waren rund 280.000 Menschen in Deutschland ausreisepflichtig, bei ungefähr der Hälfte von ihnen handelte es sich um abgelehnte Asylbewerber. Geregelt ist die Gesundheitsversorgung für Asylsuchende und Menschen mit Duldung im Asylbewerberleistungsgesetz. Dort heißt es in Paragraf 4, dass die Behandlung „akuter Erkrankungen und Schmerzzustände“ zu gewährleisten sei. Außerdem ist dort zu lesen: „Eine Versorgung mit Zahnersatz erfolgt nur, soweit dies im Einzelfall aus medizinischen Gründen unaufschiebbar ist.“
Der Präsident der Bundeszahnärztekammer, Christoph Benz, sagte am Donnerstag unserer Redaktion: „Das ist das, was man Menschen aus ethischen Gründen nicht verweigern kann.“ Er ergänzte: „Für kosmetischen Zahnersatz gibt es da keine Indikation.“ Benz sagte weiter, Termin-Engpässe durch Asylbewerber, egal ob anerkannt oder abgelehnt, sehe er nicht. Das Zahnarztwesen habe ebenso wie der gesamte medizinische Bereich ein Personalproblem. Es gebe auch viel zu wenig Zahnärztinnen und -ärzte, die auf dem Land tätig sein wollen. Doch Wartezeiten wegen geflüchteten Menschen seien kein Problem. „Friedrich Merz hat vor dieser Äußerung nicht mit uns gesprochen“, sagte Benz. „Das wäre aber besser gewesen.“
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Wenn Flüchtlingen ein Schutzstatus zuerkannt wird oder sie sich seit mehr als 18 Monaten in Deutschland aufhalten, ändert sich allerdings einiges in Bezug auf ihre Gesundheitsversorgung. Sie können dann eine elektronische Gesundheitskarte bekommen. Damit haben sie Zugang zu vergleichbaren Leistungen wie regulär gesetzliche Versicherte in Deutschland. Für die Kosten kommt aber weiter die öffentliche Hand auf. Mit diesem System sollen auch die örtlichen Behörden entlastet werden. Denn diese müssen zunächst jeder ärztlichen Behandlung zustimmen – was erhebliche Kapazitäten in den Verwaltungen bindet.
Olaf Scholz spricht von heißer Luft und Populismus
Doch selbst wenn Migranten über eine Gesundheitskarte verfügen, können sie sich nicht ohne Weiteres auf Staatskosten die Zähne sanieren lassen, wie Merz in seinem Fernsehauftritt suggerierte. Den Flüchtlingen geht es dann nämlich nicht besser als gesetzlich Versicherten: Die Krankenkassen übernehmen für einfache Brücken, Kronen oder Prothesen üblicherweise nur 60 Prozent der Kosten. Den Rest muss der Patient zuzahlen – es sei denn, er hat eine private Zahnzusatzversicherung abgeschlossen. Nur bei Härtefällen wird auf die Zuzahlung verzichtet.
Für seine Äußerungen erntete der CDU-Chef am Donnerstag massive Kritik. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) schrieb auf der Plattform X (ehemals Twitter): „Mein klares Ziel sind Lösungen, die unser Land voranbringen – am besten gelingt das gemeinsam. Mit heißer Luft und Populismus wird nur die Stimmung im Land aufgeheizt.“ Seinen Widersacher Merz erwähnte der Kanzler dabei allerdings nicht direkt.
Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) warf Merz „erbärmlichen Populismus auf dem Rücken der Schwächsten“ vor, der sozialdemokratische Gesundheitsminister Karl Lauterbach sah „Hetze gegen Ausländer“. Er gab zu bedenken: „Im Übrigen werden wir extrem auf Migranten als Ärzte angewiesen sein.“
Heftige Kritik kam auch von der Organisation Pro Asyl. Deren flüchtlingspolitischer Sprecher Tareq Alaows sagte unserer Redaktion, die Vorstellung, dass teilweise vom Staat gezahlte Zahnersatzleistungen Menschen zur Flucht bewegen könnten, sei absurd. „Menschen fliehen vor Krisen und vor Kriegen“, sagt er. „Das bewegt sie, sich auf den Weg zu machen, nicht Zahnarzttermine in Deutschland.“ Er sei 2015 aus Syrien nach Deutschland geflüchtet, weil sein Leben in Gefahr gewesen sei. „Da denkt man nicht an Gesundheitsleistungen, und auch nicht an Bürgergeld. Das ist viel existenzieller.“
Es ist nicht das erste Mal, dass Merz Kopfschütteln auslöst
Auch die Präsidentin des Sozialverbands VdK, Verena Bentele, schaltete sich in die Debatte ein. Sie sagte unserer Redaktion: „Das Problem, einen Arzttermin zu bekommen, liegt nicht an der Anwesenheit der Asylbewerber, sondern an der Ungerechtigkeit des Zwei-Klassen-Systems im Gesundheitswesen. Privat Versicherte erhalten sofort einen Termin beim Facharzt, während gesetzlich Versicherte monatelang warten müssen.“
Parteikollegen sprangen CDU-Chef Merz hingegen bei und verteidigten seine Äußerungen. Der Gesundheitspolitiker Tino Sorge etwa meinte: „Dass Arzttermine auch wegen der Belastung durch Migranten vielerorts knapper werden, ist eine Realität.“
Für den Parteivorsitzenden ist es indes nicht das erste Mal, dass er mit Äußerungen Kopfschütteln und Empörung auslöst. Vor wenigen Wochen erst rätselten Beobachter, was genau er gemeint haben könnte, als er sagte, Berlin-Kreuzberg – im Herzen der deutschen Hauptstadt gelegen – sei nicht Deutschland. Im Sommer musste die CDU hektisch Äußerungen ihres Vorsitzenden klarstellen, die danach klangen, als habe der kein Problem mit einer Öffnung zur AfD auf kommunaler Ebene. Im Januar wiederum hatte Merz arabischstämmige Schüler als „kleine Paschas“ bezeichnet. Im Herbst davor musste er zurückrudern, nachdem er Geflüchteten aus der Ukraine „Sozialtourismus“ vorgeworfen hatte.
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