Berlin. Schuluniform im ganzen Land: Was Frankreich testet, geht Lehrern und Eltern in Deutschland zu weit. Empfehlungen gibt es trotzdem.

Nicht zu freizügig, nicht zu teuer, nicht zu gammelig: Geht es um die Kleidung von Schülerinnen und Schülern, kochen schnell die Emotionen hoch. In Frankreich etwa ist nach dem Verbot der Abaya – ein Überkleid, das traditionell in arabischen Ländern getragen wird – der Streit um die richtige Kleidung an Schulen entbrannt. Nun spricht sich der französische Präsident Emmanuel Macron für eine einheitliche Kleidung an den Schulen aus. Wäre eine Einheitskleidung auch in Deutschland möglich? Immerhin empfiehlt der Bundeselternrat den Schulen, einen Konsens über angemessene Kleidung herzustellen. Was spricht für einheitliche Kleidung, was dagegen? Was fordern Lehrer und Eltern? Fragen und Antworten zum Thema.

Was genau ist in Frankreich geplant?

Seit Beginn des neuen Schuljahres Anfang der Woche dürfen keine Abayas mehr getragen werden, lange Überkleider, zu denen meist auch ein Kopftuch gehört. Gleichzeitig soll ab Herbst erprobt werden, ob Schuluniformen möglich und sinnvoll sind. Präsident Macron spricht allerdings eher von einer Art Einheitskleidung. „Ohne dass man eine Uniform hat, kann man sagen, ihr zieht ein T-Shirt, eine Jeans, eine Jacke an“, sagte der Präsident dem Youtuber Hugo Décrypte.

Alle gleich angezogen: Schüler in Schuluniform.
Alle gleich angezogen: Schüler in Schuluniform. © iStock | istock

Warum hält der französische Bildungsminister strenge Kleidungsregeln für notwendig?

Nach Behördenangaben gehen in Frankreich immer mehr Schülerinnen mit Abayas in die Schule. Für Bildungsminister Gabriel Attal widerspricht das dem geltenden Verbot von sichtbaren religiösen Symbolen an Schulen.

Frankreich ist ein laizistisches Land, Staat und Religion werden also strikt getrennt. Religiöse Symbole an Schulen sind verboten. Außerdem gab es in der Vergangenheit immer wieder Diskussionen um allzu exzentrische und freizügige Kleidung, etwa sogenannte Crop Tops, die bauchfrei und oft tief ausgeschnitten sind.

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Wie sind die Reaktionen?

Der Verein zum Schutz der Rechte von Muslimen (ADM) hat bereits einen Eilantrag gegen das Verbot eingereicht – mit der Folge, dass sich Frankreichs höchstes Verwaltungsgericht, der Staatsrat, mit der Frage befasst, ob ein Verbot der Abayas überhaupt rechtens ist. Über das Für und Wider von Abayas und Schuluniformen ist mittlerweile eine breite Debatte entbrannt.

Gibt es in Deutschland ähnliche Forderungen?

Auch wenn Abayas in Deutschland selten getragen werden, ist die die Frage nach der angemessenen Kleidung in Schulen ein äußerst kontrovers diskutiertes Thema. „Meist geht es dann auch um Vielfalt, Individualität, um soziale Gerechtigkeit und Mobbing“, sagt Christiane Gotte, Vorsitzende des Bundeselternrates.

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Debatten um Stigmatisierungen aufgrund der Kleidung kämen in den Elterngremien immer wieder auf. „Vor allem Mütter sehen einen Vorteil in der Schulkleidung“, sagt Gotte. Für sie wären feste Regeln eine Erleichterung im Alltag.

Auf der anderen Seite hätten Eltern aber auch gute Gründe, zu viele Regeln vehement abzulehnen. Sie seien geprägt durch ihre eigenen Erfahrungen – vor allem, wenn sie als Kind gezwungen wurden, bestimmte Kleidung zu tragen. Etwa, weil das Elternhaus sehr streng war oder weil sie in der DDR aufwuchsen, wo es zwar keine Schuluniform gab, aber der Druck groß war, bei den Pionieren oder der FDJ mitzumachen, wo es Uniformen gab.

Was wird an der Art, sich in Schulen zu kleiden, überhaupt kritisiert?

Viele Schülerinnen und Schüler lieben es, in Jogginghosen und Leggings zum Unterricht zu kommen. Beliebt sind auch zerrissene Jeans, kombiniert mit bauchfreien Tops, den Crop Tops. Dass sich Schülerinnen und Schüler generell legerer kleiden als früher, hält Stefan Düll, Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, für einen allgemeinen Trend.

„Auch der Bundeskanzler trägt oft keine Krawatte.“ Generell sei Kleidung nicht mehr so formal, selbst wenn es der Anlass erfordert. In den Debatten gehe es aber auch immer wieder um teure Marken, die sich Kinder und Jugendliche wünschten, um dazuzugehören, ergänzt Christiane Gotte.

Können Uniform oder Einheitskleidung soziale Benachteiligung verhindern?

Daran glauben weder Eltern noch Lehrer. „Eine Zurschaustellung des elterlichen Verdienstes kann schließlich auch ohne Kleidung, beispielsweise über die Federtasche oder andere Utensilien, stattfinden“, sagt Tomi Neckov, stellvertretender Bundesvorsitzender des Verbandes Bildung und Erziehung. Ähnlich empfindet es Christiane Gotte vom Bundeselternrat. „Die einfachste Schuluniform lässt sich mit einer Rolex oder einen Designergürtel aufwerten.“

Sie verweist auf Erfahrungen in Großbritannien, wo alle Kinder eine Uniform tragen. „Wer es sich leisten kann, lässt die Uniform für die Kinder maßanfertigen.“ Nicht gut situierte Kinder müssten auf Second Hand zurückgreifen. Das könne sie nachhaltig traumatisieren. Für VBE-Vize Neckov wäre es für finanzschwächere Haushalte eine zu große Belastung, noch spezielle Schulkleidung anschaffen zu müssen.

Hinzu komme: „Längst tragen nicht mehr alle Schülerinnen Kleider und alle Schüler Hemd und Hosen“, sagt VBE-Vize Neckov. Schuluniformen würden der Vielfalt, die innerhalb der Gesellschaft und somit auch in den Schulen zu finden ist, nicht gerecht.

Wäre eine generelle Kleiderordnung an Schulen in Deutschland überhaupt möglich?

Das ist im föderalen System kaum durchsetzbar. Für die Schulen sind die jeweiligen Bundesländer zuständig – und jedes Bundesland hat ein eigenes Schulgesetz. „In Sachsen etwa ist vieles im Schulgesetz geregelt“, sagt Christiane Gotte.

Dort könnte man möglicherweise auch diesen Punkt regeln. „In Mecklenburg-Vorpommern, wo es den Begriff der selbstständigen Schule gibt – mit hoher Entscheidungsbefugnis der einzelnen Schule – würde es meiner Einschätzung zu folge extrem schwer umzusetzen sein.“ Zudem gebe es viele verschiedene Schulträger, und etliche staatlich anerkannte Ersatzschulen. Gotte nennt als Beispiel die Waldorfschulen.

Was kann jede einzelne Schule tun?

Der Bundeselternrat empfiehlt Schulen, einen Konsens über eine Kleiderordnung zu schließen. „Wir unterstützen Schulen gern bei einem solchen Prozess.“ Ein derartiger Konsens solle dann auch in die Hausordnung implementiert werden.

Ein Verstoß habe dann auch Konsequenzen: Kämen Jugendliche mit zerrissener, zu freizügiger oder sonst wie unangemessener Kleidung in die Schule, dann könne man sie nach Hause schicken und verlangen, dass sie sich ordentlich anziehen. Stefan Düll hält es für sehr schwierig, Vorgaben mit Kleidung umzusetzen. „Wir sind in Deutschland auf Freiheit ausgerichtet, auf Selbstbestimmung und Mündigkeit.“ Eine Formulierung zu finden, die festlege, „wie lang ein T-Shirt sein darf“, sei kaum möglich. „Da sind Zentimeterangaben notwendig.“ Er plädiert dafür, mit den Schülerinnen und Schülern über Wirkung und Ausdruck von Kleidung zu sprechen und wann was angemessen sei. Stefan Düll: „Schule ist kein Strand und kein Club.“

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