Berlin. In Belarus trainieren Söldner und Armee gemeinsam – und bedrohen damit Polen. Der Militärexperte schätzt das Risiko eines Angriffs ein.

Er zählt zu den bekanntesten Militärexperten in Deutschland: Carlo Masala. Der 55-Jährige lehrt Internationale Politik an der Universität der Bundeswehr München. Er beantwortet unserer Redaktion jede Woche die wichtigsten Fragen rund um den Ukraine-Krieg.

Herr Professor Masala, Russland droht nach der Aufkündigung des Getreideabkommens mit Angriffen auf zivile Schiffe im Schwarzen Meer. Ist das eine ernstzunehmende Drohung?

Carlo Masala: Solche Angriffe sind nicht auszuschließen. Ja, es ist eine durchaus realistische Drohung. Das Getreide über den Landweg zu transportieren, ist eine Alternative, macht es aber deutlich teurer. Damit ist das Getreide auf dem Weltmarkt weniger attraktiv.

Russland hat über Moskau ukrainische Drohnen abgefangen. Sind diese Angriffe mehr als Nadelstiche?

Masala: Zwei Drohnen, die nach Moskau fliegen, können nicht viel Schaden anrichten. Es sind Nadelstiche. Sie sind zudem ein Hinweis darauf, dass die Ukrainer in der Lage sind, Moskau mit ihren Drohnen zu erreichen. Sie zeigen ferner, dass die russische Luftverteidigung es nicht schafft, diese Drohnen frühzeitig zu erkennen, denn die elektronischen Abwehrsysteme sind zum größten Teil an die Grenze verlegt worden. Die Angriffe haben vor allem einen psychologischen Effekt. Sie sollen den Menschen in Russland zeigen: Eure Hauptstadt ist nicht sicher.

LandUkraine
KontinentEuropa
HauptstadtKiew
Fläche603.700 Quadratkilometer (inklusive Ostukraine und Krim)
Einwohnerca. 41 Millionen
StaatsoberhauptPräsident Wolodymyr Selenskyj
RegierungschefMinisterpräsident Denys Schmyhal
Unabhängigkeit24. August 1991 (von der Sowjetunion)
SpracheUkrainisch
WährungHrywnja

Stellen die Wagner-Söldner in Belarus eine Bedrohung dar? Wird Belarus durch die Anwesenheit der Söldner aktiv in den Krieg hineingezogen?

Masala: Das halte ich beides für extrem unwahrscheinlich. Wir wissen erstens nicht, wie viele Wagner-Söldner in Belarus sind. Zweitens haben die Söldner kein schweres Gerät mehr, sie sind in Russland entwaffnet worden. Deshalb sehe ich keine akute Bedrohung – weder für die Ukraine noch für Polen.

Der belarussische Machthaber Lukaschenko hat bisher alles dafür getan, nicht aktiv in den Krieg hineingezogen zu werden. Er weiß, dass das seine interne Macht gefährden könnte. Sein Militär ist nicht begeistert davon und er hat eine relativ starke Opposition im Land. Das Risiko für ihn wäre sehr hoch. Drittens haben sich die Ukrainer mit ihren Verteidigungsstellungen an der Grenze zu Belarus längst vorbereitet, weil sie seit Kriegsbeginn damit rechnen, dass hier eine neue Front aufgemacht werden könnte.

Belarussische Truppen werden von Wagner-Söldnern trainiert.
Belarussische Truppen werden von Wagner-Söldnern trainiert. © AFP | Handout

Beim russischen Militär finden Säuberungen statt, aber Wagner-Chef Prigoschin scheint weiter schalten und walten zu können. Ist er zu wichtig für Putin und damit sakrosankt?

Masala: Sakrosankt würde ich das nicht nennen. Putin hat einen langen Atem. Wenn man sich anschaut, wie er mit anderen Regimegegnern umgegangen ist, sieht man, dass er oft Jahre gewartet hat, bis sie liquidiert wurden. Ich würde deshalb nicht sagen, dass Prigoschin sicher ist, aber er steht nicht ganz oben auf der Prioritätenliste. Wir alle haben seine Rolle im Militär überschätzt. Die Generäle, die Wladimir Putin jetzt kaltgestellt hat, haben alle eine viel wichtigere Rolle in der gesamten Operation gespielt.

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Die Ukraine macht bei der Rückeroberung von Bachmut Fortschritte. Ist die Befreiung der zerstörten Stadt wirklich wichtig? Ist sie realistisch?

Masala: Ob sie realistisch ist, ist schwer einzuschätzen. Man weiß nie, ob die russische Armee nicht noch Taktiken entwickelt, mit denen sie den Vormarsch zurückdrängen kann. Aber Bachmut ist von symbolischer Bedeutung, weil es die einzige Stadt war, die die russischen Truppen – und vor allem die Wagner Söldner – unter hohem Blutzoll nach der Offensive der Ukrainer im September erobert haben. Sie haben dafür fast acht Monate gebraucht. Sollten die Ukrainer sie in zwei, drei Monaten zurückerobern, ist das natürlich auch psychologisch ein Schlag ins Gesicht für die russische Armee.

Wer könnte bei möglichen Friedensgesprächen eine Vermittlerrolle einnehmen?

Masala: Wenn es Friedensgespräche gibt, werden sie von China und den USA geleitet werden. Die beiden zusammen werden den Rahmen bilden für Vermittlungen.

Ukraine-Krieg – Hintergründe und Erklärungen zum Konflikt