Berlin. Justizminister Buschmann (FDP) will das Unterhaltsrecht reformieren. Im Interview spricht er über die Pläne und die Folgen für Eltern.

  • Das deutsche Unterhaltsrecht gilt als in die Jahre gekommen, schon mehrere Bundesregierungen versuchten sich an einer Reform
  • Nun wagt Justizminister Marco Buschmann (FDP) einen neuen Anlauf
  • Beim Thema Unterhalt hat er dabei vor allem aktive Väter im Fokus

Gleich mehrere Bundesregierungen sind mit dem Versuch gescheitert, das Unterhaltsrecht zu modernisieren – jetzt nimmt Justizminister Marco Buschmann einen neuen Anlauf. Was er für getrennte Väter und Mütter plant, sagt der FDP-Politiker im Exklusiv-Interview mit unserer Redaktion.

In Deutschland erleben jedes Jahr rund 120.000 Kinder und Jugendliche, dass ihre Eltern sich scheiden lassen. Sind diese jungen Menschen gut versorgt?

Marco Buschmann: Wenn Eltern sich trennen, ist das eine Belastung für die Kinder. Auf längere Sicht aber muss eine Trennung kein Unglück sein. Es kommt darauf an, wie die Eltern mit der Situation und den Kindern umgehen. Dafür gibt es sehr gute und schlechte Beispiele. Der Staat kann helfen, indem er vernünftige Rahmenbedingungen schafft.

Was wollen Sie verändern?

Buschmann: Das deutsche Unterhaltsrecht ist in die Jahre gekommen. Es geht noch von einer sehr traditionellen Vorstellung aus: Einer betreut und einer zahlt. Nach diesem alten Rollenverständnis bedeutet das: Die Frau betreut, der Mann zahlt. Doch die gesellschaftliche Realität ist längst eine andere. Viele Eltern erziehen und betreuen ihre Kinder gemeinsam – auch nach einer Trennung. Das Unterhaltsrecht ignoriert diese Tatsache weitgehend. Ob ein Vater sich an einem oder an drei Tagen in der Woche um das Kind kümmert, hat in vielen Fällen kaum Auswirkungen auf den von ihm gezahlten Unterhalt. Das ist aus Sicht der Betroffenen ungerecht. Und das ist gerade auch mit Blick auf das Kindeswohl nachteilig. Für Kinder ist es in der Regel gut, zu beiden Eltern eine starke Beziehung zu haben. Deshalb darf das Recht diejenigen, die sich besonders anstrengen, um eine solche starke Beziehung zu pflegen, nicht benachteiligen. Es wird höchste Zeit, das Unterhaltsrecht entsprechend zu modernisieren.

Wer soll dann wie viel Unterhalt zahlen?

Buschmann: Die Reform wird insbesondere Trennungsfamilien betreffen, in denen das Kind im sogenannten asymmetrischen Wechselmodell betreut wird. Das heißt, es geht um Konstellationen, in denen zwar ein Elternteil die Hauptbetreuung leistet und der andere Elternteil sich aber auch signifikant einbringt. Wir reden hier von einem Mitbetreuungsanteil von beispielsweise 30 oder 40 Prozent. Unser Ziel ist: Wir wollen klare und faire Regeln dafür schaffen, wie diese Leistung des mitbetreuenden Elternteils beim Kindesunterhalt zu berücksichtigen ist. Es muss einen Unterschied machen, ob sich jemand kaum oder zu einem gehörigen Anteil an der Kinderbetreuung beteiligt. Diejenigen, die sich erheblich einbringen, werden Vorteile haben durch die Reform.

Können Sie das beziffern?

Buschmann: Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Der mitbetreuende Vater verdient 4000 Euro im Monat, die hauptbetreuende Mutter 2000 Euro. Der Vater übernimmt 40 Prozent der Erziehungsleistung. Das Kindergeld wird zwischen den Eltern verrechnet. Bisher zahlt der Vater monatlich mit großer Wahrscheinlichkeit mehr als 500 Euro Unterhalt. Wie viel er genau zahlt, hängt sehr davon ab, welchen Berechnungsansatz das Gericht anwendet. Wenn unsere Pläne umgesetzt werden, wird der Vater etwas mehr als 400 Euro zahlen. Der Unterschied kann in einem solchen Fall somit mehr als 100 Euro betragen ...

Geht es nach dem Justizminister, wird das Kindergeld bei getrennt lebenden Paaren künftig zwischen den Eltern verrechnet.
Geht es nach dem Justizminister, wird das Kindergeld bei getrennt lebenden Paaren künftig zwischen den Eltern verrechnet. © Kerstin Kokoska/WAZ FotoPool | Kerstin Kokoska

… die dann der Mutter fehlen. Geht Ihre Reform nicht zulasten hauptsächlich erziehender Frauen, die ohnehin finanziell zu kämpfen haben?

Buschmann: Wenn wir Väter dazu motivieren, sich stärker in der Betreuung der Kinder zu engagieren, hilft das auch den Müttern. Sie können dann etwa stärker berufstätig sein. Für viele Frauen ist ja bislang die Kinderbetreuung der Grund für eine reduzierte Arbeitszeit. Zweitens: Wir werden sicherstellen, dass beim hauptbetreuenden Elternteil keine Situation eintritt, die das Kindeswohl gefährdet. Denn natürlich bleibt es dabei: Bei der Verteilung der Unterhaltslasten kommt es sehr darauf an, wie viel die beiden Elternteile verdienen. Und es wird sichergestellt sein, dass kein Elternteil finanziell überfordert wird. Drittens: Trennungsfamilien sind vielfältig; derzeit übernehmen zwar häufig die Frauen die Rolle der Hauptbetreuung; aber das können aktuell oder künftig genauso gut Männer sein. Unser Gesetz ist ein Gesetz für Kinder und ihre Eltern.

Garantieren Sie, dass die Armutsgefährdung nicht wächst?

Buschmann: Wir werden die Unterhaltslasten fairer verteilen. Aber das wird nicht zu Lasten der Kinder gehen. Kinder behalten den gleichen Unterhaltsanspruch wie bisher. Und wir sorgen dafür, dass die Verteilung der Unterhaltslasten keinen Elternteil finanziell überfordert.

Was sollen getrennte Eltern unternehmen, wenn das Gesetz in Kraft tritt?

Buschmann: Soweit sind wir ja noch nicht. Jetzt kommt zunächst unser Eckpunktepapier. Das ist ein Vorschlag, den wir zur Diskussion stellen. Wir werden sorgfältig auswerten, was Wissenschaft, Rechtspraxis, Verbände und insbesondere die betroffenen Eltern dazu zu sagen haben. Anschließend wollen wir den Gesetzentwurf erarbeiten. Wenn Eltern nach dem Inkrafttreten der neuen Regelungen auf dieser Grundlage dann ihre Unterhaltszahlungen anpassen wollen, wird es empfehlenswert sein, sich bei einer Beratungsstelle oder in einer Anwaltskanzlei zu informieren.

Wie sieht der genaue Zeitplan aus?

Buschmann: Die Eckpunkte für das neue Unterhaltsrecht werden wir in wenigen Tagen veröffentlichen. Der Gesetzentwurf soll dann nach Möglichkeit zügig folgen. Aber wir werden nichts überstürzen: Das Unterhaltsrecht ist für viele Menschen sehr wichtig. Die Eltern von jedem vierten Kind in Deutschland leben getrennt. Bei so einem wichtigen Vorhaben geht ganz besonders Gründlichkeit vor Schnelligkeit.

Eine Reform des Unterhaltsrechts soll dem Justizminister zufolge schon in Kürze erfolgen.
Eine Reform des Unterhaltsrechts soll dem Justizminister zufolge schon in Kürze erfolgen. © dpa-tmn | Christin Klose

An dieser Reform sind schon mehrere Bundesregierungen gescheitert. Warum soll sie ausgerechnet der Ampel gelingen?

Buschmann: Diese Regierung hat sich dem Motto verschrieben: Mehr Fortschritt wagen! Ja, wir haben Meinungsverschiedenheiten innerhalb der Regierung. Aber ich denke, dass wir uns einig sind, dass das Familienrecht Schritt halten muss mit der gesellschaftlichen Entwicklung. Wir wollen gestalten und unser Recht auf die Höhe der Zeit und ihrer Lebenswirklichkeit bringen. Deshalb bin ich sehr zuversichtlich, dass uns dieses Vorhaben gelingen wird. Es wäre doch ein schönes Signal, wenn es uns als Bundesregierung gelingt, diese harte Nuss zu knacken, an der vorherige Regierungen gescheitert sind.

Wie erklären Sie sich, dass die Ampelparteien in aktuellen Umfragen weit von einer Mehrheit entfernt sind, während die AfD ein Allzeithoch erreicht?

Buschmann: Als Minister bewerte ich keine parteipolitischen Fragen. Als Abgeordneter erkläre ich mir den Höhenflug der AfD in den letzten Wochen damit, dass offenbar einige Menschen den demokratischen Parteien einen Tritt vor das Schienbein verpassen wollen. Ginge es allein um die Ampel würden diese Menschen ja zur Union überlaufen. Das tun sie aber nicht. Aus der Forschung wissen wir: Die meisten davon trauen der AfD zwar nichts zu, wollen aber ein Protestsignal senden. Woran das liegt, müssen wir ergründen.

Sie werden eine Vermutung haben.

Buschmann: Erstens hat das Thema Migration einen Mobilisierungseffekt bei den Rechtspopulisten. Viele Menschen haben den Eindruck, dass der Staat hier zu wenig Recht und Ordnung durchsetzt. Richtig aber ist: Wir tun viel dafür, die humanitäre Zuwanderung stärker zu steuern – auch über die europäische Asylreform. Ein zweites Thema ist die wirtschaftliche Lage. Wenn Menschen den Eindruck haben, dass ihre wirtschaftliche Situation sich verschlechtert, spielt das den Populisten oftmals in die Karten. Daher müssen wir alles tun, um das Land wieder auf den ökonomischen Erfolgskurs zu führen. Das sollte auch eine klare Priorität der Bundesregierung nach der Sommerpause sein. Wir müssen gemeinsam das Land wieder auf die wirtschaftliche Erfolgsspur führen. Wachstum und Wohlstand müssen ganz oben stehen! Sie sind das beste Gegengift gegen Populismus.

Ist es realistisch, jegliche Zusammenarbeit mit der AfD – auch auf kommunaler Ebene – auszuschließen?

Buschmann: Ganz klar: Mit einer Partei, die vom Verfassungsschutz als Verdachtsfall eingestuft wird, werden wir nicht kooperieren. Wenn es im Bundestag und in den Landtagen gelingt, zu seriösen Lösungen zu kommen ohne die AfD, dann wird das auch auf der kommunalen Ebene gelingen. Die notwendige Fantasie und das Verantwortungsbewusstsein traue ich gerade unseren Kommunalpolitikern zu.

Diie AfD-Vorsitzenden Tino Chrupalla und Alice Weidel: Eine Kooperation soll es laut Buschmann mit der AfD auch weiterhin nicht geben.
Diie AfD-Vorsitzenden Tino Chrupalla und Alice Weidel: Eine Kooperation soll es laut Buschmann mit der AfD auch weiterhin nicht geben. © dpa | Sebastian Willnow

Angenommen, die AfD will in einer Gemeinde eine Kita bauen. Sollen die anderen Parteien dagegen stimmen?

Buschmann: Man darf der AfD nicht die Macht verleihen, dass sie die politische Agenda bestimmt. Deshalb wäre es natürlich falsch, sich nicht um ein Thema zu kümmern, nur weil es auch von der AfD angesprochen wurde. Gleichzeitig ist meine Erfahrung, dass es von der AfD keine seriösen Vorschläge gibt. Sie besitzt vielfach gar nicht die Fähigkeit, positive Dinge seriös zu planen. Sie ist eine Protestbewegung, die sich aus der Verneinung heraus definiert.

ParteiAlternative für Deutschland (AfD)
Gründung6. Februar 2013
IdeologieRechtspopulismus, Nationalkonservatismus, EU-Skepsis
VorsitzendeTino Chrupalla und Alice Weidel (Stand: April 2023)
Fraktionsstärke83 Abgeordnete im Bundestag (Stand: April 2023)
Bekannte MitgliederJörg Meuthen (ehemals), Alexander Gauland, Björn Höcke

Sie vertrauen darauf, dass die AfD gar keine Kita bauen könnte?

Buschmann: Meistens hat die AfD keinen Plan. Und wenn die seriöse Politik der Meinung ist, eine Gemeinde braucht eine Kita, dann muss sie ein besseres Konzept erstellen als die AfD. Diesen Wettbewerb sollte wahrlich keiner scheuen.

Gerät die Demokratie in Gefahr, wenn Bürgermeister und Landräte von der AfD kommen? Der Chef des Verfassungsschutzes scheint in großer Sorge …

Buschmann: Unser Grundgesetz ist stärker als ein kommunaler Wahlbeamter. Trotzdem treibt es mich als seriösen Demokraten um, wie es zu einer kommunalen Mehrheit für einen Rechtspopulisten kommen konnte.

Der Verfassungsschutz führt die AfD als rechtsextremistischen Verdachtsfall, darauf haben Sie eben hingewiesen. Wie denken Sie über ein AfD-Verbotsverfahren?

Buschmann: Wir haben es mit einer Partei zu tun, die uns Sorgen machen muss. Dazu muss man nur den aktuellen Verfassungsschutzbericht lesen. Danach kommt in den Äußerungen der AfD vielfach ein ethnisch-kulturell geprägtes Volksverständnis zum Ausdruck, das im Widerspruch zur Offenheit und Vielfalt des Grundgesetzes steht. Wir haben es mit Politikern zu tun, die im Parlament nicht um die Sache streiten, sondern provozieren und die Menschen aus der Fassung bringen wollen, sie angreifen und persönlich verletzen. Dabei machen sie vor nichts Halt. Es geht ihr darum, Institutionen und Minderheiten verächtlich zu machen und Menschen aufzustacheln. Unsere erste Aufgabe ist, die AfD politisch zu stellen und im Rahmen des demokratischen Wettbewerbs kleinzumachen. Das Verbot von Parteien kann auch in einer wehrhaften Demokratie immer nur das äußerste Mittel sein. Die Anforderungen sind aus gutem Grund sehr streng.