Berlin. Feldheim hat sich seine eigene Energieversorgung aus Erneuerbaren aufgebaut – und zeigt, was alles möglich ist. Ganz ohne Holzhammer.
Siegfried Kappert drückt sich die schwarze Schirmmütze tiefer ins Gesicht, damit sie nicht wegfliegt. „Da sehen Sie mal“, sagt er, „warum es hier so viel Windkraft gibt.“ Direkt vor ihm, hoch über den Getreidefeldern, drehen sich die Rotoren der Windkraftanlagen an diesem Tag besonders zügig – angetrieben vom Wind, der Kappert fast die Mütze vom Kopf pustet.
Kappert kommt aus Feldheim in Brandenburg, wo sie aus dem Wind, der hier häufig weht, ein Alleinstellungsmerkmal und ein Vorzeigeprojekt gemacht haben: Feldheim ist das erste energieautarke Dorf Deutschlands. Seit 2010 versorgt sich der Ortsteil von Treuenbrietzen nahe der Grenze zu Sachsen-Anhalt selbstständig mit Strom und Wärme, und das komplett erneuerbar.
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Die Pionierleistung wurde im Rest der Republik zwar wohlwollend aufgenommen, in der Breite setzten die meisten Kommunen aber weiter auf fossile Energie. Doch im Zuge der Energiekrise im vergangenen Jahr und dem wachsenden Druck, auch den Rest des Landes klimaneutral zu versorgen, steigt das Interesse an den Lösungen der Brandenburger. Allerdings: Feldheim hat früh angefangen, umzusteuern.
Feldheim produziert genug Strom für 55.000 Haushalte
Die Anfänge des Projekts liegen bereits in den 1990er Jahren. Damals kam Michael Raschemann nach Feldheim, noch im Studium, aber schon auf der Suche nach einem guten Standort für Windkraftanlagen. Er wurde bei der Gemeindevertretung vorstellig. Bürgermeisterin war zu diesem Zeitpunkt Kapperts Frau. „Sie kam damals abends nach Hause und hat gesagt ‚Heute war ein junger Mann da, der will hier Windräder aufstellen‘“, erinnert sich der 83-Jährige.
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Tausend Fragen habe es gegeben in der Gemeinde, aber keine grundlegende Ablehnung. Infolge dieses Besuchs wurden zunächst fünf Anlagen aufgestellt, über die Jahre kamen weitere dazu. Inzwischen sind es 55 Windräder – mit genug Kapazität, um nicht nur Feldheim zu versorgen, sondern insgesamt 55.000 Haushalte. Der große Überschuss wird eingespeist ins Netz.
Mitte der 2000er Jahre folgte der nächste Schritt: eine Biogas-Anlage. Sie war ursprünglich nur dazu gedacht, die örtliche Ferkelzucht mit Wärme zu versorgen. „Als die gebaut wurde, wollten einige Einwohner auch mit angeschlossen werden“, erinnert sich Kappert. „Da haben wir uns zusammengesetzt und gesagt: dann aber auch die Versorgung mit Strom aus dem Windpark.“ Der war bis dahin nur verkauft worden. Um die rund 40 Haushalte vor Ort zu versorgen, mussten die Feldheimer ihr eigenes Netz bauen – einmal für Nahwärme, einmal für Strom.
Besucher aus der ganzen Welt kommen nach Feldheim
Inzwischen gibt es in dem kleinen Ort nicht nur einen Solarpark, sondern auch einen Batteriespeicher, der auch Übertragungsnetzbetreiber 50Hertz als Regelkraftwerk dient. An besonders kalten Tagen unterstützt zudem ein Hackschnitzelkraftwerk die Biogas-Anlage bei der Wärmeproduktion. „Energiequelle“, die Firma von Michael Raschemann, der die Windräder nach Feldheim brachte, hat inzwischen nach eigenen Angaben 400 Mitarbeiter und arbeitet international.
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Siegfried Kappert ist stolz auf das, was die Menschen im Ort gemeinsam aufgebaut haben. Der gelernte Elektromonteur ist einer der ehrenamtlichen Besucherführer, die im Neue-Energien-Forum Feldheim (NEF) Gästen aus der ganzen Welt erklären, wie Feldheim sich unabhängig gemacht hat von fossiler Energie. Kappert wuchs in Feldheim auf, er kann sich gut an die Zeit erinnern, als das Gebäude, in dem das NEF heute Besucher empfängt, noch der Gasthof des Dorfs war – oder daran, dass auf dem Grundstück, wo heute das Batteriespeicherkraftwerk steht, früher ein Kartoffellager stand.
Bis zu drei Mal in der Woche führen Kappert und zwei Kolleginnen Besuchergruppen durch Feldheim, um zu erklären, wie das Dorf sich versorgt. Schulklassen, Studierende, aber auch Fachleute kommen in den kleinen Ort. Erst vor ein paar Tagen war Agrarminister Cem Özdemir da.
Feldheimer zahlen 12 Cent für Strom, 7,5 Cent für Wärme
In Feldheim kann die Politik nicht nur etwas über Dekarbonisierung, günstige Energie und Versorgungssicherheit lernen, sondern auch darüber, wie man all das mit einer Gemeinschaft erreicht statt gegen sie. Während Pläne für Windkraftanlagen in anderen Ortschaften in Deutschland zu erbitterten, jahrelangen Streits geführt haben, verlief der Wandel Feldheims zum Energie-Vorreiter-Dorf harmonisch.
Das liegt zum einen daran, dass sich das Konzept für die Feldheimerinnen und Feldheimer finanziell lohnt. 12 Cent zahlen sie für eine Kilowattstunde Strom, 7,5 Cent für Wärme. Im bundesweiten Schnitt dagegen meldete das Vergleichsportal Verivox bei Neuverträgen für Strom zuletzt 28 Cent pro Kilowattstunde.
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Es habe aber auch etwas damit zu tun, wie man es angegangen sei, sagt Michael Knape. Knape ist Bürgermeister der Stadt Treuenbrietzen, in die Feldheim Anfang der 2000er eingemeindet wurde. „Die Feldheimer sind nicht grüner als der Rest der Republik“, sagt er. Und was dort funktioniert hat, könne auch anderswo funktionieren. Wichtig seien vor allem zwei Voraussetzungen, erklärt Knape.
„Wer mit dem Holzhammer durchmarschiert, wird scheitern“
Zum einen müssten alle Beteiligten früh ins Gespräch kommen und bereit sein, Kompromisse einzugehen – zum Beispiel, in dem die Windkraftanlagen freiwillig ein bisschen weiter weg gebaut wurden, als es juristisch unbedingt erforderlich gewesen wäre. „Wer mit dem Holzhammer durchmarschiert, wird scheitern“, sagt Knape. „Geschwindigkeit ist nicht das Wichtigste, sondern Qualität und das Miteinander.“
Zum anderen müssten die Menschen im Dorf auch die Vorteile erkennen können und nicht das Gefühl bekommen, nur Energielieferanten für andere zu sein. „Hier ist eine Wertschöpfungskette entstanden“, sagt er. „Das Geld, das vorher für Energie abgeflossen ist, bleibt jetzt im Ort.“
Für die Feldheimer bedeutet das auch, dass ihr Ort mit den rund 40 Haushalten und einer Hand voll Straßen eine andere Entwicklung genommen hat als vergleichbare Siedlungen im ländlichen Raum. „Ohne das alles wären wir ein Schlafdorf geworden“, sagt Siegfried Kappert. Damit meint er Ortschaften in strukturschwachen Regionen, die einen langsamen Tod sterben. In Brandenburg gibt es viele davon.
Energie-Vorreiter-Dorf plant schon den nächsten Schritt
In Feldheim aber habe sich der Trend gedreht, sagt Kappert, inzwischen gebe es wieder viele Kinder, auf einigen Grundstücken würden inzwischen Neuankömmlinge aus Berlin wohnen. Er ist überzeugt, dass der Kurs, den das Dorf eingeschlagen hat, der richtige war – und dass auch der Rest des Landes die Energiewende schaffen kann. „Ich habe so viele Ingenieure und Techniker kennengelernt – die schaffen das“, sagt er, auch wenn es vielleicht lange dauern werde. Man müsse diesen Weg jetzt weiterverfolgen. „Wir haben keine andere Chance.“
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Die Windkraftanlagen, mit denen es hier einmal losging, sind inzwischen längst ersetzt durch größere, leistungsstärkere. Eine der alten Gondeln steht heute im Hof des Neue-Energien-Forums – als Erinnerungsstück. Ein paar Meter rechts davon liegt der Bauschutt einer abgerissenen Scheune. Da wollen sie weitermachen, sagt Siegfried Kappert. Als nächstes kommt Wasserstoff.
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