Saporischschja. Am AKW spitzt sich die Lage zu: Der Betreiber wirft den Russen vor, die Reaktoren vermint zu haben. Diese Folgen hätte eine Explosion.

Seit Monaten steht die größte nukleare Anlage der Ukraine, das Atomkraftwerk in Saporischschja, unter russischer Kontrolle. Kiew und Moskau werfen sich gegenseitig vor, einen Anschlag auf das AKW zu planen. Wie die aktuelle Lage in Saporischschja aussieht und was bei einer Explosion im schlimmsten Fall passieren könnte, erklärt der Präsident des ukrainischen Akw-Betreibers Energoatom, Petro Kotin, unserer Redaktion.

Herr Kotin, wie ist die aktuelle Situation im AKW Saporischschja?

Petro Kotin: Seit dem Beginn der russischen Besatzung (im März 2022, die Red.) verschlechtert sich die Situation kontinuierlich. Die Anlage ist eigentlich ein russisches Militärlager voller Waffen. Das Personal, das noch dort ist, darf sich nur sehr limitiert bewegen. Während der vergangenen Tage sind aber nach unseren Informationen Truppen von der Anlage abgezogen worden. Auch Kollaborateure haben das Gelände verlassen. Außerdem sind Busse und Lastwagen auf der Anlage angekommen.

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Petro Kotin ist Chef des ukrainischen Akw-Betreibers Energoatom.
Petro Kotin ist Chef des ukrainischen Akw-Betreibers Energoatom. © Anadolu Agency/Getty Images | Getty Images

Laut dem ukrainischen Geheimdienst sollen auf zwei Blöcken Explosivstoffe angebracht worden sein.

Kotin: Diese Informationen sind die einzigen, die ich auch habe. Wir wissen, dass sie in den vergangenen Monaten um die Anlage herum Landminen verlegt haben.

Momentan sind aber alle sechs Reaktorblöcke heruntergefahren?

Kotin: Ja, alle sechs Reaktoren sind seit dem vergangenen September heruntergefahren. Ein Reaktor ist aber im heißen Standby. Damit produzieren sie Dampf aus irgendwelchen technischen Gründen. Dafür ist eine solche Anlage aber nicht gemacht. Das wäre so, als würden sie ihren Computer benutzen, um Nüsse zu knacken. Das ist verrückt. Normalerweise müssten die Sicherheitssysteme der Anlage, die Pumpen und alles andere regelmäßig inspiziert werden. Das machen sie nicht.

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Wenn die Russen tatsächlich Sprengsätze auf der Anlage zünden würden – droht dann eine nukleare Katastrophe?

Kotin: Dann müssten wir zunächst nicht mit einem nuklearen Desaster rechnen, sondern mit einem technischen Desaster, wie wir es gesehen haben, als sie den Kachowka-Staudamm gesprengt haben. Was sie tun können, ist einige Strukturen und Komponenten der Reaktoren zerstören, so dass wir die Anlage nach der Befreiung nicht einfach wieder hochfahren könnten.

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Also keine nukleare Gefahr?

Kotin: Sie könnten auch nukleare Konsequenzen verursachen. Es gibt viel nukleares Material auf der Anlage. Es gibt da etwa 9000 Brennelemente, manche voll, manche abgebrannt. Sie könnten die kleinen Uran-Pellets einfach in der Umwelt verteilen oder sie mit einer Explosion verteilen, das würde zu radioaktiver Verseuchung führen.

Was hätte das für Konsequenzen?

Kotin: Weil die Anlage seit September nicht mehr in Betrieb ist, ist die Strahlung des Brennstoffs nicht mehr so stark. Würde eine Einheit im Vollbetrieb gesprengt, wäre die radioaktive Gefahr 245 Mal so groß. Deswegen sind derzeit auch keine Evakuierungsmaßnahmen nötig. Wenn die Russen eine große nukleare Katastrophe verursachen wollen, müssten sie die Anlage erst wieder hochfahren.