Berlin. Pro-russische Medien machen in deutschen sozialen Netzen Stimmung gegen die Regierung – trotz Verboten. Das zeigt ein aktueller Fall.

Es sind nur 37 Sekunden. Doch diese gute halbe Minute reicht aus, um die Botschaft zu inszenieren. In dem Video ist ein Mann zu sehen, der Kanzler Olaf Scholz mutmaßlich in einer Diskussionsrunde konfrontiert. Scholz habe versprochen, keine Waffen in Ukraine zu liefern, trägt der Mann vor. Und doch lieferte die Bundesregierung. Er wolle keine Panzer entsenden – doch Deutschland sendet. Bald Flugzeuge? „Wie können wir darauf vertrauen, dass diese Eskalationsspirale immer weiter geht?“, fragt der Mann.

Dann endet das Video. Die Antwort von Scholz: wird nicht gezeigt. Die kontroverse Debatte in der Regierung über die Lieferung von Waffen an die Ukraine im Kampf gegen den russischen Angriffskrieg: wird in dem Clip verschwiegen. Die Entwicklungen auf dem Schlachtfeld: interessieren die Macher nicht. Das Ziel des Kurzfilms ist klar: Das Vertrauen in Scholz und die deutsche Regierung soll gebrochen werden. Auf der Videoplattform TikTok, die vor allem bei jungen Menschen beliebt ist, wurde das Filmchen 3,6 Millionen Mal geklickt. Es hat mehr als 300.000 „Likes“, mehr als 10.000 Kommentare und wurde fast 17.000 Mal mit anderen geteilt. Eine starke Wirkung für 37 Sekunden Video.

Bundeskanzler Olaf Scholz im Kanzleramt.
Bundeskanzler Olaf Scholz im Kanzleramt. © Michael Kappeler/dpa

Europäische Union hat Ausstrahlung russischer Staatsmedien verboten

Was die wenigsten wissen dürften: Es ist der Film einer pro-russischen Medienfirma, die in Deutschland agiert und nach Recherchen von Fachleuten Verbindungen zu russischen Staatsmedien hat. Die Macher des TikTok-Videos nennen sich „Bloß mit Biss“, ein Format, das halb satirisch, halb nachrichtlich immer wieder die Bundesregierung attackiert, allen voran Scholz, aber auch Grünen-Politikerinnen wie Annalena Baerbock und Ricarda Lang. Auch Wirtschaftsminister Robert Habeck ist im Visier. „Die Kampagne zeigt, wie einfach und ungehindert russische Staatsmedien weiterhin auf populären Social-Media-Plattformen wie YouTube und TikTok agieren können“, sagt Julia Smirnova, Senior Analyst bei Institute for Strategic Dialogue (ISD) und Russland-Expertin. Und das trotz Verboten.

Kurz nach dem Beginn des Krieges im Februar 2022 hatte die Europäische Union die Ausstrahlung von russischen Staatsmedien wie „Russia Today“ und „Sputnik“ über Kabel, Satellit und Internet verboten. Verbote weiterer Sender folgten im vergangenen Sommer. „Sputnik“ arbeitet seit 2020 in Deutschland unter „SNA“ (Sputnik News Agency). Die Internet-Seiten von SNA sind in Deutschland nicht zu erreichen, das Verbot wirkt hier. Auch auf Twitter und Instagram sind die Kanäle gesperrt.

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25 Millionen Klicks für Youtube-Videos

Zu erreichen sind dagegen die Formate von „Satellit“. Die Kanäle sind seit März 2022 online, kurz nach den Ankündigungen der EU-Verbote russischer Staatsmedien wie SNA. Recherchen vom Think-Tank ISD legen nahe, dass hinter „Satellit“ der russische Medienkonzern SNA, also Sputnik, steckt. Das belegt ein Post auf Telegram durch SNA vom 14. März 2022, in dem es heißt, dass „aus naheliegenden Gründen“ der alte Kanal „umbenannt“ worden sei.

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Zugleich lädt die Firma „in unseren neuen Kanal“ ein, „damit Ihr SNA-Inhalte auch weiter lesen könnt“. Verlinkt ist dann Satellit. Ein Screenshot dieser mittlerweile gelöschten Nachricht an die Anhängerschaft liegt unserer Redaktion vor. Copyright-Hinweise auf Russisch weisen ebenfalls auf die Verbindung zu Staatsmedien in Moskau hin. Auch einzelne andere Fachleute hatten in der Vergangenheit über die Verbindung von SNA und Satellit berichtet.

So kurios inszeniert sich Wladimir Putin

Oben ohne und total entspannt : Der russische Präsident Wladimir Putin weiß, wie er sich inszenieren kann.
Oben ohne und total entspannt : Der russische Präsident Wladimir Putin weiß, wie er sich inszenieren kann. © dpa | Alexei Nikolsky
Völlig entspannt gibt er sich beim Angeln in Sibirien. An seiner Seite: der russische Verteidigungsminister Sergej Schoigu.
Völlig entspannt gibt er sich beim Angeln in Sibirien. An seiner Seite: der russische Verteidigungsminister Sergej Schoigu. © imago/ITAR-TASS | Alexei Nikolsky
Der Pressedienst des Kreml verbreitete 2017 die Aufnahmen des Kurztrips.
Der Pressedienst des Kreml verbreitete 2017 die Aufnahmen des Kurztrips. © dpa | Alexei Nikolsky
Es ist nicht das erste Mal, dass der russische Präsident mit nacktem Oberkörper posiert.
Es ist nicht das erste Mal, dass der russische Präsident mit nacktem Oberkörper posiert. © dpa | Alexei Nikolsky
Putin ließ sich schon beim Schwimmen ablichten.
Putin ließ sich schon beim Schwimmen ablichten. © REUTERS | © RIA Novosti / Reuters
Oder bei einem Trip zu Pferd.
Oder bei einem Trip zu Pferd. © REUTERS | REUTERS / RIA NOVOSTI
Oben ohne zeigte sich Putin auch auf der Jagd in Sibirien.
Oben ohne zeigte sich Putin auch auf der Jagd in Sibirien. © picture alliance/ASSOCIATED PRESS | AP Content
Hart im Nehmen: So stieg Putin im Januar aus dem eiskalten Wasser des Seligersees.
Hart im Nehmen: So stieg Putin im Januar aus dem eiskalten Wasser des Seligersees. © picture alliance / ZUMAPRESS.com | dpa Picture-Alliance / Alexei Druzhinin
Harte Schale, weicher Kern? Schon häufiger hat der russische Präsident seine Tierliebe zur Schau gestellt.
Harte Schale, weicher Kern? Schon häufiger hat der russische Präsident seine Tierliebe zur Schau gestellt. © picture alliance / Sputnik | dpa Picture-Alliance / Alexei Druzhinin
So zeigte er sich überaus interessiert, als Forscher einem Tiger im Ussuri-Naturreservat im Osten Russlands ein Tracking-Halsband anlegten.
So zeigte er sich überaus interessiert, als Forscher einem Tiger im Ussuri-Naturreservat im Osten Russlands ein Tracking-Halsband anlegten. © REUTERS | © RIA Novosti / Reuters
Im Nationalpark „Losiny Ostrov“ fütterte er ein Elch-Kalb mit der Flasche.
Im Nationalpark „Losiny Ostrov“ fütterte er ein Elch-Kalb mit der Flasche. © REUTERS | © RIA Novosti / Reuters
Auf Augenhöhe: Ein kleines flauschiges Küken scheint es dem Präsidenten angetan zu haben.
Auf Augenhöhe: Ein kleines flauschiges Küken scheint es dem Präsidenten angetan zu haben. © REUTERS | © RIA Novosti / Reuters
Beim Tollen im Schnee haben offenbar nicht nur die beiden Vierbeiner Spaß.
Beim Tollen im Schnee haben offenbar nicht nur die beiden Vierbeiner Spaß. © REUTERS | © RIA Novosti / Reuters
Reiten kann Putin übrigens auch angezogen.
Reiten kann Putin übrigens auch angezogen. © REUTERS | REUTERS / HO
Und auch am Steuer eines Bootes muss es nicht oberkörperfrei sein.
Und auch am Steuer eines Bootes muss es nicht oberkörperfrei sein. © dpa | Alexei Nikolsky
Insgesamt inszeniert sich der Präsident auch gern als stark, männlich, kämpferisch, sportlich und als Abenteurer. Im Taucheranzug ging es etwa mit Harpune auf Hechtjagd.
Insgesamt inszeniert sich der Präsident auch gern als stark, männlich, kämpferisch, sportlich und als Abenteurer. Im Taucheranzug ging es etwa mit Harpune auf Hechtjagd. © dpa | Alexei Nikolsky
Natürlich erfolgreich: Einen Hecht konnte er mit der Harpune erlegen.
Natürlich erfolgreich: Einen Hecht konnte er mit der Harpune erlegen. © dpa | Alexei Nikolsky
Putin in seinem Taucheranzug.
Putin in seinem Taucheranzug. © imago/ITAR-TASS | Alexei Nikolsky
Putin hält sich fit.
Putin hält sich fit. © REUTERS | © RIA Novosti / Reuters
Auch als Hockeyspieler auf dem Eis macht er – natürlich – eine gute Figur.
Auch als Hockeyspieler auf dem Eis macht er – natürlich – eine gute Figur. © REUTERS | REUTERS / SPUTNIK
Meistens jedenfalls.
Meistens jedenfalls. © REUTERS | REUTERS / POOL
Putin konzentriert, kontrolliert und kämpferisch.
Putin konzentriert, kontrolliert und kämpferisch. © REUTERS | REUTERS / RIA Novosti
Der russische Präsident hat den schwarzen Gürtel im Judo.
Der russische Präsident hat den schwarzen Gürtel im Judo. © REUTERS | REUTERS / SPUTNIK
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Und die Macher von Satellit sind es auch, die das Format „Bloß mit Biss“ produzieren, das auch das vielgeteilte Scholz-Video auf TikTok präsentiert. Insgesamt 18.000 Menschen folgen dem Account „Bloß mit Biss“ auf TikTok. Auch auf anderen sozialen Plattformen wie Instagram und Youtube hat das Format Tausende Follower. Die Videos auf Youtube wurden in wenigen Monaten fast 25 Millionen Mal aufgerufen. Bei Apple und auf anderen Plattformen bietet die Firma Podcasts an. Auf dem Messengerdienst „Telegram“ hat „Satellit“ 11.000 Anhänger, Videos sind auch bei der in Verschwörerideologen-Kreisen und bei Impfgegnern sowie extremen Rechten beliebte Plattform „Odysee“ verlinkt.

Videos richten sich gegen die Bundesregierung – vor allem gegen die Grünen

Elise Thomas hat für die Nicht-Regierungsorganisation ISD die Plattformen von Satellit ausgewertet, unsere Redaktion hat die Videoformate ebenfalls analysiert. Was sich aufbaut, ist ein Netzwerk, das mit Desinformation Millionen Menschen in Deutschland erreicht. Vor allem Jugendliche und junge Erwachsene. Die Untersuchung von ISD zeigt auch, dass die Macher von Satellit in den Monaten nach dem Start des Programms die Spuren in Richtung Sputnik immer mehr verwischt haben. Zugleich expandiert die Marke auf Portale wie „Odysee“, über die Satellit schreibt, „deren größter Vorteil eine freiere Inhaltspolitik“ sei. Anders ausgedrückt: Keine Verbote, keine Löschungen von Desinformation.

Eines fällt bei den Inhalten auf: Es sind vor allem die Kurzfilm-Formate, mit denen Satellit junge Menschen erreichen will – Videos und Podcasts, die selten länger als drei Minuten sind. Zielgenau ausgerichtet auf das Nutzerverhalten Jugendlicher, die in sozialen Medien eher kurze Inhalte konsumieren. Mit 3,4 Millionen Views ist das zweitmeist gesehene Video eines, in dem die These aufgeworfen wird, dass König Charles III. besser Deutsch spreche als Bundesaußenministerin Baerbock. Und nicht nur in diesem Clip ist Baerbock das Ziel, auch viele weitere richten sich explizit gegen Mitglieder der Grünen.

Kurzvideos verstärken AfD-Positionen

Dabei thematisieren die Videos weniger den Krieg in der Ukraine. Auch Russlands Präsident Wladimir Putin steht selten im Fokus. Das Video-Format „Bloß mit Biss“ richtet sich meist gegen die deutsche Regierung, zentrales Thema ist „ökonomische Angst“, wie der Think-Tank ISD in der Analyse schreibt. „Das Ziel scheint darin zu bestehen, bei den Deutschen ein Gefühl des Grolls gegenüber der eigenen Regierung zu schüren.“ In einem Youtube-Video zum Jahrestag des Angriffs auf die Ukraine legt „Bloß mit Biss“ nahe, dass die Sanktionen gegen Russland vor allem Deutschland schadeten.

In einem anderen Video heißt es einseitig und verfälscht, dass es der „Westen“ war, der Verhandlungen zwischen Ukraine und Russland habe scheitern lassen. In einem anderen Format wird behauptet, die Meinungsfreiheit sei in Deutschland „leider verstorben“. Auf dem Telegram-Kanal von Satellit sind neben unpolitischen Nachrichten aus aller Welt auch pro-russische „Experten“ verlinkt, etwa ein Historiker, der einen „Medienkrieg des Westens gegen Russland“ sieht.

Als Gegenposition zu den Politikerinnen und Politikern der Bundesregierung, die durchweg negativ dargestellt werden, werden wiederum immer wieder Äußerungen der AfD herangezogen. Die Videos tragen dann Titel wie „Weidel entlarvt Habeck“ oder „Hellseherin Alice Weidel“ und zeigen beispielsweise Ausschnitte aus Reden der AfD-Vorsitzenden Alice Weidel, in denen sie gegen die Grünen wettert.

Russische Propaganda auf TikTok: Videos bedienen sexistische Stereotypen

Ein wichtiges Element dabei: Sarkasmus. Die Videos setzen nicht auf Gegenargumente, sondern vielmehr darauf, die Politiker oder Politikerinnen und Maßnahmen ins Lächerliche zu ziehen – etwa, wenn ganz gezielt Versprecher ausgewählt und hervorgehoben werden. „Mit kurzen und vermeintlich unterhaltsamen Clips haben sie insbesondere junge Menschen im Visier“, sagt Julia Smirnova von ISD. „Sie verstärken populistische und demokratieskeptische Stimmen aus den Parteien AfD und Die Linke.“ Ihre Angriffe auf Politikerinnen der Grünen würden „sexistische Stereotype“ bedienen, sie als inkompetent abwerten. „Eine besonders perfide Taktik, die wir von rechten frauenfeindlichen Netzwerken kennen.“

Misstrauen sähen, Desinformation streuen – und das alles vorbei an den Sanktionen und Verboten der EU? Das Bundesinnenministerium kommentiert die Plattform „Satellit“ auf Nachfrage unserer Redaktion nicht. Auch die Bundeszentrale für Kinder- und Jugendmedienschutz äußert sich nicht zu Fällen, in denen kein „Indizierungsverfahren“ eingeleitet wurde.

Vonseiten der Bundesregierung heißt es nur ganz generell: „Mittels Desinformation versucht zum Beispiel die russische Regierung, die öffentliche Meinung in Deutschland zu beeinflussen, etwaige Spaltungslinien in der Gesellschaft zu verschärfen und politische Entscheidungsprozesse zu stören.“ Für die Verbreitung seiner Narrative in Deutschland greife Russland „auf ein komplexes Netzwerk von staatlichen oder staatlich gesteuerten Akteuren zurück“, welches unter anderem „aus deutschsprachigen russischen Staatsmedien, politischen Organisationen, Kulturvereinen, Oligarchen, Stiftungen und Denkfabriken“ bestehe.

Nancy Faeser (SPD), Bundesministerin für Inneres und Heimat, spricht.
Nancy Faeser (SPD), Bundesministerin für Inneres und Heimat, spricht. © Bernd von Jutrczenka/dpa

Das Innenministerium hebt hervor, dass aus seiner Sicht das Verbreitungsverbot in Deutschland „in weiten Teilen“ eingehalten werde. Und die Regierung erwarte von Anbietern wie TikTok und Instagram, dass sie diese Verbote auf den Portalen durchsetzen. Zugleich muss die Regierung einräumen: „Immer wieder neue gezielte Umgehungen im Internet lassen sich jedoch kaum verhindern.“ Inhalte, die vormals über die Auslandsmedien verbreitet worden seien, würden „nun verstärkt über soziale Netzwerke verbreitet, häufig ohne Ursprungsbezeichnung“. Der Fall Satellit, das zeigen die Recherchen, ist ein Teil dieser Strategie, mit denen „alternative Medien“ die Maßnahmen der EU gegen russische Einflussnahme unterlaufen.

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