Washington. Die USA hatten früh Hinweise auf Prigoschins Pläne – nun erwartet Washington mit Anspannung, was Putins nächste Schritte sein werden.
Offiziell ist die Regierung von Joe Biden bisher völlig untergetaucht bei der Kommentierung und Bewertung der historischen Ereignisse in Russland. Insider erklärten das am Samstag auf Anfrage mit der Sorge, dass Wladimir Putin andernfalls „dem Westen schnell die Rolle des Regisseurs in dem Coup-Versuch zuschieben und damit Vergeltungsaktionen legitimieren würde”. Ein Putin aber, der sich in die Ecke gedrückt fühlt und national wie international schwach wirkt, sei gefährlich, sagte der frühere US-Botschafter in Moskau, Jon Huntsman: „Schwäche erzeugt riskanteres Verhalten.”
Intern brüten gleichwohl seit Samstagnacht Hundertschaften von Experten in und außerhalb der Regierung in Washington über der Frage, welche Konsequenzen das Intermezzo der Söldner-Truppe um Jewgeni Prigoschin kurz-, mittel- und langfristig für Putins Machterhalt und für den von ihm angezettelten Krieg gegen die Ukraine haben könnte. Vorab: Alles noch völlig unklar.
Nuklearwaffen-Arsenal keine neue Bedrohung
US-Geheimdienste hatten nach eigenen Angaben bereits Mitte Juni erste Hinweise auf eine bevorstehende Aktion Prigoschins aufgeschnappt. Umgehend wurden Bidens Sicherheitsapparat und die wichtigsten politischen Vertreter im US-Kongress in vertraulichen Sitzungen sensibilisiert.
Dabei stand zunächst die Sorge im Vordergrund, „was eine etwaige Entmachtung Putins für die Stabilität Russlands und die Sicherheit des russischen Nuklearwaffen-Arsenals bedeuten würde”. Letzteres, so US-Sicherheitskreise gestern, stelle durch die Ereignisse keine neue oder größere Gefahr dar.
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Mit Anspannung wird in Washington beobachtet, was die nächsten Schritte Putins wie Prigoschins sein werden. Die Details der von Belarus’ Präsident Alexander Lukaschenko mit Billigung Putins ausverhandelten Einigung (freies Geleit für Prigoschin, Straffreiheit für seine 25.000 Söldner) sind schließlich bisher unbekannt.
„Größte Demütigung“ für Putin in 23 Jahren
Der als rachsüchtig bekannte russische Präsident werde die „größte Demütigung” seit Amtsantritt vor 23 Jahren „definitiv nicht unbeantwortet lassen”, erklärte ein Russland-Experte im Außenministerium. Und dass Prigoschin im Belarus-Exil untätig bleibt, sei „so gut wie ausgeschlossen”. Kurt Volker, einst Nato-Botschafter und US-Sonderbotschafter für die Ukraine, hält den Rückzug Prigoschins für taktisch motiviert.
Der Führer der Privatarmee setze darauf, in der russischen Bevölkerung weiteren Zulauf für seine brachiale Kritik am Krieg zu bekommen, in dem Zehntausende russische Soldaten gestorben sind. Das renommierte Institut für Kriegsstudien (ISW) in Arlington vor den Toren Washingtons geht darum nur von einer „Kurzfrist-Lösung” aus. Die Experten, seit Ausbruch des Ukraine-Krieges für viele Analysten bis in die Biden-Regierung hinein meinungsprägend, sehen Putin “schwer beschädigt”.
Putin hofft auf Trumps Rückkehr im Jahr 2024
Wie Prigoschin samt Söldner-Konvoi nahezu unbehelligt die russische Kommandatur für den Ukraine-Krieg in Rostow am Don einnehmen und danach nach bis auf 200 Kilometer auf Moskau vorrücken konnte, offenbare eklatante Schwächen der russischen Militär- und Sicherheitsstrukturen. „Es fehlt Russland im Hinterland an Reserven.” Die Begleitumstände der gesamten Aktion würden sich negativ auf die Kampfmoral der russischen Truppen in der Ukraine auswirken, prophezeien die Militär-Analysten.
Noch zersetzender könnte Prigoschins unverblümte Schilderung des bisherigen Scheiterns des militärischen Angriffs auf die Ukraine und dessen konstruierte Begründung sein, vermutet Fiona Hill. Die Russland-Beraterin der beiden Präsidenten Trump und Biden meint damit die öffentlich enttarnte Lüge Putins, der den Einmarsch in die Ukraine damit gerechtfertigt hatte, dass Kiew und die Nato Russland bedrohten. „Prigoschin sagt nun die Wahrheit“, so Hill. „Was er offen erklärt, ist das, was viele andere Leute denken.”
Auf ein schnelles Kriegsende spekuliert indes kaum jemand. Bisher herrscht im Weißen Haus inoffiziell weiter die Meinung vor, Putin werde den Krieg mindestens über den US-Wahltag im November 2024 hinauszögern – in der Hoffnung, dass mit Donald Trump ein für ihn pflegeleichter Präsident zurückkehrt, der die gewalttätige Ausweitung der russischen Einflusssphäre mutmaßlich tolerieren würde.
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