Moskau. Der Widerstand in Russland war oft weiblich. Viele der mutigen Frauen sind im Gefängnis oder ins Ausland geflohen - aber nicht alle.
Noch immer legen die Menschen Blumen nieder, am Denkmal der ukrainische Dichterin Lessja Ukrajinka, mitten in der Moskauer Innenstadt. Nicht mehr jeden Tag wie anfangs noch, aber eben doch regelmäßig. Diesmal ist es eine rote Nelke, geschmückt mit einem gelb-blauen Band, den Nationalfarben der Ukraine. Es ist ein stilles Gedenken an die Schrecken eines Krieges, den der Kreml nach wie vor „Spezialoperation“ nennt. An die Menschen, die diese Schrecken erleiden müssen, hauptsächlich in der Ukraine, nunmehr aber auch in der russischen Grenzregion Belgorod.
Größere Protestaktionen, Demonstrationen wie zu kurz nach der Invasion vor über einem Jahr, gibt es in Russland längst nicht mehr. Die Opposition ist weitgehend zerschlagen. Zu Beginn gab es immer wieder Frauen, die den Protest mit ihren phantasievollen Aktionen getragen haben. Feministinnen veröffentlichten im Netz ein Manifest, forderten „die Entwicklung einer gerechten, gleichberechtigten Gesellschaft, in der Gewalt und militärische Konflikte keinen Platz haben dürfen“. Die meisten dieser starken Frauen sind inzwischen ins Ausland geflohen, viele sitzen im Gefängnis. Sie aber ist geblieben: Die Künstlerin Elena Osipowa aus Sankt Petersburg.
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Verdacht auf Verbreitung von „Fake news“ über Russland
Geboren wurde sie 1945, als Sankt Petersburg noch Leningrad hieß. Ihre Eltern überlebten die Leningrader Blockade durch die Deutschen, alle anderen Familienmitglieder starben damals. Elena Osipowa malt Bilder, Plakate, setzt sich mit der gesellschaftlichen Realität in Russland auseinander, trägt sie auf Protestveranstaltungen. Um häusliche Gewalt gegen Frauen und Kinder geht es ihr genauso wie um den Ukraine-Krieg.
Sie lässt sich nicht kleinkriegen, auch nicht von dem Schlaganfall, den sie gerade überstanden hat. Frisch aus dem Krankenhaus entlassen, war die 77-Jährige vor wenigen Tagen wieder auf der Straße. „Russland braucht Rehabilitation nach einer schweren Krankheit“, stand auf ihrem Plakat. Festgenommen wurde sie nicht. Doch ihre Bilder, die sie zuvor in einer Ausstellung im Regionalbüro der Oppositionspartei Jabloko gezeigt hatte, wurden beschlagnahmt. Der Vorwurf der Behörden, laut dem Online-Portal „Meduza“: Verdacht auf Verbreitung von „Fake News“ über die russische Armee.
Russland hat Tolokonnikowa zur Fahndung ausgeschrieben
Die schrille Punk-Band „Pussy Riot“ hat das Land längst verlassen. Im Mai war sie auf Deutschland- und Österreich-Tour. „Auf aggressiven, hämmernden elektronischen Beats erzählt die Aktivistin Maria Aljochina ihre Geschichte in einem wilden Mix aus Rap, Gesang, Tanz und Dokumentarfilm“, schreibt ein Musikkritiker des MDR über den Auftritt der Band in Görlitz. Auch ihr inzwischen berühmt gewordenes „Punk-Gebet“ gehört zur Show. Genau 41 Sekunden dauerte im März 2012 der spontane Aufritt in der Moskauer Christ-Erlöser-Kathedrale, dem Herzstück der russisch-orthodoxen Kirche. „Jungfrau Maria, heilige Muttergottes, räum Putin aus dem Weg. Das Gespenst der Freiheit ist im Himmel.“
Land | Ukraine |
Kontinent | Europa |
Hauptstadt | Kiew |
Fläche | 603.700 Quadratkilometer (inklusive Ostukraine und Krim) |
Einwohner | ca. 41 Millionen |
Staatsoberhaupt | Präsident Wolodymyr Selenskyj |
Regierungschef | Ministerpräsident Denys Schmyhal |
Unabhängigkeit | 24. August 1991 (von der Sowjetunion) |
Sprache | Ukrainisch |
Währung | Hrywnja |
Maria Aljochina und ihre Mitstreiterin Nadeschda Tolokonnikowa mussten dafür ins Straflager. Am 23. Dezember 2013, drei Monate vor Ablauf ihrer regulären Haftzeit, wurden beide freigelassen. Der Protest gegen die Kämpfe in der Ukraine gehört inzwischen zur Show der Band. Tolokonnikowa lebt heute in den USA, Russland hat sie zur Fahndung ausgeschrieben.
Ekaterina Selenkina stieg mit blutiger Babypuppe in die U-Bahn
Am Protest gegen den Krieg beteiligte sich auch die preisgekrönte Filmregisseurin Ekaterina Selenkina. Sie fuhr mit der Metro durch Moskau. Hin und her, ohne Ziel. Es war eine Kunstaktion. In der Hand hielt sie eine blutige Schaufensterpuppe, ein Baby. Auf dem Netz-Portal „Mediazona“ begründete sie damals ihre Aktion. Der Krieg in der Ukraine sei weitgehend aus dem Bewusstsein der Russen und aus dem öffentlichen Raum in Moskau verdrängt.
„Wenn ich mit einem Baby in einer blutigen Windel die U-Bahn betrete, versuche ich, zufällige Passanten mit dem Unerträglichen und Unvorstellbaren zu konfrontieren. Sie sollten sich den Schrecken des Krieges stellen.“ Einer drohenden Festnahme entzog sich Selenkina, sie floh ins Ausland.
Statt Preisschilder fanden die Käufer Zettel mit Informationen über Kriegsopfer
In mehrfach verlängerter Untersuchungshaft sitzt dagegen die Künstlerin Alexandra Skotschilenko. Zu Beginn der Kämpfe in der Ukraine hatte sie eine neue Form des Protestes und gleichzeitig der Information entwickelt. Die junge Frau dachte sich: Viele Menschen in Russland schauen ausschließlich Staatsfernsehen – und gehen zum Einkaufen in den Supermarkt. In den Supermarkt ging die Künstlerin auch. Dort tauschte sie die Preisschilder aus gegen Zettel, auf denen Informationen über die Opfer des Krieges in der Ukraine zu lesen waren. Alexandra Skotschilenko wurde erwischt.
Im September letzten Jahres wurde gegen sie Anklage erhoben. Ihr drohen bis zu zehn Jahren Haft. Gesundheitlich gehe es ihr schlecht, sagt ihre Kardiologin Darja Chaschtschewskaja, die Alexandra Skochilenko in der Untersuchungshaftanstalt untersuchte. Sie habe einen Herzfehler, das Leben des Mädchens sei in Gefahr, es bestehe die Gefahr eines Herzstillstands, berichtet das Online-Medium MR7.ru. Der nächste Gerichtstermin ist in Kürze in Sankt Petersburg.
„Es gibt viele im Land, die die Kriegspolitik nicht unterstützen“
Der stille Protest am Denkmal der ukrainischen Dichterin aber geht weiter. Zum Jahrestag der Invasion waren gut ein Dutzend Menschen gekommen. Eine Frau sagte: „Man kann nicht alle Menschen in Russland beschimpfen. Es gibt viele im Land, die die Kriegspolitik nicht unterstützen.“ Und ihre Freundin ergänzte: „Ich schäme mich sehr, dass ich in dem Land lebe, das das angefangen hat.“ Doch die Blumen am Denkmal werden weniger.
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