Arnsberg. Heinrich Böckelühr, neuer Regierungspräsident in Arnsberg, ist seit 50 Tagen im Amt. Seine Aufgabe Nummer 1: Krisenmanagement.
Die Behörde des CDU-Politikers und ehemaligen Bürgermeisters von Schwerte ist NRW-weit zuständig für die Verteilung von Flüchtlingen auf die Kommunen. Das Problem spitzt sich zu, sagt Böckelühr. Sein erstes Interview hat er mit dieser Redaktion geführt.
Können Sie Krise?
Heinrich Böckelühr: Ich habe Krise gelernt in meiner Zeit als Bürgermeister in Schwerte. Das waren zwar eher örtliche Krisen, jetzt geht es um ganz andere Dimensionen. Seit meinem ersten Tag in der Bezirksregierung treibt mich das Thema Flüchtlinge um. In den Jahren 2015/2016 habe ich die Probleme von der anderen Seite erlebt, nämlich als Vertreter einer Kommune. Deshalb weiß ich, was wir heute besser machen müssen.
Und das wäre?
Ich habe den Eindruck, es ist bei manchen politisch Verantwortlichen noch nicht angekommen, welche Probleme auf uns zurollen. Wir haben jetzt schon in NRW 100.000 Menschen mehr aufgenommen als zum Höhepunkt der Krise im Jahr 2015. Momentan kommen wöchentlich zwischen 2200 und 2500 Flüchtlinge dazu. Die Unterbringung ist Aufgabe der Kommunen. Mehr als ein Drittel von ihnen hat bereits angezeigt, dass sie überlastet sind. Wenn das Wetter schlechter wird, werden wahrscheinlich noch mehr Menschen zu uns kommen. Das gilt auch für den Fall, dass sich der Krieg in der Ukraine verschärft. Und die Flüchtlinge aus anderen Ländern kommen ja noch dazu. Es gibt aber bei uns kaum noch Wohnraum. Wir müssen jetzt schnell Entscheidungen treffen, um im Winter nicht vor vollendete Tatsachen gestellt zu werden.
„Wir brauchen jetzt größere Aufnahmeeinrichtungen“
Was heißt das konkret?
Wir brauchen jetzt größere Aufnahmeeinrichtungen. Das Land muss sich dieser Verantwortung stellen. Wir müssen uns darauf vorbereiten, dass die Zahlen weiter steigen werden. Alles andere wäre töricht. Und mit der Unterbringung allein ist es ja nicht getan: Wir stehen gemeinsam in der Pflicht, die Menschen zu integrieren. Also ist mehr Personal nötig, also brauchen wir mehr Plätze in den Schulen und Kitas. Vor den Herbstferien konnten 600 Flüchtlingskinder im Regierungsbezirk nicht zur Schule gehen. Selbstverständlich benötigen die Kommunen für ihren Aufwand auch einen finanziellen Ausgleich.
Wer muss die Kapazitäten schaffen: Land oder Kommunen?
Das ist eine Frage, die ebenfalls schnellstens beantwortet werden muss. Das Land stellt momentan deutlich weniger Unterkünfte zur Verfügung als 2015/2016. Landesflüchtlingsministerin Josefine Paul hat gerade angekündigt, dass 3800 neue Plätze geschaffen werden sollen. Das reicht für etwas mehr als eine Woche. Ich bin mir sicher, dass die vom Land avisierten 33.800 Plätze nicht ausreichen werden. Wir können die Menschen doch nicht im Regen oder gar im Schnee stehen lassen. Ich fordere aktives Handeln.
Geht das Problem in der öffentlichen Wahrnehmung unter?
Zumindest die Bürgermeisterinnen und Bürgermeister haben es deutlich im Blick. Existenziell ist das Flüchtlingsthema in den Kommunen das Thema Nummer eins. Bisher haben wir die Krise relativ geräuschlos organisiert. Ich fürchte jedoch, dass sich die Lage zuspitzen wird. Zudem wird diese Krise von den anderen Krisen überlagert.
Windräder an einem Ort konzentrieren
Das stimmt. Da wäre zuerst die Energiekrise zu nennen. Bei ihrer Bewältigung fällt der Bezirksregierung eine neue Verantwortung zu. Windkraftanlagen müssen zukünftig von Ihrer Behörde genehmigt werden. Das finden nicht alle Bürgermeister gut.
Der Bund hat dem Land vorgegeben, 1,8 Prozent der Fläche bis 2032 für Windenergie vorzuhalten. Der Koalitionsvertrag in NRW sieht den Bau von 1000 neuen Anlagen vor. Das müssen wir auch in der Regionalplanung umsetzen. Zunächst identifizieren wir die geeigneten Flächen.
Fürchten Sie Konflikte?
Ich befürworte die Konzentration mehrerer Anlagen an einem Ort. Das erscheint mir ökologisch und ökonomisch sinnvoller als viele im ganzen Land verteilte Windräder. Selbstverständlich müssen die betroffenen Kommunen entlastet werden, etwa durch eine Beteiligung an den Einnahmen. Es wird auch meine Aufgabe sein, vor Ort mit den Städten und den Bürgern über das Thema zu sprechen, denn Lösungen schaffen wir nur im Konsens. Da verstehe ich mich als Brückenbauer. Fest steht aber auch, dass es zunächst bezogen auf mögliche Standorte, zum Beispiel im Wald oder in Schutzgebieten, keine Denkverbote geben darf. Unser gemeinsames Ziel ist die Unabhängigkeit von russischer Energie. Ich sehe keine Alternative als die Regenerativen.
A 45: „Diese Region benötigt echt Unterstützung“
Haben Sie genug Personal für die Genehmigungen?
Noch stehen wir ja nicht in der Pflicht. Im Rahmen des Nachtragshaushaltes hat das Land jedoch für jede Bezirksregierung zwölf zusätzliche Stellen vorgesehen. Es handelt sich um Ingenieure, und es ist eine spannende Frage, ob wir als Behörde im Kampf um die besten Köpfe mithalten können. Eventuell müssen wir Leute aus anderen Abteilungen abziehen.
Kommen wir zu einer regionalen Krise: der gesperrten A 45. Geht Ihnen auch alles zu langsam?
Jede Woche, die der Neubau eher fertig wird, hilft dieser Region. Alle an diesem Projekt beteiligten Akteure sind gut beraten, so viel Tempo wie möglich zu machen. Ich habe mir die Lage neulich vor Ort angesehen. Die Hauptschlagader dieser Region ist kollabiert. Lüdenscheid erstickt im Verkehr. Die Auswirkungen werden jetzt erst Schritt für Schritt sichtbar. Die Autobahn ist ein Dominostein, der die ganze Reihe zum Umkippen bringen könnte. Zusammen mit der Inflation, der Rezession und dem Facharbeitermangel bildet sich eine gefährliche Gemengelage. Diese Region benötigt echt Unterstützung, auch finanzieller Art. Im östlichen Ruhrgebiet helfen wir, den Strukturwandel zu schaffen. Ähnliches braucht auch die bisher wirtschaftsstärkste Region von NRW. Vom Bund erwarte ich, das Planungsrecht so zu gestalten, dass ein Neubau so schnell wie möglich umgesetzt werden kann. Man darf die Menschen und die Unternehmen dort nicht hängen lassen.