Berlin. Dominique Pelicot ließ seine Frau vergewaltigen, P. Diddy sitzt in U-Haft wegen sexueller Gewalt. Ein Experte erklärt, was die Fälle besonders macht.
Es sind monströse Taten, über die derzeit die Welt spricht. Der Franzose Dominique Pelicot hat gestanden, dass er seine Ehefrau Gisèle betäubt von mindestens 50 fremden Männern vergewaltigen ließ. Auf der anderen Seite des Atlantiks sitzt der berühmte Rapper P. Diddy in Untersuchungshaft, weil ihm unzählige Frauen, Männer und Minderjährige sexuelle Gewalt und Missbrauch vorwerfen. Was haben beide Männer gemeinsam? Prof. Dr. Dieter Seifert, ärztlicher Direktor der forensischen Psychiatrie der Christophorus Klinik in Münster, spricht im Interview über Sexualstraftäter, ihre Behandlung und die Rückfallquote.
Was haben Männer ihre Erfahrung nach gemeinsam, die ihre Ehefrauen vergewaltigen?
Prof. Dieter Seifert: Das kann man nicht pauschal beantworten. Ein Großteil hat sicherlich eine Aggressionsproblematik und zugleich eine tendenziell despektierliche Meinung Frauen gegenüber. Oft weist diese Geringschätzung von Frauen auf ein gestörtes Verhältnis zum Elternhaus hin, in dem ähnliche Ansichten herrschten, also vorgelebt wurden.
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Derzeit prägen vor allem zwei Fälle von sexueller Gewalt die Nachrichten: Avignon und P. Diddy. Was ist daran auffällig?
Seifert: Ich will und kann hier natürlich keine Ferndiagnose abgeben. Aber insbesondere Männer in exponierten Positionen, die über die Karriere von Frauen bestimmen, wie zum Beispiel Film-Produzenten oder Regisseure oder eben auch erfolgreiche, von vielen Frauen angehimmelte Musiker, nehmen vereinzelt die Grenzen nicht mehr so klar wahr. In entsprechenden Situationen nutzen sie ihre Macht gern einmal aus.
Dieser grundsätzlichen Gefahr sollten sich Frauen bewusst sein. Bei derartigen Konstellationen kann man nicht von einer Beziehung im eigentlichen Sinne sprechen, die Frau wird ausschließlich als Objekt der Begierde wahrgenommen. Diese Dynamiken sind folglich völlig andere im Vergleich zu sexuellen Übergriffen in Partnerschaften.
Welche Auswirkungen haben solche prominenten Taten für die Öffentlichkeit?
Seifert: Erstmal ist man natürlich schockiert. Eine breite öffentliche Diskussion darüber kann aber eben auch Bewegungen wie „#MeToo“ hervorbringen. Und das wiederum kann Opfer dazu bewegen, derartige Gewalttaten nunmehr auch anzuzeigen. Ich schätze, dass dadurch die Dunkelziffer sexueller Übergriffe in den vergangenen Jahren etwas zurückgegangen ist.
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Was reizt Männer wie Dominique Pelicot daran, ihre Frauen zu betäuben und vergewaltigen zu lassen oder selbst zu missbrauchen?
Seifert: Der Umfang und die Arten sexueller Fantasien ist bekanntlich sehr groß. Dass sich Männer so etwas, wie in Avignon passiert, in ihrer Fantasie vorstellen, mag ja sein und wird wohl kein Einzelfall sein. Das aber in die Realität umzusetzen, ist nochmal ein ganz anderer Schritt. Was Männer und speziell den Ehemann des Opfers zu solchen Taten gebracht hat, ist mir ehrlich gesagt auch ein Rätsel. Beachtenswert und daher unbedingt hervorzuheben ist die mutige Reaktion seiner Frau, die dadurch möglicherweise vielen anderen Missbrauchsopfern neue Kraft gegeben hat.
So werden Sexualstraftäter in der Psychiatrie behandelt
Wie werden Sexualstraftäter bei Ihnen behandelt?
Seifert: Der Grundgedanke ist: Wir müssen verstehen oder nachvollziehen können, wieso der Täter zum damaligen Zeitpunkt ein solches Sexualdelikt begangen hat. Wir nennen das „individuelle Delikthypothese“. Erst wenn wir das verstanden haben, wissen wir, wo wir mit der Behandlung ansetzen können. Wir therapieren in unserer Klinik Patienten mit einer Intelligenzminderung oder Lernbehinderung.
Wenn sich ein Patient beispielsweise an Kindern vergangen hat, müssen wir folgende Fragen stellen: Liegt es daran, dass er eine fixierte pädophile Orientierung hat? Oder aber liegt es daran, dass er die Taten deswegen verübt hat, weil er aufgrund seiner Intelligenzminderung nicht an Frauen in seinem Alter herankommt, sich auch nicht traut. Die sind ihm meistens kognitiv überlegen und das Kind ist eben das leichtere Opfer.
Wie geht es dann weiter?
Seifert: Bei Sexualstraftätern setzen wir grundsätzlich Psychotherapie ein. Ein wichtiger Baustein ist die Deliktbearbeitung, dort rekonstruieren wir gemeinsam mit dem Patienten unter Hinzuziehung der Akten sein Delikt. Der Täter sollte nicht nur verstehen, was er getan hat und was er damit beim Opfer angerichtet hat. Im nächsten Schritt soll er darüber hinaus auch Strategien erlernen, wie er seine sexuellen Fantasien steuern kann, um nicht wieder rückfällig zu werden.
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Werden auch Medikamente verabreicht?
Seifert: Bei einigen Patienten haben wir gute Erfahrungen mit antihormoneller Medikation sammeln können. Diese Behandlung führt zur besseren Beherrschung bis hin zur Unterdrückung des Sexualtriebs. Anhand von Blutuntersuchungen kann man feststellen, dass das männliche Geschlechtshormon Testosteron deutlich abfällt. Dies passiert üblicherweise in den ersten drei Wochen und hält dann dauerhaft an. Allerdings dauert es mehrere Monate, bis sich wesentliche Änderungen in der Gedankenwelt des Täters einstellen. Seine sexuellen Fantasien sind dann nicht mehr so drängend, im Kopf ist quasi auch Platz für andere Sachen und Gedanken. Viele Patienten werden nach etwa einem halben Jahr wesentlich zugänglicher, können nunmehr über ihre Sexualproblematik sprechen.
Gewalt und Vergewaltigung: Das sind die Risiken für einen Rückfall
Was braucht es, dass ein Täter nicht erneut zum Täter wird?
Seifert: Einsicht ist ein elementares Therapieziel. Der Patient sollte am Ende der Behandlung eigenständig Risikokonstellationen erkennen und entsprechend rechtzeitig reagieren. Ein Pädophiler beispielsweise sollte natürlich nicht zu Kinderspielplätzen oder ins Schwimmbad gehen. Solche für ihn risikobehaftete Konstellationen soll er eigenständig erkennen und entsprechend handeln.
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Wie hoch ist die Rückfallquote bei Sexualstraftätern?
Seifert: Bei Männern, die Sexualdelikte innerhalb der Familie gemacht haben, ist der Anteil innerhalb der folgenden 10 Jahre vergleichsweise gering, meistens um 10 bis 15 Prozent. Bei anderen Sexualdelikten liegen die Zahlen etwas höher, um 20 bis 25 Prozent.
Am höchsten ist die Rückfallquote bei denjenigen, die eine ausgeprägte Sexualpathologie aufweisen. Oftmals sind das die Täter, die schwerste Sexualdelikte begangen haben, bei denen beispielsweise Sadismus eine Rolle spielt. Eine psychotherapeutische Behandlung, gegebenenfalls in Kombination mit einer antihormonellen Medikation reduziert nachweislich die Gefahr weiterer Sexualstraftaten.
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Anmerkung der Redaktion
Von (häuslicher) Gewalt betroffene Frauen erhalten Unterstützung beim bundesweiten Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“ der Bundesregierung unter der 116 016. Der Anruf ist kostenlos und auf Wunsch anonym. Über die Internetseite www.hilfetelefon.de können sich Betroffene zudem online per E-Mail oder Chat beraten lassen.
Alternativ können Sie sich auch an die Telefonseelsorge wenden. Sie erreichen sie telefonisch unter 0800/111-0-111 und 0800/111-0-222 oder im Internet auf www.telefonseelsorge.de. Die Beratung ist anonym und kostenfrei, Anrufe werden nicht auf der Telefonrechnung vermerkt.