Köln. Bei „Du gewinnst hier nicht die Million“ offenbart sich im zweiten Teil der Raab-Show das Kernproblem der neuen RTL+-Sendung.
Auf eine Premiere kann man monatelang hinarbeiten. Daran feilen, bis jede Schraube sitzt. Überraschungseffekte beim Publikum sind fast garantiert. Schwierig wird es ab der zweiten Show. Die wöchentliche Routine beginnt. Die Zuschauer wissen, was kommt – und müssen trotzdem unterhalten werden. Vor dieser Herausforderung stand am Mittwochabend Stefan Raab bei der zweiten Ausgabe von „Du gewinnst hier nicht die Million“ (mittwochs, ab 20.10 Uhr bei RTL+).
Bestanden? Der zweite Raab-Aufschlag hatte seine Höhen und Tiefen. Das Kernproblem der Sendung, das paradoxerweise auch mit der Stärke des Moderators zusammenhängt, zeigte sich in der zweiten Hälfte, aber dazu später mehr.
Stefan Raab: „Ich bin komplett woke geworden“
Der erste Teil der Sendung bestand wieder aus Raabs Neuinterpretation von „TV Total“. Er startete mit einem Gag zum „Tag der Zahngesundheit“ und präsentierte sich mit überdimensionaler, strahlend weißer Fake-Kauleiste, wie sie sonst nur Max Giermann bei einer Raab-Parodie in den Mund nehmen würde. Kann man machen, den Gag. Trägt sich aber nicht über eine komplette Stunde. So lange behielt Raab die falschen Zähne aber ungefähr drin und führte mit erzwungenem Sprachfehler durch die Sendung. Nach 45 Minuten hatte er selbst festgestellt: „Ich glaube, es nervt mich selber – jetzt schon.“
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Auch sonst wirkte vieles wie Raab-Humor der Nullerjahre. Er amüsierte sich, dass seine Fans – auf Raabs Geheiß hin – bei Kai Pflaume auf Instagram massenweise „Arschficksong“ in die Kommentare geschrieben hatten. Und fand einen Medienbericht witzig, wonach ein Deutscher auf Mallorca einem anderen Mann gegen dessen Willen Äpfel in den Po eingeführt haben soll – ein mutmaßliches Sexualverbrechen. Was seinen Gagschreibern zu dem kuriosen Bericht einfiel, dass Bill Kaulitz nun Botschafter für schwule Schafe sei? Bitte nicht „mit Tom verwechseln“, der sei ja für „eine alte Zicke“ zuständig. Irgendwann meinte Raab dann selbst ironisch: „Ich bin komplett woke geworden. In drei Sendungen cancel ich mich selber.“
Raab zockt auf Parkbank Passanten ab
Deutlich mehr Charme hatte da ein längerer Einspieler, ein weiterer wiederbelebter Raab-Klassiker: Raab setzt sich irgendwo auf eine Bank, interagiert mit Fremden, die ihn mal erkennen und mal auch nicht und lässt sich dabei mit versteckter Kamera filmen. Er hat sogar Quizfragen mit dabei und tritt spontan gegen Passanten an. Wenn er gewinnt, und das tut er immer, müssen die anderen zahlen. Kein Cash? Kein Problem! Raab hat ein Kartenlesegerät dabei. Das passt zu ihm.
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Dass dem Team bei dem Dreh dann auch noch eine Kamera gestohlen wurde, erwies sich als Glücksfall. So konnte man direkt noch eine „Aktenzeichen XY“-Parodie hinterherschieben, die ein paar gute Lacher bot.
Was im ersten Teil der Show hin und wieder verkrustet wirkt, mag vielen Raab-Fans trotzdem gefallen. Wieso auch nicht? Jeder Jeck is anders, würde der Kölner sagen.
Ist Raab zu gut? Oder sind die anderen zu schwach?
Doch der zweite Teil der Show, der unverkennbar an „Schlag den Raab“ angelegt ist, hat ein tiefgreifenderes Problem: die Kandidaten.
Raab hat jahrelang bewiesen, dass er ein nur schwer zu besiegender Gegner ist. Er verfügt über eine breite Bildung, findet in merkwürdigen Aufgaben und Spielen schnell die richtigen Lösungswege und ist wahnsinnig ehrgeizig. Bei „Schlag den Raab“ gab sich das Team entsprechend große Mühe, Kandidaten zu finden, die mithalten konnten. Und selbst wenn Raab über weite Strecken der Sendung dominierte, war die Sendung so aufgebaut, dass Spätzünder schnell aufholen konnten.
Doch bei „Du gewinnst hier nicht die Million“ kam bisher kein einziger Kandidat in Reichweite eines nennenswerten Gewinns. Und Raab kam dabei am Mittwoch fast nicht über die Rolle des Fragenstellers hinaus. Der erste Kandidat, der ihn in der ersten Ausgabe noch beim Reifenwechsel besiegt hatte und nun weitermachen durfte, wusste nicht wie die Ehefrau von Christian Lindner heißt. Raus. Der zweite Kandidat stolperte in der ersten Frage über das Werk von Howard Carpendale, den er nicht kannte. Raus. Und der dritte Kandidat scheiterte am Ski-Können von Hansi Hinterseer. Raus. Erst Kandidatin Nummer vier schaffte es mit einem glücklichen Händchen beim Raten bis zur ersten Gewinnstufe, was bedeutete, dass Elton und Spiele-Kommentator Corni Küpper auch noch was für ihre Gage tun durften. (In der ersten Ausgabe hatte es noch drei Spiele gegeben.) Doch der Spaß war schnell vorbei. Raab machte seine Kontrahentin bei einem Ball-Balanceakt platt, 5:0. Raus. „Du gewinnst hier gar nichts“ wäre als Titel der zweiten Show passender gewesen.
Lässt sich das Show-Problem lösen?
Immerhin, die Kandidaten waren sympathisch und es ergab sich eine lockere Atmosphäre. Und Raab nutzte mit kindlicher Freude jede Chance, gemeinsam mit den „Heavytones“ – schön, dass jetzt auch eine Musikerin mit an Bord ist – zu musizieren. Oft hat man den Eindruck: Mehr will er gar nicht.
Um richtig Spannung zu erzeugen, müssen die Macher der Show vielleicht den Aufbau der Quiz- und Spielrunden überarbeiten. Oder sie finden Kandidaten, die einem Raab ernsthaft Paroli bieten können. Sonst wird sich das „Schlag den Raab“-Gefühl von früher nicht wieder einstellen.