Berlin. Die deutschen Kandidatinnen gaben alles beim ESC-Vorentscheid – kamen aber nicht gegen den wahren Star an. Schlechtes Omen für Malmö?
„Hier ist die Loreen aus Berlin Adlershof, hier ist Barbara Schöneberger“, trällert die Moderatorin, als sie umgeben von Tänzern auf der Bühne des ESC-Vorentscheids erscheint. Sie trägt ein enges, oranges Kleid und Handschuhe mit Loreen-Fingernägeln, die an Krallen erinnern. Für heute sei sie eine Mischung aus „Sardelle und Struwwelpeter“, witzelt die 49-jährige ESC-Ikone.
Damit startet die deutsche Kür für den Eurovision Song Contest am Freitagabend – oder besser Freitagnacht, denn erst um 22.20 Uhr fängt das Spektakel an. Ganz schön spät, um neun Kandidaten anzuhören und dann auch noch für deutschen Beitrag zu voten. Barbara Schöneberger leitet die Show gewohnt souverän mit einer ordentlichen Ladung Selbstironie ein: „Freunde, ich bin optimistisch“ und „Wir werden heute einen deutschen Gewinner habe. Das ist doch schon mal was.“
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Auf der Gästecouch nehmen Florian Silbereisen, ESC-Grande Dame Mary Roos, Moderator Ricardo Simonetti und Singer-Songwriterin Alli Neumann Platz. Das erste Gespräch dreht sich um Zahnverfall, worum auch sonst. „Zwischen deutschem Siegen und Zahnausfall, da bewegen wir uns heute“, sagt Schöneberger.
ESC-Vorentscheid 2024: Elektropop-Duo heizt Publikum im Studio ein
Und dann geht es auch schon los: Der erste Performer, der junge Singer-Songwriter NinetyNine, wird in einem Einspieler vorgestellt. Darin läuft der Hamburger wahllos durch Berlin und zwischen Bücherregalen im Berliner Grimmzentrum herum. Warum ausgerechnet da, das wird nicht so recht klar. NinetyNine‘s „bester Freund“ sei auch zu Gast, sagt Schöneberger und das ist kein Geringerer als der deutsche Schauspieler und Autor Mathieu Carrière, der es sich auf dem Künstlersofa gemütlich gemacht hat.
Man habe sich im Zug kennengelernt, heißt es. NinetyNines Song „Love on A Budget“, ein Poplied über Liebe mit schmalen Geldbeutel ist leider weniger einprägsam als das reichlich absurde Vorspiel.
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Als zweiter Act singt die junge Wahl-Hamburgerin Leona eine langatmige Ballade über Liebeskummer. Singer-Songwriter Isaak überzeugt daraufhin mit einer kraftvollen, rauchigen Stimme und der Performance von „Always on the Run“, einem typischen Radiosong. Der sympathische Ostwestfale erntet überragenden Applaus und winkt ihn mit einer peinlich-berührten Geste ab.
Schnitt zu Schöneberger, die plötzlich mit Katzenohren auf dem Sofa sitzt und sich die Hand leckt, als wäre es eine Pfote, „Ich kann mich in Katzen reinversetzen“, sagt sie. Keine Angst, Barbara hat nicht etwa den Verstand verloren, sondern moderiert lediglich das Elektropop-Duo Galant mit ihrem Song „Katze“ an. Der Partyhit könnte so auf jeder Hausparty laufen und heizt das Studio an. Auch Barbara Schöneberger ist begeistert: „Was für ein geiler Song“, ruft sie nach dem Auftritt.
Max Mutzke, Marie Reif, Ryk – Diese Acts stachen beim Vorentscheid heraus
Kurzzeitig gesellen sich Conchita Wurst und Rea Garvey auf Schönebergers Couch. Die beiden suchten im Castingformat „Ich will zum ESC!“ nach einem Kandidaten für den Vorentscheid. Sänger Floryan ging aus dem Format als Sieger hervor. Der schläfert mit seinem Song „Scars“ die Zuschauer jedoch eher ein. Lesen Sie dazu: Mit Rea Garveys Hilfe – Floryan gewinnt „Ich will zum ESC!“
Barfuß im Elfenkostüm und von hängenden Blättern umgehen performt die Niederländerin Bodine Monet den Ohrwurm „Tears Like Rain“. Der als Favorit gehandelte Ryk inszeniert sein atmosphärisches Lied „Oh Boy“ mit opulenten Lichteffekten. Ein Auftritt, der so auch auf der ESC-Bühne stattfinden könnte.
Bevor Marie Reim die Bühne betritt, ist die Kamera auf Mutter Michelle gerichtet, die selbst 2001 beim ESC antrat. Heute sei sie in „Doppelfunktion“ da, sagt sie: Mutter und Betreuerin. Tochter Marie haut alle mit ihrer kräftigen Stimme um, gekleidet in einem von Michelles ESC-Auftritt inspirierten Kleid und umtänzelt von halbnackten Männern performt sie ihren Schlager „Naiv“. Schlussakt Max Mutzke liefert wenig überraschend eine fehlerfreie, stimmstarke Performance von „Forever Strong“ ab. Lesen Sie dazu: Marie Reim über den ESC – „Schlager ist das beste Genre“
Eurovision Song Context 2024: Isaak geht als deutscher Betrag nach Malmö
Bevor die Punkte vergeben werden, gibt es noch einen Unterhosen-Vergleich. Ob Florian seine rote Glücksunterhose anhabe, fragt Schöneberger. Antwort Silbereisen: „Ich habe eine grüne Unterhose an, grün für Hoffnung.“ Simonetti grätscht rein mit „Ich habe eine rote an“ und zieht prompt seine Hose ein Stück runter, um es dem Publikum vor Ort zu demonstrieren. Danach finden sich alle Kandidaten, Florian Silbereisen und Barbara Schöneberger noch zu einem ABBA-Medley auf der Bühne zusammen.
Dann ist es so weit, Deutschland und die Jury-Mitglieder haben gewählt. Nach einem kurzen Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Max Mutzke und Isaak ist klar: Der Newcomer darf nach Schweden fahren. Isaaks Song „Always on the Run“ hat sowohl Jury als auch Publikum überzeugt. Der 28-Jährige ist nach Bekanntgabe sichtlich überwältigt und schreit vor Glück. Ehefrau Loreen weint und alle Anwesenden der Isaak-Fraktion fallen in eine Gruppenumarmung zusammen. „Ich freu mich so für dich“, strahlt Schöneberger.
Barbara Schöneberger war der wahre Star des ESC-Vorentscheid
Was wäre der ESC-Vorentscheid ohne ein paar Überraschungen abseits der Bühne? Ricardo Simonetti, der am Tag des Vorentscheids 31 Jahre alt wird, bekommt mal eben zu seinen Ehren eine pompöse Geburtstagstorte mit brennenden Kerzen überreicht. „Ricardo, pass auf, du gehst sonst in Flammen auf“, warnt Silbereisen. Auch Mary Roos wird bejubelt „Mary! Mary! Mary!“ schallt es zu einem Zeitpunkt durch Adlershofer Studio.
Allgemein tragen Silbereisen und Simonetti und vor allem Moderatorin Barbara Schöneberger auch dieses Jahr den Vorentscheid. Schöneberger ist am Freitagabend in absoluter Topform, hält bis zum Ende der Show um 0.40 Uhr ihren charakteristischen Charme und Witz aufrecht. So gut die Kandidaten in diesem Jahr sein mögen, an Schönebergers Entertainmentfaktor kommt keiner von ihnen ran.
Wie oft es dieses Jahr wieder „Germany Zero Points“ heißt, wird sich zeigen. Falls der NDR mit Isaak eine Pleite einsackt, könnte es sein, dass der Sender die Verantwortung für den Vorentscheid abgeben wird. Entsprechende Gerüchte kursieren seit längerem. Welcher Sender auch immer folgt, sollte in jedem Fall an der selbsternannten „ESC-Babsi“ festhalten.