Berlin. Ein Fund, wie es ihn noch nie gegeben hat. Die neue Zwerggalaxie könnte unser Verständnis von dunkler Materie revolutionieren.
Wenn kleine Kinder beim „Fangen“-Spiel nicht gefunden werden wollen, halten sie sich die Hände vors Gesicht. Wenn sich kleine Galaxien verstecken wollen, machen sie sich besonders groß. Beides sollte eigentlich äußerst geringe Erfolgsaussichten haben. Dennoch sind Forscher von den Kanaren gerade auf eine neue Galaxie gestoßen, die genau so funktioniert. Wobei „Nube“, so heißt die Neuentdeckung, nicht wirklich klein ist: Sie ist nur besonders leicht. Und gleichzeitig besonders weit ausgedehnt, was in dieser mysteriösen Form bislang noch niemand gefunden hatte.
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„Mit unserem aktuellen Wissen verstehen wir nicht, wie eine Galaxie mit solchen extremen Eigenschaften existieren kann“, sagt Wissenschaftlerin Mireia Montes vom Instituto de Astrofísica de Canarias (IAC) über ihren neuen Fund. In einer Studie, die im Journal „Astronomy & Astrophysics“ veröffentlicht wurde, erklären Montes und ihr Team, dass „Nube“ zehn Mal schwächer leuchtet als andere Galaxien ihres Typs. Und dafür das zehnfache Volumen hat. Durch die weite Verteilung leuchtet der galaktische Zwerg so schwach, dass er bei bisherigen Himmelsdurchsuchungen nicht aufgefallen ist.
Zumindest nicht als eigene Galaxie. Bisher dachten Forscher, bei „Nube“ handele es sich um eine Art Fehler in der Aufnahme. Quasi einen astrophysischen Geist, der sich erst jetzt zu erkennen gegeben hat. Die Zwerggalaxie wird aber noch ein bisschen durch die Köpfe der Forschenden spuken, einige große Fragen sind nämlich weiterhin offen. „Es ist möglich, dass wir mit dieser Galaxie [...] ein neues Fenster zum Verständnis des Universums öffnen werden“, spekuliert Ignacio Trujillo, ein Mitverfasser der Studie.
Was ist eine Galaxie? Selbst kosmologische Modelle stoßen bei „Nube“ an ihre Grenzen
Normalerweise sind Galaxien besonders im Inneren extrem dicht und verlieren sich zum Rand hin. Bei „Nube“ ist die Sternendichte überall gleich klein. Das überfordert nicht nur die Wissenschaftler auf La Palma, sondern auch herkömmliche kosmologische Simulationen. In einem üblichen Modell mit kalter dunkler Materie („Dark Matter“) kann die Zwerggalaxie zum Beispiel nicht reproduziert werden.
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Es könnte also sein, „dass die Teilchen, aus denen dunkle Materie besteht, eine extrem geringe Masse haben“, erklärt Trujillo. Und ist begeistert: „Wenn sich diese Hypothese bestätigt, wäre dies eine der schönsten Demonstrationen der Natur, die die Welt des Kleinsten mit der des Größten vereint.“ Bis jetzt hat dunkle Materie als Erklärung für kleinteilige Details wie bei „Nube“ nicht funktioniert. So würde ein kleiner Zwerg der Quantenphysik im galaktischen Maßstab weiterhelfen.
Astronomische Neuentdeckung wird von kleinem Mädchen als Wolke getauft
Bei der Distanz zur Erde muss sich das Forschungsteam bislang auf Schätzungen verlassen. Dem Gran Telescopio Canarias und dem Green Bank Observatory sind zwar die ungewöhnlichen Aufnahmen gelungen. Aber für genauere Daten braucht es Maschinen, die exakter messen können. Zum Beispiel das „Very Large Array“ in den USA, hier stehen weitere Beobachtungen an. Aktuell schätzen die Forscher die Entfernung von „Nube“ auf etwa 300 Millionen Lichtjahre.
Auf den Namen für die galaktische Neuentdeckung ist das Forschungsteam übrigens nicht selbst gekommen. Die fünfjährige Tochter eines der beteiligten Wissenschaftler hatte die zündende Idee. Ihr erschien die Galaxie auf den Aufnahmen durch ihre nebulöse Ausdehnung wie eine Wolke, also auf Spanisch „Nube“. Ein kleines Mädchen, das sich die Hände beim „Suchen“ wahrscheinlich nicht mehr vors Gesicht hält.
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