Mexiko-Stadt. Der Maya-Zug soll Millionen Urlauber zu den Kulturstätten Mexikos bringen. Doch das Vorzeigeprojekt hat eine furchtbare Schattenseite.

Die ersten Tickets waren in wenigen Minuten ausverkauft – trotz der mutigen Preise. 1161 Pesos ruft der „Tren Maya“ für die Jungfernfahrt am Samstagmorgen von Campeche nach Cancún auf. Das sind umgerechnet 62 Euro. Ein Business-Ticket kostet sogar 100 Euro für die dreistündige Fahrt über rund 450 Kilometer. Aber es ist ja auch gewissermaßen eine historische Reise. Die Bahn soll Millionen Touristen von ihren Badeorten aus durch die Halbinsel Yucatán befördern.

Der Zug wird zunächst zwischen San Francisco de Campeche am Golf von Mexiko und Cancún in der Karibik fahren. Die Strecke ist 473 Kilometer lang. Wenn dann im kommenden Jahr mal alles fertig sein sollte mit dem Verkehr, wird die Strecke gut 1500 Kilometer lang sein, was ungefähr der Entfernung von Berlin nach Rom entspricht.

Es ist das größte, teuerste und ambitionierteste der vielen Infrastrukturprojekte von Mexikos Linkspräsident Andrés Manuel López Obrador. Es ist aber auch das umstrittenste Projekt.

Für Umweltschützer ist der Maya-Zug das größte Desaster

Die Kosten sind von 8 auf 20 Milliarden Dollar explodiert, die Umweltschäden bezeichnen Ökologen als ein Desaster, die angeblichen wirtschaftlichen Vorteile sind zumindest strittig. Und beim Bau ging Geschwindigkeit vor Sicherheit.

Der Maya-Zug soll ab 2024 Touristen durch den Dschungel Mexikos zu bekannten Maya-Stätten transportieren.
Der Maya-Zug soll ab 2024 Touristen durch den Dschungel Mexikos zu bekannten Maya-Stätten transportieren. © REUTERS | LORENZO HERNANDEZ

López Obrador, der sein Lieblingsprojekt gegen Widerstände und Widrigkeiten durchgepeitscht hat, erhofft sich von dem Maya-Zug eine Ankurbelung des wirtschaftlich hinterherhinkenden und schlecht angebundenen Südwestens Mexikos und natürlich eine Attraktion für den Tourismus.

Der Maya-Zug gilt als Image-Projekt des mexikanischen Staatschefs

Aber es soll auch eine kleine Verkehrswende einleiten – die Eisenbahn soll in Mexiko wieder eine Rolle als Verkehrsmittel bekommen, die sie in dem Land wie in fast ganz Lateinamerika bereits seit Langem verloren hat.

Am allerwichtigsten scheint dem Staatschef aber, sein Mandat mit einem Projekt zu krönen, das wie das Juwel seiner Amtszeit glänzen soll. In Erinnerung bleiben aber genauso die falschen Versprechen und die autoritären Entscheide, mit der er alle Kritik, Einwände und auch Urteile abgeschmettert hat.

Oberstes Ziel war es, die erste von sieben Teilstrecken noch vor Weihnachten einzuweihen und das ganze Projekt 2024 fertigzustellen, bevor López Obrador zum Ende des kommenden Jahres das Zepter an seine Nachfolgerin übergibt.

Die wirtschaftliche Entwicklung stellt Umweltfragen in den Schatten

Dabei konnte man auch nahezu lehrbuchhaft sehen, dass bei derartigen Megaprojekten in Lateinamerika Klima- und Umweltfragen fast immer zurückstehen müssen. Der wirtschaftlichen Entwicklung, den Arbeitsplätzen und dem sozialen Nutzen wird fast immer der Vorrang vor den ökologischen Gesichtspunkten zugestanden. Mexiko ist dafür nur ein besonders krasses Beispiel, aber diese Abwägung ist in der ganzen Region weitverbreitet.

Und so waren die Umweltauswirkungen des Zugbaus von Anfang an eine Belastung für das Projekt. Die Abholzung von Tausenden Hektar Dschungel, die Zerstörung von Mangroven, die Konstruktion über extrem empfindlichem Gelände haben eine breite Front von Aktivisten gegen das Projekt entstehen lassen.

Das hoch umstrittene Projekt soll 100.000 Arbeitsplätze geschaffen haben

Allerdings hat der „Tren Maya“ auch viele Befürworter, weil er in einer der ärmsten Regionen Mexikos wirtschaftliche Entwicklung und angeblich 100.000 Arbeitsplätze schaffen könnte.

Bauarbeiten für den Maya-Zug im Dschungel nahe dem Badeort Playa del Carmen.
Bauarbeiten für den Maya-Zug im Dschungel nahe dem Badeort Playa del Carmen. © DPA Images | Andrea Sosa

Der Maya-Zug hat das Licht der Welt in Rekordzeit erblickt. „Wir haben es in fünf Jahren geschafft, während sie in Spanien für eine vergleichbare Strecke 16 benötigten“, ätzte López Obrador kurz vor der Einweihung. Aber genau hier liegt eines der vielen Probleme dieses ambitionierten Zugprojekts, bei dem auch die deutsche DB Engineering & Consulting beratend zur Seite stand.

Das Terrain auf der Halbinsel Yucatán ist mit seinen unterirdischen Seen (Cenotes) und Flüssen, seinem Dschungel, seinen gefährdeten Wildtieren und Fledermäusen und seiner seltenen Flora und Fauna ein so kompliziertes Terrain für den Bau einer Hochgeschwindigkeitstrasse, dass Ingenieure Zweifel an der Sicherheit in der Natur angemeldet haben. Mehrere Male musste der Streckenverlauf geändert werden.

Die Route führt durch ein Gebiet mit gefährdeten Wildtieren

Der umstrittenste Teil ist Abschnitt fünf, der Cancún und die berühmten Strandruinen von Tulum verbindet. Um die Abholzung so gering wie möglich zu halten, war der Bau ursprünglich entlang der Bundesstraße geplant. Nachdem sich Hoteliers über die Beeinträchtigungen durch die Arbeiten beschwerten, stimmte López Obrador zu, die Route durch etwa 112 Kilometer des einzigartigen Selva-Maya-Dschungels zu legen.

Dort leben nicht nur gefährdete Jaguare. Dort gibt es auch den längsten unterirdischen Fluss der Welt und Hunderte von kaum erforschten Höhlen, in denen alte Ruinen der Maya-Zivilisation entdeckt wurden. Das ganze Gebiet besteht aus empfindlichem Kalkstein, der von Natur aus erodiert und an manchen Stellen einem Schweizer Käse gleicht, wie Geologen warnen. Da durch und da drüber donnern künftig also die bis zu 217 Tonnen schweren Züge mit maximal 160 Kilometern pro Stunde.

Das mexikanische Militär muss Infos über das Projekt nicht veröffentlichen

Angesichts negativer Gerichtsurteile, Stress mit den Hoteliers und Kritik von Umweltorganisationen verlor der autokratische Präsident im Juli die Lust und erließ ein „Dekret der nationalen Sicherheit“, um so die Entscheidungen, einstweiligen Verfügungen und Anträge auf Stopp der Bauarbeiten auszuhebeln.

Rundreise mit dem „Tren Maya“ auf der Halbinsel Yucatán.
Rundreise mit dem „Tren Maya“ auf der Halbinsel Yucatán. © picture alliance / ZUMAPRESS.com | El Universal

Zudem wurden die Verträge mit den privaten Auftragnehmern gekündigt und die Oberhoheit des Projekts an die Streitkräfte übertragen, wodurch eine Kontrolle der Arbeiten fast unmöglich wird. Das mexikanische Militär ist im Gegensatz zu privaten Konzessionären nicht verpflichtet, Informationen über Projekte offenzulegen.

Umweltaktivisten beklagen: Der Zug tötet den Urwald

Man müsse verhindern, dass das nationale Projekt durch „von der US-Regierung finanzierte Pseudo-Umweltschützer“ lahmgelegt werde, rechtfertigte der Präsident seinen Schritt. Der Biologe und Aktivist José Urbina Bravo hält massiv dagegen: „López Obrador missbraucht das Dekret, um sein Projekt ungestört von Einwänden voranzutreiben. Der Zug tötet den Urwald“, unterstreicht er.

Im Grunde fing alles schon mit einer Lüge an. López Obrador war im Dezember 2018 erst seit wenigen Tagen Präsident, als er das Projekt ins Leben rief. Für den Maya-Zug werde „kein einziger Baum gefällt“, versicherte er. Fünf Jahre später zeigt eine Analyse von Satellitenbildern, dass mindestens 6659 Hektar Urwald durch die Arbeiten abgeholzt wurden, wie die Nichtregierungsorganisation CartoCrítica belegt.

Umweltaktivist Roberto Rojo, Diplom-Biologe, vor Bauarbeiten für den künftigen Maya-Zug. Er spricht von einer „Narbe im Paradies“.
Umweltaktivist Roberto Rojo, Diplom-Biologe, vor Bauarbeiten für den künftigen Maya-Zug. Er spricht von einer „Narbe im Paradies“. © DPA Images | Andrea Sosa

Andere nationale Umweltschutzgruppen taxieren den Verlust von Bäumen auf zehn Millionen. Die staatliche Agentur für Tourismusförderung Fonatur gestand in einer Anhörung vor dem Parlament jüngst zu, dass mindestens 3,4 Millionen Bäume dem Projekt weichen mussten.

Aber der Präsident gibt weiter Gas, um seine Projekte noch vor Ende 2024 fertigzustellen. Anfang des Monats wurde der Flughafen von Tulum passend zum Maya-Zug eingeweiht. Von dort aus können dann die drei Millionen Touristen, die jedes Jahr an die Riviera Maya reisen, noch schneller an die Strände und die archäologischen Sehenswürdigkeiten gelangen. Auch dieser Flughafen wird, wie viele Airports in Mexiko, dann vom Militär verwaltet.