Berlin. Joaquin Phoenix wird für seine Rolle als Napoleon gefeiert. Doch die verlangte ihm einiges ab. Ein Gespräch über Angst und Ungewissheit.
Für Joaquin Phoenix ging der Schauspielerstreik in Hollywood gerade noch rechtzeitig zu Ende. Denn so darf der 49-Jährige in Paris Interviews zu seiner Titelrolle in „Napoleon“ (ab 23. November im Kino, danach auf Apple+) geben. Auch wenn der Oscargewinner („Joker“) mit dem egomanen französischen General und Herrscher nicht sehr viel gemein hat, sucht er auf andere Weise nach Extremerfahrungen. Denn die Schauspielerei ist für ihn keine Komfortzone.
Fühlen Sie sich zu einer Person wie Napoleon hingezogen?
Joaquin Phoenix: Eigentlich gar nicht. Genauso wenig wie ich mich zu Mördern hingezogen fühle, die ich gespielt habe. Napoleon war auch ein Mensch voller Gewalt und Eifersucht und Neid, den ich nicht sympathisch finde. Letzten Endes war er einfach kompliziert, und ich hoffe, dass der Film das auch so herüberbringt.
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Mögen Sie denn etwas an ihm?
Phoenix: In ihm steckte eine ziemlich kindische Natur. In seinem Privatleben war er völlig unberechenbar. Er und seine Frau Josephine wollten dem anderen ständig eins auswischen und haben sich spektakuläre Streitigkeiten in der Öffentlichkeit geliefert. So etwas zu spielen hat mir Spaß gemacht, denn das war wirklich interessant.
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Joaquin Phoenix als Napoleon: „Diese Angst ist völlig normal“
Angeblich hatten Sie kurz vor Drehbeginn Panikattacken, weil Sie glaubten, Sie könnten die Rolle nicht spielen. Hatten Sie sich nicht genug vorbereitet?
Phoenix: Doch, und zwar schon Monate zuvor. Aber diese Angst ist völlig normal. Ich habe keine Antworten. Denn wenn ich alles im Voraus weiß, warum soll ich überhaupt noch vor die Kamera treten? Ich werfe lieber ständig neue Fragen auf, wenn ich eine Rolle spiele.
Ist so viel Ungewissheit nicht stressig?
Phoenix: Im Gegenteil, sie macht das alles noch spannender. Nehmen wir an, ich wäre ein Basketball-Profi und ich müsste mich zwischen zwei Partien entscheiden: In dem einen Fall spiele ich das erste Match der Saison und wir sind 40 Punkte in Führung. Im anderen Fall ist es das Finale, wo wir zwei Minuten vor Schluss zurückliegen. In welcher Situation ist es aufregender, wenn ich einen Korb erziele? Das ist doch dann, wenn alles gegen mich ist. So eine Erfahrung möchte ich auch in meinem Job haben. Alles andere interessiert mich nicht. Ich brauche den Druck. Ich will den Regisseur und mich selbst zufriedenstellen, und das macht mich eben nervös. Denn ich habe eben keinen Plan, wie ich die Figur spiele.
Phoenix: „Ich brauche den Rausch der Gefühle“
Heißt das, dass Sie eine Art Adrenalinkick suchen?
Phoenix: Die Schauspielerei ist für mich schon so etwas wie ein Gegenstück zu einem Bungeesprung oder als würde ich mich von einem Haus herunterstürzen. Ich brauche den Rausch der Gefühle, sonst wäre das einfach nur ein Job.
Gibt es denn etwas, was Sie an Ihrem Job nicht mögen?
Phoenix: Wenn du in aller Herrgottsfrüh aufstehen musst, zum Make-up gebracht wirst und alle schauen dich an, weil sie etwas von dir wollen, ist das ziemlich ermüdend. Ich fand es auch schauspielerisch nicht so spannend, im Kostüm da zu stehen und die großen Schlachtensequenzen in „Napoleon“ zu drehen. Aber ich motiviere mich mit dem Gedanken, dass ich dann Szenen drehe, die mich emotional berühren. Nach solchen Momenten gehe ich vom Set und fühle mich so lebendig, dass ich das Gefühl habe, ich könnte einen Lastwagen heben.
Was ist denn für Sie die größte Schwierigkeit beim Drehen?
Phoenix: Die Ablenkung. Ich versuche ständig eine Möglichkeit zu finden, dass ich nicht an die Beleuchter, die Kamera oder die 60 Leute denke, die da noch herumstehen. Bei „Napoleon” hatten wir auch noch schaulustige Touristen.
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So nervös war Phoenix am Set von Gladiator
Doch gelingt es Ihnen, sich in dieser ganzen Anspannung auch mal zu beruhigen?
Phoenix: Das habe ich gelernt am Anfang von „Gladiator“ war ich hypernervös. Als ich auch noch erfuhr, dass wir zwei Stunden lang gedreht hatten, ohne dass Film in der Kamera war, begann ich am ganzen Körper zu zucken. Da nahmen mich Russell Crowe und Richard Harris beiseite und meinten: „Hey, das ist doch nur ein verdammter Film. Trink ein Bier und entspanne dich.“ Und das hat perfekt funktioniert.
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Sind Sie jetzt glücklich mit Ihrer Leistung in „Napoleon“? Sie haben dafür ja glänzende Kritiken bekommen,
Phoenix: Es ist für mich absolut unmöglich, meine Arbeit zu beurteilen wie ein Außenstehender. Denn mit jeder Szene kommen Erinnerungen an den Dreh hoch. Und wenn ich mir selbst zuschaue, dann entdecke ich nur Dinge, die ich verbessern kann. Ich werde wohl nie mit mir selbst zufrieden sein.
Joaquin Phoenix: „Ich bin nichts Besonderes“
Die Tatsache, dass Sie einen dreijährigen Sohn haben, könnte ja auch für Ausgeglichenheit sorgen.
Phoenix: Ich weiß auf jeden Fall, dass er das Wichtigste überhaupt für mich ist.
Wie gehen Sie damit um, dass sich die Öffentlichkeit auch für Ihr Privatleben interessiert?
Phoenix: Ich kann es nicht verstehen, weil mein Leben nie besonders aufregend war. Wenn sich jemand für meine Arbeit interessiert, kann ich das einigermaßen verstehen. Aber ich habe das, wie ich glaube, auch nie angezogen. Denn ich bin nichts Besonderes.