Paris. In Frankreich formiert sich heftiger Widerstand gegen das Gendern in der Rechtschreibung. Nun wurden sogar Verbote erlassen.
In Deutschland geht es um Sternchen, in Frankreichum Pünktchen. Die angestrebte Wirkung freilich ist die gleiche: Vor dem inneren Auge sollen mehr Frauen erscheinen. Wobei solch geschlechtsgerechte Schreibweise auf beiden Seiten des Rheins für hitzige Debatten sorgt. Aber die inklusive Orthographie, wie unsere Nachbarn das schriftliche Gendern nennen, hat in der Grande Nation besonders mächtige Gegner.
Soeben verabschiedete die zweite Kammer, sprich der von den konservativen Republikanern beherrschte Senat, mit großer Mehrheit ein Gesetz, welches sich als Bollwerk gegen die befürchtete Pünktchen-Invasion versteht. Der Text nämlich verbietet kurzerhand jegliches Gendern in Schriftstücken der Verwaltung, in Gebrauchsanweisungen, Arbeitsverträgen sowie sonstigen Alltagsdokumenten.
„Gut so“, reagiert die Grundschullehrerin Melanie Picot, als sie von der Initiative erfährt. Picot, eine resolute Mittdreißigerin und Mitglied der Organisation „Osez le feminisme“ (Feminismus wagen), hält ganz und gar nichts von der inklusiven Rechtschreibung. Es sei schon schwer genug, Schülern die nicht eben einfache französische Orthographie so beizubringen, wie sie ist „mit allen ihren Ausnahmen und Akzenten. Da würden richtig zu setzende Pünktchen gerade noch fehlen!“ In ihren Augen stößt der Feminismus hier an seine Grenzen, auch wenn die Mitstreiterinnen von „Osez le feminisme“ da völlig anderer Meinung sind.
Senat verabschiedet Gender-Verbot – Kritikerinnen sprechen von „Machosprache“
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hatte 2017 den „Kampf gegen den Sexismus und für die Gleichheit“ zu einem zentralen Anliegen seiner ersten Amtszeit erklärt. Unter anderem ließ er sexistische Beleidigungen als Strafbestand etablieren und ein Schutzalter für einvernehmlichen Sex einführen. Allein auf den Geschlechterkampf, der schon damals um die Sprache Voltaires tobte, ging der Staatschef mit keinem Wort ein. Das holte er erst jetzt nach, wenige Stunden, bevor der Senat über das Gender-Verbot abstimmen sollte. Bei der Einweihung des ersten Museums für die französische Sprache im Jagdschloss von Villers-Cotterêts warnte der Staatschef davor, dem Zeitgeist nachzugeben und erklärte, dass „unsere Sprache vor Auswüchsen geschützt werden muss“.
Für die Feministinnen, die den Präsidenten eigentlich auf ihrer Seite wähnten, war diese Stellungnahme „eine große Enttäuschung“ und ein herber Rückschlag in ihrem Feldzug für eine Reform der „Machosprache“ Französisch. Sie stört es, dass im Französischen, welches kein Neutrum kennt, das Maskulinum eine tragende, das Femininum „völlig in den Schatten stellende“ Rolle spielt. Das soll übrigens schon mit dem Wort „homme“ anfangen, welches nicht nur „Mann“ bedeutet, sondern auch „Mensch“ und somit suggeriere, dass die berühmte „déclaration des droits de l´homme“ (Menschenrechtserklärung) eigentlich eine „Männerrechtserklärung“ sei.
Gendern: Viele Wörter haben bislang keine weibliche Form
So überspitzt dieser Argumentation auch sein mag, eines ist richtig: Das Männliche überwiegt in der französischen Sprache eindeutig, schon weil ihm eine generelle, das Weibliche einschließende Aufgabe zufällt. Wer sich – schriftlich oder mündlich – an einen aus Frauen und Männern bestehenden Freundeskreis wendet, spricht ihn mit „chers amis“ (liebe Freunde) an. Die weibliche Form „chères amies“ gibt es zwar auch, aber sie wäre nach den geltenden Regeln unkorrekt, solange der Freundeskreis nicht ausschließlich aus Frauen besteht.
Es kommt hinzu, dass die französische Sprache häufig männliche Überbegriffe hat, für die es gar keine weibliche Entsprechung gibt. „Artist“ (Handwerker) etwa umfasst sowohl den männlichen als auch den weiblichen Status. Bloß fühlen sich Frankreichs Feministinnen durch diese Regelung nicht eingeschlossen, sondern „untergebuttert“. Ihnen zufolge wird so schon den Kindern beim Erlernen der Sprache die Dominanz des Männlichen über das Weibliche eingeimpft.
Kritiker monieren: Gender-Sprache ist nicht inklusiv
Als Gegenmittel propagieren sie daher die Inklusion per Pünktchen. Ginge es nach ihnen, müsste die allgemeine Anrede „liebe Freunde“ künftig „cher.e.s ami.e.s“ geschrieben werden. Vier Punkte also dort, wo vorher gar keiner war. Tatsächlich finden sich solche Pünktchenschwemmen bereits in den sich als besonders progressiv ansehenden Milieus wie linken Gewerkschaftskreisen, einigen Hochschulen und bei den linken Parteien.
Doch was die einen zeitgemäß oder schick finden, bringt andere auf die Palme. Den Dachverband der Blinden vorneweg, der mit einer geharnischten Protestnote auf die Invasion der Pünktchen reagierte, die in der bekanntlich aus Punkten bestehenden Braille-Blindenschrift zur totalen Verwirrung zu führen droht. Die größte Lehrergewerkschaft bezeichnet die von Akademikerinnen ersonnene Inklusionsschrift sogar als einen Unsinn, dem unbedingt das Wasser abgegraben gehört.
Das Ringen um das Gendern in der Rechtschreibung hat daher längst die Form eines Kulturkampfs angenommen, bei dem nicht nur Maskulin gegen Feminin steht, sondern auch Inklusion gegen Exklusion. Schließlich würde die geschlechtsgerechte Schreibweise insbesondere den Schwächsten das Leben erschweren. Doch damit nicht genug: Die ehrwürdige „Academie française”, deren oberste Aufgabe der Erhalt der Reinheit des Französischen ist, brandmarkte die „künstliche Feminisierung“ und das „Verhunzen von Texten durch Pünktchen“ allen Ernstes als eine „tödliche Gefahr“ für die Sprache Voltaires.
Lesen Sie auch: IXY-Frau erzählt: „Niemand sollte ahnen, dass ich anders bin“