Rosa oder Hellblau: In diese Welten tauchen werdende Mütter und Väter unter. Das Gender Reveal wird zum Schicksalstag. Ein Irrsinn.
Bloß nicht rosa. Oder hellblau. Ich habe es nie gemocht, Neugeborene vom ersten Tag ihres Lebens in die Geschlechtsschublade zu stecken. Meine liebsten Strampler für unsere Zwillinge waren knallrot, geschenkt von der Oma aus Bayern.
Die Mutter meiner Freundin – sie wäre selbst gern Oma geworden – schenkte was Blaues mit weißen Sternchen drauf. Das Kinderzimmer hatte Farben. Gelb mit blau im Vorhang, Rot im Teppich. Und nun stehe ich bei den Babyausstattern mit einem prallen Paypal-Guthaben nach einer Sammelaktion im Team, auf der Suche nach dem passenden Geschenk für unsere Kollegin, die ein Baby bekommen hat.
Hellblau mit Anker-Motiv. Rosa mit Schleifchen. Strampler, Hemdchen, Söckchen, Mützen sauber getrennt: ein Regal für Baby-Boy, eins für Baby-Girl. Da der Handel nach Angebot und Nachfrage funktioniert, ist es ja wohl offenbar so, dass werdende Eltern, Omas und Opas, Patentanten, Freunde mit diesem Angebot ganz zufrieden sind. Oder mehr noch: Genau das wollen.
Ed Sheeran rief beim Gender Reveal ins Publikum: „Es ist ein Mädchen!“
Das Geschlecht hat tatsächlich Hochkonjunktur; die Enthüllung funktioniert längst nicht mehr mit einem schlichten Blick aufs Ultraschallbild bei der Gynäkologin. Nein, die Ärztin (oder der Arzt) geht einen Pakt ein, zum Beispiel mit dem Freund der Familie. Dem wird das Geschlecht verraten, der organisiert ein Event, bei dem auf außergewöhnliche Weise Eltern das Geschlecht ihres noch ungeborenen Nachwuchses erfahren. Nennt sich „Gender Reveal“. Derzeit ein Mega-Trend, wie immer bei diesen Sachen aus den USA.
Ed Sheeran machte neulich auch mit: Der 32-jährige Megastar faltete bei einem Konzert in Kansas während eines seiner Songs einen Brief auseinander und rief ins Publikum: „Es ist ein Mädchen“ – dann sang er weiter. Die Kamera schwenkte auf ein Pärchen, das sich umarmte.
Später postete er den Clip auf Instagram. Der Kanal ist voll von derartigen Filmchen, ebenso wie TikTok oder YouTube. Meist ist dabei aber kein Megastar zu sehen, sondern viel hellblaue/rosafarbene Deko, gefüllte Torten, Luftballons, Konfetti. Künftige Eltern hüpfen, meist in weiß gehüllt, freudig umher, es gibt Küsse, Umarmungen und Jubel.
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Die ganz großen Emotionen eben – für den perfekten Clip. Aber halt, da schleichen sich auch in diese pastellig-zuckrige Stimmung Tränen ein. Ganz echt, unvermittelt und mitnichten immer vor Freude. Und schon sind wir beim nächsten Trend: dem „Gender Disappointment“. Geschlechtsenttäuschung. Da rieselt hellblauer Feinstaub aus dem Auspuff der mit weißen Schleifen geschmückten Limousine – und das geschminkte Gesicht der werdenden Mutter erstarrt zur grinsenden Fratze. Als sie endlich Luft holt, ist es vorbei mit der Fassung. Sie bricht weinend zusammen. It’s a boy. Das hat sich die werdende Mutter doch ganz anders vorgestellt.
Gender Disappointment: Wenn Influencer die Trauer über das falsche Geschlecht zelebrieren
Mag sein, dass es nichts Neues ist, sich heimlich ein Mädchen zu wünschen. Neu ist, dass die Trauer zelebriert wird. Erklärt wird. Dass Influencer mit aufgerissenen Augen fordern: Gender Disappointment dürfe nicht länger ein Tabu sein. Es gehe eben um mehr als: Hauptsache gesund. Es gehe darum, einen Jungen großziehen zu müssen. Was, wenn der aggressiv wird, zum Problemschüler gar? Mit Mädchen sei doch alles viel einfacher.
Ein Kollege gibt in einer großen Zeitung dazu das Gespräch von zwei Frauen wieder, das er auf einer Parkbank in Prenzlauer Berg gehört haben will. Es sei um die bevorstehende Ultraschall-Untersuchung gegangen. „Hauptsache, es ist kein Schniedel dran“, soll die eine Frau gesagt haben. Wie der Kollege analysiert, offenbar aus purer Verachtung Männern gegenüber.
Auf mich wirkt all das arg konstruiert. Tatsächlich bin ich irritiert über diese krassen Schubladen, in die viele Eltern ihre Kinder vom ersten Lebenstag scheinbar wieder reinzwängen. Zwischen den Stereotypen „Das gute Mädchen, der aggressive, lautstarke, schwierige Junge“ ist schließlich wenig Platz. Im besten Fall erreichen Eltern eine selbsterfüllende Prophezeiung. Im schlechtesten Chaos, Kampf und Tränen.
Dabei dachte ich, wir wären dabei, den Geschlechter-Kampf endlich hinter uns zu lassen – statt ihn neu und aggressiver denn je aufzulegen. Mit Tränen der Trauer und der großen Angst vor dem kleinen Schniedel.
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