München. Walter Sittler hält feste Geschlechterrollen für überholt. Ein Gespräch über Freiheitslust, seine Eltern und die Neugier aufs Altern.
- Der Schauspieler Walter Sittler wurde Mitte der 1990er Jahre mit der Fernsehserie „girl friends“ sowie der Sitcom „Nikola“ bekannt
- Mit „Der Kommissar und der See“ hat er eine neue Erfolgsreihe
- Im Interview spricht er darüber, wie ihn seine Großfamilie geprägt hat und was er über das Älterwerden denkt
Nach „Der Kommissar und das Meer“ hat Produzent und Schauspieler Walter Sittler mit „Der Kommissar und der See“ eine neue Erfolgsreihe. In der aktuellen Folge „Narrenfreiheit“ (am 3. Oktober um 20.15 Uhr im ZDF) wird der 70-Jährige mit Fragen zum Verhältnis der Geschlechter konfrontiert, die derzeit auch die Gesellschaft bewegen. Antworten hat er selbst schon in jungen Jahren in seiner eigenen Großfamilie gefunden.
Walter Sittler: Schnelllebigkeit tut nicht immer gut
„Der Kommissar und der See“ spielt in einer beschaulichen Welt am Bodensee. Mögen Sie solche Gegenden mit einem langsamen Rhythmus, oder brauchen Sie den Hochfrequenztakt der Großstadt?
Walter Sittler: Mir tut es gut, wenn ich nicht diese ganz hohe Geschwindigkeit habe. Ich finde es toll, wenn jemand dazu imstande ist, aber ich denke, dass Langsamkeit oft besser wäre. Wir sollten länger hinschauen und nachdenken und dann entscheiden, was wir für richtig halten. Aber heutzutage geben uns die Computer so vieles so schnell vor, dass wir kaum hinterherkommen. Wir als Menschen, so wie wir gebaut sind, sind auf diese Schnelligkeit nicht ganz vorbereitet.
Kommt diese bedächtige Sicht auf die Dinge mit dem Älterwerden?
Sittler: Das war schon immer so. Wenn jemand sagte „Ich weiß, wie es geht“, dann schaltet sich bei mir die rote Lampe ein. Es gibt immer mindestens zwei Seiten, und es lohnt sich immer, beide Seiten anzuschauen und das zu bedenken.
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Die neue Folge der Reihe spielt in einem Milieu, das von traditionell denkenden Männern geprägt ist. Wie sehr wurden Sie in Ihren jüngeren Jahren mit der Macho-Kultur konfrontiert?
Sittler: Natürlich hatte ich damit Kontakt, aber in meiner Familie war das nicht so. Mein Vater, ein Literaturprofessor, war ein bisschen wie ein Guru. Es war alles interessant, was er sagte, auch wenn man nicht ganz verstand, was. Als jüngstes von acht Kindern habe ich in diesem Verbund gelernt, aufmerksam zuzuschauen. Ich war nie gefährdet, an eine Ideologie zu glauben.
Geschlechterrollen: „Die Kraft der Freiheitslust ist groß“
Aber haben Sie in dieser Großfamilie die traditionelle Rollenaufteilung zwischen Vater und Mutter erlebt?
Sittler: Meine Mutter war eine sehr starke Frau mit einer beeindruckenden Präsenz. Sie hätte Schauspielerin sein können. Einerseits hat sie die klassische Funktion einer Mutter erfüllt, denn mein Vater tat sich jahrelang schwer, Geld zu verdienen. Deshalb musste sie das machen, und das hat sie mit einer Disziplin getan, die ich umwerfend finde. Gleichzeitig gab es bei den Kindern keine Rollenaufteilung. Alle Jungs konnten das Gleiche machen wie die Mädchen. Denn wir sind ungezählte Male umgezogen, und da mussten alle alles können. Jeder musste mitmachen.
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Haben Sie mit Ihrer Frau, der Regisseurin Sigrid Klausmann, eine ähnlich starke Person gefunden?
Sittler: Meine Mutter musste eine gewisse Härte entwickeln, um mit acht Kindern durchzukommen. In dieser Hinsicht hat meine Frau mit meiner Mutter wenig gemeinsam, denn ihre Mutter war das Gegenteil von meiner. Sie war eine unglaublich warmherzige, großzügige Frau, die über niemand geurteilt hat. Bei ihr war man immer willkommen. Von ihr hat meine Frau ein sehr warmes und sonniges Wesen bekommen. Aber meine Mutter mochte meine Frau sehr, weil sie keine Scheu hatte zu sagen, was sie denkt.
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Nun sind die Grenzen zwischen den Geschlechtern in der modernen Gesellschaft durchlässiger, wie man auch an dem Transgender-Thema der aktuellen Folge sieht. Wie nehmen Sie das wahr?
Sittler: Ich bin sehr froh, dass es endlich mal ein Thema wird. Dass wir den ersten homosexuellen Außenminister hatten, war ja schon einmal ein Fortschritt. Nicht weil ich den so gerne mochte, sondern wegen des Vorgangs an sich. Mir persönlich ist es völlig egal, welche Lebensweise jemand hat, solange er andere nicht einschränkt oder beleidigt. Es geht um die Sicht auf die Welt und die Einstellung an sich. Natürlich gibt es Rückschritte, aber ich glaube nicht, dass die erfolgreich sein werden. Die Kraft der Freiheitslust ist zu groß. Die kriegst du nur mit Gewalt weg, aber diese Gewalt werden wir in Deutschland keiner Gruppe gestatten.
Warum Walter Stittler sich aufs Älterwerden freut
Der Lauf der Zeit zeigt sich auch daran, dass Sie inzwischen 70 sind. Was ist das für ein Gefühl, wenn man so eine Zahl erreicht hat?
Sittler: Wenn Sie mich fragen würden, ob ich noch mal 30 oder 40 sein wollte, wäre die Antwort: nein. Denn das war ich ja schon. Aber ich war noch nie 71. Jetzt haben wir auch noch ein Enkelkind dazubekommen, was ein großes Geschenk ist, und das macht es weiter spannend. Und ich versuche, für das wach zu bleiben, was kommt.
Andererseits kommt mit zunehmendem Alter nicht nur Angenehmes auf einen zu.
Sittler: Das ist richtig. Wer hätte schon gedacht, dass wir wieder einen neuen Krieg in Europa haben? Das ist ein Irrsinn. Man könnte verzweifeln.
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Mit Ihrer Frau haben Sie ja das Dokumentarprojekt „199 Kleine Held*innen“ über Kinder auf der ganzen Welt. Machen Ihnen die nachkommenden Generationen keine Hoffnung?
Sittler: Die habe ich schon. Sonst würde es keinen Sinn machen, das zu tun. Die jüngere Generation in verschiedenen Ländern sieht die Missstände, und ich hoffe nur, sie haben die Gelegenheit, das zu ändern. Das Klima ist ein schwieriger Partner, aber viele junge Menschen sehen das anders und wollen nicht so wie bisher mit immer mehr Wachstum weiterleben. Ich habe die Hoffnung also nicht aufgegeben.