Rom. Einst war Neapel als Sitz der italienischen Mafia bekannt. Aber die Stadt hat sich gewandelt. Nun herrschen dort Kunst und Kultur.
- Neapel entpuppt sich immer mehr als ein beliebtes Urlaubsziel in Italien
- Daran war vor ein paar Jahren noch nicht zu denken, war die Stadt doch einst Mafia-Hochburg und wurde deshalb sogar von Italienern gemieden
- Inzwischen hat sich "Napule", wie die Einheimischen im Dialekt ihre Stadt nennen, wundersam gewandelt
Es war ein weiterer gelungener Abend im prunkvollen „Teatro Politeama“. Trotz Temperaturen um die 35 Grad scheuten sich die Neapolitanerinnen und Neapolitaner nicht, der Italien-Premiere des Theaterstücks „In der Einsamkeit der Baumwollfelder“ beizuwohnen. Den Schlussapplaus ernteten nicht nur die Schauspieler, sondern auch Hollywood-Star John Malkovich, der das Drama im Rahmen des „Campania Teatro Festivals“ präsentierte.
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Neapel ist als Veranstaltungsort des Events keinesfalls zufällig gewählt. Die Vesuvstadt – die größte Metropole Süditaliens – erlebt zurzeit eine Renaissance, die auf Kultur, Kunst und Tourismus fußt. Eine Entwicklung, die wenige für möglich gehalten hätten.
Neapel lässt schlechtes Image hinter sich
Noch bis vor wenigen Jahren war die 970.000 Einwohner-Stadt hauptsächlich bekannt für Kriminalität und Abfallberge, wurde in Film und Literatur vor allem als Problemstadt dargestellt. Seinen Höhepunkt erreichte das negative Narrativ mit Roberto Savianos „Gomorrha“. Der Journalist leistete mit diesem Buch zwar einen wichtigen Beitrag zur Debatte über die Camorra, der Mafia in der Region Neapel, drückte der Stadt jedoch auch einen Stempel auf. Denn auf Savianos Buch folgten ein preisgekrönter Film und schließlich eine populäre Fernsehserie.
Für viele im In- und Ausland wurde Neapel mit „Gomorrha“ zum Synonym für eine Mafia-Hochburg. Dies hat sich in den letzten Jahren jedoch tiefgreifend geändert. Viertel wie Forcella oder das Spanische Viertel, die noch bis vor Kurzem als Festungen der Camorra galten, sind inzwischen zu beliebten Touristenzielen geworden. Neapel, das als Urlaubsdestination stets hinter den Konkurrenten Venedig, Florenz und Rom hinterherhinkte, ist zur inoffiziellen Kulturhauptstadt Italiens aufgerückt.
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„Heute haben wir ein Neapel mit hohem Wachstum, eine glückliche Stadt, die ihre Rolle in der Welt spielen will“, erklärt Bürgermeister Gaetano Manfredi stolz. Zwar thematisieren oft auch die jüngeren Bücher, Serien und Filme die dunklen Seiten der Stadt, beschreiben aber auch ihre Schönheiten, die einmalige südländische Atmosphäre und die Herzlichkeit der Menschen.
Stadt wandelt sich zur Kunst-Metropole
Als Theater-Hauptstadt lockt Neapel mit großen Aufführungen. Bei Ausstellungen, Filmen und TV-Serien steht die Vesuvstadt im Rampenlicht. Autoren wie die geheimnisvolle Bestseller-Schriftstellerin Elena Ferrante, die weltweit wegen einer in Neapel spielenden Tetralogie über zwei geniale Freundinnen bekannt ist, und Regisseure wie Oscarpreisträger Paolo Sorrentino und Mario Martone haben das Image der Stadt im letzten Jahrzehnt umgeprägt.
Ein Beispiel ist die TV-Serie „Zelle mit Aussicht“ (Originaltitel: Mare fuori), die auch im deutschsprachigen Raum durch Disney+ gesendet wurde. In der Serie geht es um eine Jugendstrafanstalt direkt am Golf von Neapel. Alle Insassen sind unter 18 Jahre alt und aus den unterschiedlichsten Gründen inhaftiert. Das gesamte Team der Jugendstrafanstalt tut sein Bestes, um den Jugendlichen eine zweite Chance zu ermöglichen. Das Schicksal der Straftäter fesselt seit Monaten die italienischen Zuschauer.
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Die Orte, die als Kulisse für die Serie dienen, sind inzwischen zur Touristenattraktion geworden. Täglich pilgern Besucher dorthin. „Neapel ist so voller Touristen, wie noch nie“, freut sich der 23-jährige Gennaro, Kellner in einer Bar auf dem zentralen Corso Umberto. Gennaro trägt den Namen von Neapels verehrtem Schutzpatron, dem Heiligen Januarius. Die Gebeine des Heiligen, der nach der Überlieferung im Jahr 305 mit mehreren Gefährten unweit von Neapel als Märtyrer starb, ruhen seit dem 5. Jahrhundert in den Katakomben im Stadtzentrum.
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Fußball ist Teil der neapolitanischen Identität
San Gennaro ist der Heilige, an den sich die Neapolitaner wenden, wenn sie ein ganz besonderes Anliegen haben. Ob Geldprobleme, oder Liebeskummer: Die Neapolitaner bitten San Gennaro oft um ein „Miracolo“, und ein Wunder hat San Gennaro in diesen letzten Wochen auch tatsächlich bewirkt. So hat Neapels Fußballclubs SSC Napoli nach 33 Jahren wieder den Scudetto, den begehrten Meisterschaftstitel erobert.
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Touristen ohne Ahnung von Fußball, die durch Neapel schlendern, können in den Altstadtgässchen nur staunen. Die Stadt ist geschmückt in Azurblau und Weiss, in den Farben des lokalen Klubs SSC Napoli – seit einigen Wochen neuer Meister der Serie A. Jeder Balkon, jedes Fenster und jede Gasse ist herausgeputzt mit Girlanden, Pappfiguren und Porträts der Spieler. Selbst in den Lokalen ist der Scudetto allgegenwärtig. Kellner tragen extra angefertigte T-Shirts mit dem Aufdruck „Campioni d’Italia 2022/23“.
Den letzten Meistertitel hat Neapel mit der argentinischen Fußball-Legende Diego Armando Maradona im Kader gewonnen. Für viele Neapolitaner ist der 2020 verstorbene Argentinier mindestens so wichtig wie ihr Stadtpatron, die Erinnerung an ihn allgegenwärtig. Ein riesiges Wandgemälde des Fußballers in den berühmt-berüchtigten Quartieri Spagnoli, dem volkstümlich Stadtkern Neapels, ist inzwischen genauso ein Pilgerort wie die Kathedrale mit den Reliquien San Gennaros. Kein Wunder, denn in keiner anderen Stadt Italiens verbindet sich Heiliges mit Weltlichem so wie in Neapel.