Rom. Ein Gericht in Italien hat einen Mann freigesprochen, der eine 17-Jährige begrabscht haben soll. Die Begründung sorgt für Empörung.
Wie lang dauern zehn Sekunden? Das fragen sich Studentinnen, Frauenverbände und Menschenrechtsaktivisten nach dem umstrittenen Urteil eines römischen Gerichts, das einen Schulhausmeister in Rom vom Vorwurf der sexuellen Gewalt freigesprochen hat. Der 66-Jährige soll einer 17-jährigen Schülerin auf der Treppe einer Schule in die Hose gefasst und ihr Gesäß berührt haben.
Die römische Staatsanwaltschaft forderte eine dreieinhalbjährige Haftstrafe für den Mann, das Gericht sprach ihn jedoch frei. Der Grund: Der Übergriff habe weniger als zehn Sekunden gedauert. Es sei zwar eine „unschickliche Geste, aber ohne Lüsternheit“ gewesen.
Grabsch-Urteil: Opfer empört über Justiz
Der Fall ereignete sich am 12. April 2022. Als die Schülerin mit einer Freundin die Treppe hinaufstieg, um zum Unterricht zu gehen, spürte sie plötzlich, wie jemand für ungefähr fünf bis zehn Sekunden von hinten in ihre Hose und unter ihren Slip griff. Der Hausmeister gab dem Bericht zufolge später zu, das Gesäß der 17-Jährigen berührt zu haben, äußerte aber, er habe ihr nicht unter die Hose gegriffen, er habe „aus Spaß“ gehandelt.
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Das Urteil löste in Italien eine Welle der Empörung aus. Unter dem Hashtag #10secondi („zehn Sekunden“) posteten Menschen bei Instagram und Tiktok Videos, um zu zeigen, wie lang eine „palpata breve“, ein „kurzes Begrabschen“, sein kann. Zehn Sekunden lang läuft eine Stoppuhr, während die Frauen und Männer in die Kamera schauen und intime Bereiche ihres Körpers berühren. Den Anfang machte der für seine Rolle in „The White Lotus“ bekannte italienische Schauspieler Paolo Camilli. Ihm folgte die in Italien bekannte Influencerin und Modekönigin Chiara Ferragni, die sich für Frauenrechte einsetzt.
Auch die betroffene Schülerin zeigte sich über das Urteil empört. „Das ist nicht die Art und Weise, wie ein alter Mann mit einem 17-jährigen Mädchen scherzt. Das ist keine Gerechtigkeit. Ich fange an zu glauben, dass es falsch war, der Justiz zu vertrauen“, kommentierte sie und dankte ihren Schulkollegen für die Solidarität. „Nach dieser Entscheidung wird ein Mädchen, das betatscht wird, denken, dass es sich nicht lohnt, Gewalt zu melden. In meinem Fall wurde die Beschwerde von der Schule eingereicht, die mich unterstützt hat.“
Politik will Frauen in Italien besser schützen
Die Schriftstellerin und Frauenrechtlerin Michela Murgia beklagte, dass das Gericht die Absichten des Schulhausmeisters und nicht das Empfinden der jungen Frau berücksichtigt habe. Das Gerichtsurteil belebt die Diskussion über Chancengleichheit in einem Land, in dem Gewalt gegen Frauen und Feminizide an der Tagesordnung sind. So hat jüngst die Regierung um Premierministerin Giorgia Meloni, der ersten Regierungschefin in der Geschichte Italiens, die Maßnahmen zur Vorbeugung von Feminiziden verschärft.
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Für gewalttätige Personen sollen verstärkt elektronische Fesseln eingesetzt werden. Damit könne man diejenigen, die sich bereits für geschlechtsspezifische Gewalt oder Gewalt in der Familie verantwortlich gemacht haben, besser überwachen. Bisher lag die Anwendung der elektronischen Fesseln im Ermessen des Richters, mit Zustimmung des Verdächtigten.
Betroffene: „Schweigen schützt die Angreifer“
Nach der neuen Gesetzgebung für Straftaten im Zusammenhang mit Gewalt gegen Frauen soll die Anwendung der elektronischen Fessel automatisch erfolgen, es sei denn, der Richter halte dies nicht für notwendig. Neben Stalking und Missbrauch wird die Maßnahme der besonderen Überwachung auch für versuchten Mord, dauerhafte Entstellung des Aussehens, etwa durch Säureangriffe, eingeführt.
Hinsichtlich der Verschärfung der Strafen für Wiederholungstäter heißt es in Artikel 1 des neuen Gesetzes, dass bei Gewalt, Bedrohung, Stalking, sexueller Nötigung, Hausfriedensbruch und Sachbeschädigung die Strafen verschärft werden, wenn die Tat im Zusammenhang mit häuslicher Gewalt von einer Person begangen wird, die verwarnt wurde.
Doch um zu ihrem Recht zu kommen, müssen betroffene Frauen zunächst Anzeige erstatten, wie die 17-Jährige betont. „Schweigen schützt im Allgemeinen die Angreifer“, so die junge Frau. Sie hoffe jetzt, dass die Staatsanwaltschaft in Berufung geht. „Wenn sie es nicht tut, werde ich es als weiteren Verrat empfinden.“