Siegen. Zeugen belasten den 33-jährigen Steinewerfer aus Bad Laasphe wegen unvermitteltem Gewaltausbruchs. In Laasphe ist es unterdessen ruhig geworden.
Alles ruhig. Bad Laasphe scheint befriedet, seit der Mann im roten Anorak in einer psychartrischen Klinik ist. Keine zerstörten Windschutzscheiben mehr, keine zerbrochenen Fenster und Türen, keine unberechenbaren Aktionen auf der Straße, in der Stadt. Ganz ruhig verfolgt der Angeklagte das Geschehen in Saal 165 des Siegener Landgerichts. Dort soll entschieden werden, ob der 33-Jährige, der beschuldigt wird, insgesamt 29 Straftaten in Bad Laasphe, Bad Berleburg und Siegen verübt zu haben, nicht hinter Gitter, aber doch dauerhaft hinter die verschlossenen Türen eines psychiatrischen Krankenhauses verbracht werden soll, kann und muss.
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Ruhig gestellt worden ist der Beschuldigte mit einer Vielzahl an Medikamenten. Das wird deutlich, als am Donnerstagmorgen der Bericht vom bisherigen Verlauf der Unterbringung im LWL-Zentrum für forensische Psychiatrie Lippstadt verlesen wird. Die Diagnose: paranoide Schizophrenie sowie eine psychische und auch verhaltensmäßige Störung durch eine Cannabis-Abhängigkeit.
Aus dem Klinikbericht wird deutlich, dass der Angeklagte sich offenbar weder hinsichtlich seiner Erkrankung noch der ihm vorgeworfenen Tat einsichtig oder gar erinnerlich zeigt. Einzige Ausnahme: das Einschlagen von Autoscheiben. Ein „Blick in sein inneres Erleben“ falle schwer, der therapeutische Prozess halte sich in Grenzen. In Lippstadt habe der 33-Jährige zunächst von den anderen Patienten abgesondert werden müssen – wegen therapieschädlichen Verhaltens, den Beschwerden anderer und der Nichteinhaltung von Absprachen. Zurück im stationären Betrieb ziehe er sich meist auf sein Einzelzimmer zurück, verhalte sich mit Blick auf die Medikation kooperativ und habe sich auch zur Arbeitstherapie motivieren lassen. Letzteres freilich nur für einen Tag. Danach habe er gesagt: „Das ist nichts für mich.“
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Welche körperliche Wucht der im Prozess so stumpf wirkende Mann entfalten kann, wurde bei der Befragung von Zeuginnen und Zeugen in gleich mehreren Fällen deutlich. Da eskalierte der 33-Jährige im Polizeigewahrsam derart, dass es zwei Beamten nur mit großer Mühe gelingen konnte, ihn zu fixieren. Eigentlich war er zwecks Durchsuchung auf gefährliche Gegenstände und Betäubungsmittel nur gebeten worden, seine Jacke auszuziehen.
Dem kam er nicht nach, bat um Geduld. „Dann ging es plötzlich los“, erinnerte sich einer der Polizisten (34) vor Gericht. Der Beschuldigte habe um sich geschlagen und getreten, habe an seiner Krawatte gerissen. Alle drei seien zu Boden gegangen, und der 33-Jährige habe in diesem ein- bis zweiminütigen Kampf dem Kollegen gegen den Bauch geschlagen.
„Er hatte ja diesen Tick, mit dem Strom zu reden.“
Erst als sie den Angeklagten sicher im Griff gehabt hätten, habe er den Notfallknopf im Raum betätigen können. 20 Sekunden nach dem Alarm seien andere Kollegen hinzugekommen; man habe den Beschuldigten „in gefesselter Form“ in die Zelle tragen und erst dort gründlich untersuchen können. Vermutlich sei die Jacke der Triggerpunkt gewesen, der die Situation eskalieren ließ, so der Beamte, der solch einen Kampf in Gewahrsam „nicht so häufig“ erlebt habe. Ein Kollege unterstrich später im Zeugenstand, wie sehr es ihn überrascht habe, dass der Zellenalarm tatsächlich ein „Echtalarm“ gewesen sei.
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Andere Polizeibeamte berichteten von unterschiedlichen Vorfällen im Bad Laaspher Stadtgebiet. Mal habe der Beschuldigte ein Auto angehalten, auf offener Straße uriniert und mit einer schussähnlichen Handbewegung gedroht, mal habe er sich selbst völlig verwüstet: ein Taschentuch von der Straße aufgenommen und darauf gekaut, sich mit Speichel, Dreck und Blut beschmiert, mit herausgestreckter Zunge und „völlig weg von der Welt“ – ein „gottgegebener Herrscher aller Arschlöcher“, wie Vorsitzende Richterin Elfriede Dreisbach den Beschuldigten aus einem früheren Protokoll zitierte. „Er hatte ja diesen Tick, mit dem Strom zu reden“, berichtete eine 24-jährige Beamtin. Ihr war der Beschuldigte von vielen Begegnungen her bekannt, wie den „meisten in Bad Laasphe“. Auf die Frage der Richterin, ob es denn immer noch zu Steinwürfen in der Stadt käme, antwortete die Zeugin: „Es gibt keine mehr.“
Rangelei einen halben Meter von einem fahrenden Güterzug entfernt
Von einer Straftat im Januar 2024 berichtete ein 57-jähriger Bahnmitarbeiter, der den 33-Jährigen am sehr frühen Morgen zwischen den Gleisen 3 und 4 am Siegener Bahnhof dabei beobachtete, wie er einen „Kumpel“ bei einer Rangelei mit zwei Fäusten vor die Brust schlug und ihn damit zu Boden stieß. „In einem halben Meter Abstand vom Gleis.“ Quasi im selben Augenblick sei ein Güterzug vorbeigerauscht. „Das war definitiv eine gefährliche Situation“, so der Zeuge, der damals umgehend die Polizei alarmierte.
„Ich habe schon ein blaues Auge gehabt, fünf Tage lang, und meine Brille ist komplett weggeflogen.“
Randaliert haben soll der Angeklagte auch auf der psychiatrischen Station des Kreisklinikums Siegen. Mehrere Zeugen berichteten von einem zerstörten Flachbildfernseher und einer mit einer Tasse eingeworfenen Glasscheibe zum Speisesaal hin. Immer deutete die Tat auf den 33-Jährigen, der sich jeweils allein am Ort des Geschehens aufgehalten hatte. Einer der gehörten Krankenpfleger („ich bin seine Bezugsperson“) berichtete davon, dass der Beschuldigte ihn bei einem früheren Klinikaufenthalt einmal ins Gesicht geschlagen habe. Der 33-Jährige habe beim Mittagessen um Nachschlag gebeten und eine zweite Portion auch erhalten, die er aber in den Müll geworfen habe. Auf die Ermahnung des 57-jährigen Pflegers sei die Attacke erfolgt. „Ich habe schon ein blaues Auge gehabt, fünf Tage lang, und meine Brille ist komplett weggeflogen.“ Er habe den Vorfall nicht angezeigt und der Angeklagte habe sich „ein paar Wochen später mit Handschlag entschuldigt“. Wann das gewesen sei, wisse er nicht mehr, so der Zeuge, der sich unvermittelt dann an seinen Patienten wandte: „Weißt du, welcher Monat das war?“ Darauf er: „Nein, das weiß ich nicht.“ Und tauchte wieder ab.
Seine Fortsetzung erfährt dieser Prozess am Montag, 20. Januar, erneut ab 9.30 Uhr.