Siegen/Bad Laasphe. Vandalismus in Bad Laasphe und anderen Orten: 33-Jährigem droht die schwerste Konsequenz, die ein deutsches Gericht verhängen kann.

Auf diesen Prozess vor der 1. großen Strafkammer des Landgerichtes in Siegen haben viele Geschädigte aus Wittgenstein, vor allem aus Bad Laasphe, gewartet. Seit Dienstag steht ein 33-jähriger Mann aus Herat in Afghanistan vor dem Siegener Landgericht. Er soll für 29 Fälle von Sachbeschädigung, Beleidigung, Exhibitionismus, aber auch für Körperverletzung, Widerstand gegen Polizeibeamte und für massive Bedrohung verantwortlich sein. Tatort war in den meisten Fällen Bad Laasphe, aber auch Bad Berleburg und Siegen.

Das Bild des Mannes auf der Anklagebank will aber nicht zu dem passen, was Staatsanwalt Moritz Faßbender ihm vorwirft. Der 33-Jährige wirkt eher schüchtern. Still und in sich gekehrt sitzt er auf der Anklagebank, begleitet von seinem Pflichtverteidiger Frank Henk aus Bad Berleburg, einem Dolmetscher und seinem Betreuer. Seit dem 11. September 2024 ist der Afghane in der forensischen Psychiatrie Lippstadt-Eickelborn in Behandlung. „Ich fühle mich besser“, sagt er über die Therapie in der LWL-Klinik. Er nimmt jetzt nach eigenen Angaben Medikamente. Das war aber nicht immer so. Denn immer wieder ist der Mann in den vergangenen Jahren in stationärer Behandlung gewesen. Damals aber hat er die Medikamente immer wieder abgesetzt. „Ich habe die Medikamente nicht mehr genommen, weil es mir nicht besser ging“, lässt er durch den Dolmetscher erklären. Stattdessen hat er getrunken. Das sagt er selbst und das bestätigen auch die Alkoholmessungen durch die Polizei.

Im Landgericht Siegen steht im Saal 083 ein Mann vor Gericht, der 29 Straftaten, wie Sachbeschädigungen, dazu Körperverletzung, Widerstand gegen Polizeibeamte, Bedrohung und Exhibitionismus begangen haben soll. Ihm droht die dauerhafte Unterbringung in einer forensischen Psychiatrie
Im Landgericht Siegen steht im Saal 083 ein Mann vor Gericht, der 29 Straftaten, wie Sachbeschädigungen, dazu Körperverletzung, Widerstand gegen Polizeibeamte, Bedrohung und Exhibitionismus begangen haben soll. Ihm droht die dauerhafte Unterbringung in einer forensischen Psychiatrie © WP | Lars-Peter Dickel

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Zu den Vorwürfen der Staatsanwaltschaft äußert sich der 33-Jährige nicht: „Ich kann mich an nichts erinnern. Ich weiß nicht, was da war. Ich habe zu viel getrunken“, sagt der Beschuldigte in der Befragung durch die Vorsitzende der Strafkammer, Richterin Elfriede Dreisbach. Deshalb ist auch der Prozess selbst kein einfaches Strafverfahren. Über acht Verhandlungstage muss jede einzelne Straftat mit Zeugen aufgeklärt werden. Und es ist kein Anklage-Verfahren, sondern ein Antragsverfahren.

„Das ist die schwerwiegendste Entscheidung, die ein Gericht treffen kann.“

Moritz Faßbender
Staatsanwalt

Hier geht es nicht um Bestrafung, sondern viel mehr darum, ob der psychisch erkrankte Mann auf Antrag der Staatsanwaltschaft dauerhaft oder zumindest für lange Zeit in einem Fachkrankenhaus für Psychiatrie eingewiesen werden muss, um ihn zu behandeln und damit weitere Straftaten mit hohem Sachschaden und auch Gefahren von der Bevölkerung abzuwenden. „Das ist die schwerwiegendste Entscheidung, die ein Gericht treffen kann“, macht Staatsanwalt Moritz Faßbender im Gespräch mit der Redaktion deutlich, deswegen muss hier so viel und genau aufgearbeitet werden. Neben den vielen Zeugenaussagen kommt es deshalb auch auf Dr. Bernd Roggenwallner als psychologischen Gutachter an.

„Ich war mit der Zwangsheirat meiner Schwestern nicht einverstanden.“

Beschuldigter
Über den Ausgangspunkt seiner Erkrankung

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Die vorsitzende Richterin will zunächst klären, was zu der psychischen Erkrankung des Mannes geführt hat, der eine Spur der Verwüstung durch Wittgenstein gezogen hat. „Ich habe immer wieder Bilder aus meiner Vergangenheit gesehen. Das war der Krieg“, sagt der Mann aus Afghanistan, der 2017 mit seiner Mutter, drei Schwestern und zwei Brüdern nach Deutschland geflüchtet war. Aber das war nicht alles: „Ich hatte familiäre Probleme in Afghanistan“, berichtet er. „Ich war mit der Zwangsheirat meiner Schwestern nicht einverstanden.“ Auch sein Vater war offenbar nicht einverstanden und sei deswegen von der Familie der Ehemänner getötet worden. Er selbst sei von den Männern geschlagen, gefoltert und vergewaltigt worden, berichtet er vom Ursprung seines Traumas. Aus Angst vor Rache habe man den Mord an seinem Vater und die Misshandlungen nicht angezeigt.

Anmerkung der Redaktion

Normalerweise berichten wir nicht über Suizide, es sei denn, sie erfahren durch ihre Umstände besondere Aufmerksamkeit. Wenn Sie selbst depressiv sind und Selbstmord-Gedanken haben, kontaktieren Sie bitte die Telefonseelsorge über die kostenlose Hotline 0800/111 01 11 oder 0800/111 02 22. Hilfe für Menschen, die unter Depressionen leiden, gibt es außerdem auch beim Bündnis gegen Depression unter: 0291/941469.

„Ein Messer reicht nicht aus. Ich besorge mir eine Pistole und werde alle Angehörigen der Polizei in Bad Berleburg töten.“

Polizeibeamter
Gibt als Zeuge die Bedrohung wider
Im Landgericht Siegen steht im Saal 083 ein Mann vor Gericht, der 29 Straftaten, wie Sachbeschädigungen, dazu Körperverletzung, Widerstand gegen Polizeibeamte, Bedrohung und Exhibitionismus begangen haben soll. Ihm droht die dauerhafte Unterbringung in einer forensischen Psychiatrie
Im Landgericht Siegen steht im Saal 083 ein Mann vor Gericht, der 29 Straftaten, wie Sachbeschädigungen, dazu Körperverletzung, Widerstand gegen Polizeibeamte, Bedrohung und Exhibitionismus begangen haben soll. Ihm droht die dauerhafte Unterbringung in einer forensischen Psychiatrie © WP | Lars-Peter Dickel

In Deutschland kam der Beschuldigte bereits 2017 für einen Monat in eine Fachklinik nach Warstein und später immer wieder in die psychiatrische Station des Kreisklinikums Weidenau. Das alles habe nicht geholfen. Deswegen habe er auch die Medikamente abgesetzt. Als ihn dann die Bilder der Vergangenheit heimsuchten, habe er getrunken. Dann eskalierte die Lage langsam.

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Mehrere Polizeibeamte im Zeugenstand beschreiben die Einsätze, bei denen sie immer wieder auf den Beschuldigten trafen. Bei zwei Sachbeschädigungen in Bad Berleburg wirkte er „nicht zeitlich und räumlich orientiert. Er war apathisch“, sagt ein Beamter. Seine Kollegin berichtet von „nicht zu erklärenden Verhaltensweisen“ bei den Einsätzen, weil er unter anderem auch mit sich selbst gesprochen, manchmal gelacht oder gepfiffen habe und behauptet habe, dass er Stimmen höre. Sie berichtet auch von Spannungen in der Familie des Täters. Von Suizidgedanken und Gewalt gegen sich selbst berichtet sie ebenfalls, wie auch von Widerstand bei Ingewahrsamnahmen. Sie selbst war bei einem Einsatz an der Hand verletzt worden. Gewalttätig war er indes im Großen und Ganzen nicht. Allerdings berichtet ein weiterer 22-jähriger Polizeibeamter von einer massiven Bedrohung. Er hatte den Mann auf dem Weg in die Psychiatrie im Krankenwagen begleitet: „Ein Messer reicht nicht aus. Ich besorge mir eine Pistole und werde alle Angehörigen der Polizei in Bad Berleburg töten“, habe der Beschuldigte in einem ganz ruhigen Ton zu ihm gesagt.

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„Ich möchte nicht gegen ihn aussagen. Es ist ja seine Krankheit.“

Schwester
verweigert die Aussage

Daneben sagen auch zahlreiche Geschädigte aus, deren Wohnhäuser, aber vor allem auch Autos beschädigt worden sind. Zwar zahlten die Versicherungen die Scheiben und Reparaturen, aber die Opfer bleiben auf zum Teil hochgestuften Versicherungsbeiträgen sitzen. In einem Fall wird ein Rentner aus Bad Laasphe, der sich die 600 Euro für eine neue Heckscheibe nicht leisten kann, ab diesem Monat gar kein Auto mehr haben, weil es mit der provisorisch geflickten Heckscheibe nicht mehr durch den TÜV kommen wird.

Als letzte wird an diesem Tag seine Schwester in den Zeugenstand gerufen. Die 29-Jährige hat ihren Bruder wegen Körperverletzung angezeigt. „Ich möchte nicht gegen ihn aussagen. Es ist ja seine Krankheit“, sagt sie. Ihren Wunsch, ihren Bruder nur kurz zu umarmen, kann ihr im Gerichtssaal aber niemand gewähren. Dafür müsse sie ihn in Eickelborn besuchen, im Gerichtssaal geht das nicht, bedauert die Vorsitzende Richterin.

Der Prozess wird am kommenden Montag ab 9.30 Uhr im Saal 165 des Siegener Landgerichtes fortgesetzt

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