Wittgenstein. Per Gesetz werden aus kleinen, eigenständigen Gemeinden große Kommunen - und der alte Landkreis muss weichen. Das war nicht unumstritten.
Für viele Lokalpatrioten aus Berleburg, Laasphe und Erndtebrück war der Neujahrsmorgen 1975 ein rabenschwarzer Tag. Am 1. Januar 1975 trat das Sauerland-Paderborn-Gesetz in Kraft. Damit verschwand der Landkreis Wittgenstein nach 190 Jahren als eigenständiger Landkreis von der Landkarte. Bad Berleburg war nicht mehr Kreisstadt, sondern nur noch eine von elf Kommunen im Landkreis Siegen.
Auch interessant
Auch die Tage des beliebten BLB-Kennzeichens waren fürs Erste gezählt. Mit einem Federstrich wurden am 1. Januar aus den Ämtern Berleburg, Laasphe und Erndtebrück durch Eingemeindung von 55 bislang eigenständigen Gemeinden die Städte Berleburg und Laasphe und die Gemeinde Erndtebrück.
„Ein armer Kreis wird nach dem Zusammenschluss mit einem reichen Kreis weiter arm bleiben.“
Streit um Dörfer
In Berleburg hatten 22 Dörfer – Christianseck wurde erst 1978 ein Ortsteil Berleburgs - abgestimmt. Alle bis auf eines stimmten der Eingemeindung zu – nur Wunderthausen lehnte ab.
Auch die Gemeinderäte von Balde, Birkelbach, Birkefehl und Womelsdorf – bislang Teile des Amtes Berleburg – sagten Ja. Aber nicht zu Berleburg, sondern zur neuen Gemeinde Erndtebrück, der sie mit Wirkung zum Neujahrstag 1975 angehörten. Probleme gab es bei den Höhendörfern: Hoheleye, Mollseifen, Neuastenberg und Langewiese waren seit ihrer Gründung 1713 Teil Wittgensteins und des Amtes Berleburg. Doch die vier Ortschaften wurden gegen viele Widerstände an die Stadt Winterberg und den Hochsauerlandkreis abgegeben.
„Wenn schon ein Anschluss an Siegen, dann aber der ganze Kreis.“
Damit wurde aus einer zentralen Forderung von Wittgensteins Landrat Werner Möhl nichts: „Wenn schon ein Anschluss an Siegen, dann aber der ganze Kreis“, wird der Laaspher Sozialdemokrat in der Westfalenpost vom 3. Juli 1974 zitiert. Auch der Vorschlag für eine Neugliederung, den der damalige Oberkreisdirektor Wilfried Lückert der NRW-Landesregierung unterbreitet hatte, hob enge verkehrliche und sozialen Bindungen der Höhendörfer an Wittgenstein und erhebliche Investitionen des Amtes Berleburg in die künftigen touristischen Aushängeschilder hervor.
Auch interessant
Vergebens: Das Land glaubte an eine „dynamische Entwicklung Winterbergs“ und daran, dass die Höhendörfer dort besser aufgehoben seien. Landrat Werner Möhl wollte die nördlichen Gebietsverluste an das Hochsauerland noch mit dem Anschluss von Rüspe und Lützel an Erndtebrück kontern, doch die blieben schließlich bei Kirchhundem und Hilchenbach.
Oberkreisdirektor Wolfgang Lückert, der einer der entschiedensten Gegner der Neugliederung war, sagte: „Ein armer Kreis wird nach dem Zusammenschluss mit einem reichen Kreis weiter arm bleiben.“ Er bezeichnete die Neugliederung in der Westfälischen Rundschau vom 22. Juni 1968 als eine „Verlegenheitslösung.“
Der neue Kreis Siegen
Eher in Wittgenstein als im Siegerland schmerzte der Paragraf 38 des Sauerland-Paderborn-Gesetzes: Die zum 1. Januar 1975 neu gebildeten Städte Bad Laasphe, Bad Berleburg und die neue Gemeinde Erndtebrück wurden Teil des Kreises Siegen, der Kreis Wittgenstein verschwand von der Landkarte und kehrte dorthin erst 1984 mit dem Bindestrich-Namen Siegen-Wittgenstein und 1999 ins Kreiswappen zurück.
Unbehelligt blieb dagegen der Kreis Olpe als kleinster Landkreis Nordrhein-Westfalens, obwohl der nach dem Befinden des Innenministers in seinem Vorschlag von 1974 „in seinen gegenwärtigen Grenzen nicht erhalten werden kann“. Weder der Zusammenschluss mit Siegen-Wittgenstein noch die Aufteilung auf Siegen und Lüdenscheid waren politisch durchsetzbar.
Aus dem neuen Kreis Siegen wurde übrigens erst 1984 „Siegen-Wittgenstein“. Erst seit 1999 sind auch die Wittgensteiner Pfähle im Kreiswappen.
In Erndtebrück sah Amtsdirektor Adolf Wörster den Anschluss an Siegen als das kleinere Übel, weil man zu keinem anderen Nachbarkreis so enge menschliche und wirtschaftliche Beziehungen habe wie zu Siegen.
Auch interessant
Geheime Abstimmung
In einer heißen Debatte im August 1973 diskutierte der Wittgensteiner Kreistag das Landesgesetz ein letztes Mal und votierte schließlich in einer geheimen Abstimmung mit 20 zu 14 für die Auflösung des Landkreises Wittgenstein und den Anschluss an den Kreis Siegen.
Besonders tragisch für viele Wittgensteiner war, dass damit auch die Hoffnungen auf den Namen „Kreis Siegen-Wittgenstein“ zerplatzten. Mit 19 Zeichen sei der Vorschlag nicht computergerecht hieß es damals, obwohl der Begriff Hochsauerlandkreis immerhin 18 Zeichen zählt und viele andere Landkreise ebenfalls längere Namen trugen.
Späte Zugeständnisse 1984
Erst 1984 wurde aus dem Kreis Siegen der heutigen Landkreis Siegen-Wittgenstein. 15 Jahre später zierten dann auch die Wittgensteiner Farben das Kreiswappen – und seit 2012 dürfen nun auch Fahrzeuge wieder das BLB-Kennzeichen tragen. Kommt jetzt auch nach 50 Jahren der Landkreis Wittgenstein zurück? Wohl kaum. Aber die lokalpatriotischen Gemüter sind beruhigter. Ohnehin blieb ja vieles beim Alten. Zum Beispiel bei den Vereinen: Hier gibt es ja nach wie vor den Turnbezirk, den Schützenkreis und auch den Sängerkreis und eine Elektroinnung Wittgenstein.