Milchenbach. Vor 50 Jahren ist die Stadt Lennestadt um ein Dorf reicher geworden. Warum dies ein großer Glücksfall war.

Es war 2017, als ein ganzes Jahr lang an Bigge und Lenne gefeiert wurde: 200 Jahre Kreis Olpe war damals der Anlass für eine ganze Reihe von Festlichkeiten, gipfelnd mit einem großen Fest auf Burg Bilstein, dem ersten Sitz der Kreisverwaltung im Jahr 1817, hieß der Kreis Olpe doch in seinen ersten beiden Jahren sogar noch „Bilsteiner Kreis“. Und doch gab es trotz aller Festfreude auch stets leise Kritik zumindest an der Formulierung des Anlasses. Hieß es doch seitens des Kreises damals stets, der Kreis Olpe habe einen besonderen Grund zum Feiern, weil er quasi als einziger Landkreis seit seiner Gründung weitgehend unverändert geblieben sei. Es war der damalige Bürgermeister der Gemeinde Finnentrop, Dietmar Heß, der nicht müde wurde, darauf hinzuweisen, dass große Teile „seiner“ Kommune erst 1969 dem Kreis Olpe zugeschlagen wurden. Denn es war die große Gebietsreform von Nordrhein-Westfalen, genauer: das „Gesetz zur Neugliederung des Landkreises Olpe“, das das ehemalige Amt Serkenrode aus dem Kreis Meschede herauslöste und mit Teilen der ehemaligen Gemeinden Attendorn-Land, Helden und Oedingen zur neuen Gemeinde Finnentrop machte und den Kreis Olpe beträchtlich vergrößerte. Doch war dies nicht die einzige Veränderung, die der Kreis erfuhr: Ein weiterer Jahrestag jährte sich gerade zum 50. Mal.

50 Jahre Milchenbach in Lennestadt
Dieser Gedenkstein bei Milchenbach erinnert an den alten Kirchweg über den Kähling nach Lenne. Jedes Jahr wird hier ein Erinnerungsgottesdienst gefeiert. © Volker Eberts | Volker Eberts

Es war der 1. Januar 1975, als eine seltsame Zwischenphase beendet wurde. Denn bei der kommunalen Neugliederung 1969 wurde die damalige Gemeinde Lenne ein wenig stiefmütterlich behandelt. Eigentlich hatte sie immer zum Kloster Grafschaft gehört, war aber 1843 dem seinerzeit neu gebildeten Amt Kirchhundem zugeschlagen worden. 1969 blieb die Gemeinde bestehen, erhielt aber keine eigene Verwaltung, sondern bildete eine Verwaltungsgemeinschaft mit der neuen Gemeinde Kirchhundem. Das war dann 1975 vorbei: Die Gemeinde Lenne wurde im „Sauerland/Paderborn-Gesetz“ aufgelöst. Die dazugehörigen Orte Lenne und Hundesossen wurden der Stadt Schmallenberg einverleibt, und das Dorf Milchenbach erweiterte fortan die 1969 am Reißbrett neu geschaffene Stadt Lennestadt. Wie wertvoll dieser „Fang“ für die junge Kommune war, stellte sich später heraus, denn 1989 und 2001 holte Milchenbach die Goldmedaille im Bundeswettbewerb „Unser Dorf soll schöner werden“ bzw. „Unser Dorf hat Zukunft“.

Zum Kreis Olpe gehörte Milchenbach schon immer, zur Stadt Lennestadt erst seit 1975, also seit 50 Jahren.   
Zum Kreis Olpe gehörte Milchenbach schon immer, zur Stadt Lennestadt erst seit 1975, also seit 50 Jahren.    © WP | Volker Eberts

Gibt es nach 50 Jahren noch irgendwelche Spuren der einstigen Gemeinde Lenne in Milchenbach? Ja, es gibt sie noch, aber man muss sie mittlerweile schon suchen. Die „Beziehung“ wurde lange Zeit besonders durch Pater Leo Jahn, Ehrenbürger des Ortes, am Leben gehalten. Der Pater, Künstler und Pädagoge vom Orden der Missionare von der Heiligen Familie im Kloster Maria Königin in Lennestadt war 35 Jahre lang, bis zu seinem Tod 1998, sowohl Seelsorger der St.-Vincentius-Gemeinde Lenne als auch der St.-Nikolaus-Kapellengemeinde Milchenbach. Am alten Kirchweg über den Kähling, der beide Orte verbindet, steht ein Gedenkstein, an dem jedes Jahr ein gemeinsamer Gottesdienst gefeiert sind. „Diesen Weg gingen die Milchenbacher Gläubigen ca. 600 Jahre lang bis Allerheiligen 1920 zur Pfarrkirche nach Lenne“, heißt es in der Inschrift des Steins.

Ein Grenzstein an der B 236 gaukelt den Autofahrern eine falsche Information vor. Der hübsche Stein mit den Inschriften „Kreis Olpe“ auf der einen und „Kreis Meschede“ auf der anderen Seite sowie den beiden aus bunten Mosaiksteinen gefertigten Kreiswappen steht noch heute an der alten, bis 1975 geltenden Kreisgrenze. Diese wurde aber durch die Gebietsreform um etwa zwei Kilometer Richtung Saalhausen verschoben. Hier weist nur ein Warnschild auf Tempoüberwachungen die Autofahrer darauf hin, dass hier ein anderer Kreis beginnt. Geblieben ist nach 50 Jahren auch die Telefon-Vorwahl. Als einziger Ort in Lennestadt hat Milchenbach die Schmallenberger Vorwahl 02972.

50 Jahre Milchenbach in Lennestadt
Der Grenzstein an der früheren Kreisgrenze (Olpe/Meschede, heute HSK) steht immer noch am alten Standort. Heute liegt die Grenze etwa 2 Kilometer weiter entfernt Richtung Lennestadt. © Volker Eberts | Volker Eberts

Dass Milchenbach vor 50 Jahren zur Stadt Lennestadt kam, wurde nicht am Schreibtisch in Düsseldorf entschieden. „Wir Milchenbacher sind damals gefragt worden, ob wir zu Schmallenberg oder zu Lennestadt gehören wollten“, erinnert sich Maria Pohl, Jahrgang 1946. Die „Volksabstimmung“ ging damals zugunsten der Stadt Lennestadt aus, „weil damals schon viele in Saalhausen und bei anderen Firmen in Lennestadt arbeiteten“, so die Milchenbacherin.

Abspaltungsbestrebungen gab es aber auch schon früher. 1953 gründeten die Milchenbacher einen eigenen Schützenverein. „Die Milchenbacher waren schon immer gerne eigenständig“, so Christoph Pohl, Vorsitzender des Heimatvereins. Dies wiederum liegt an der exponierten Lage. Auf der Landkarte mit den Gebietsgrenzen ragt der Ort wie eine kleine Halbinsel aus dem Stadtgebiet heraus. Der Weg zu den Nachbardörfern Saalhausen, Lenne, Oberhundem und Jagdhaus, also vier Ortschaften in drei Kommunen und drei Landkreisen (Kreis Olpe, HSK und Siegen-Wittgenstein) ist nicht weit. Deshalb gibt es historische Verbindungen in fast alle Richtungen. Die Milchenbacher Jägerschaft zum Beispiel gehört zum Hegering Rüspe (Oberhundem).

Doch war dies nicht der einzige Gebietstausch, der vor genau 50 Jahren die Grenzen des Kreises Olpe veränderte. Denn 1975 verlor durch das Sauerland-Paderborn-Gesetz die junge Gemeinde Finnentrop zwei Orte wieder: Röhrenspring wechselte zur Stadt Sundern, Dormecke nach Eslohe.