Wittgenstein. Wer die Schließung der Brustkrebs-Behandlung befürwortet, nimmt eine höhere Sterblichkeit von Frauen in Kauf, findet Redakteurin Lisa Klaus.
Die drohende Schließung der Senologie in Bad Berleburg ist nicht nur ein Paradebeispiel für die immer knapper werdende medizinische Versorgung im ländlichen Raum, sondern wirft auch ein Licht auf ein viel größeres, strukturelles Problem: Die Benachteiligung der Frauen in der Medizin beziehungsweise die Unterschätzung der medizinischen Belange der Frau in einem patriarchalisch geprägten System. Die Rettung der Senologie in Bad Berleburg wäre ein beachtliches Zeichen für Modernität, einen Schritt in die Zukunft und ein besseres Verständnis für Gleichberechtigung. Eine Schließung würde hingegen das genaue Gegenteil bewirken.
Die meisten Frauen werden es aus dem Alltag kennen: Ihre medizinischen Beschwerden werden weniger ernst genommen, als es zu wünschen wäre. Stattdessen gilt das männliche Gesundheitsempfinden als Standard - was sogar lebensgefährlich für Frauen werden kann. Beispiel Herzinfarkt: Während die Symptome bei Männern klar erforscht und eindeutig sind - ein Stechen in der Brust, das in den linken Arm ausstrahlt - sind die Symptome bei Frauen deutlich weniger bekannt. Frauen kommen deswegen im Durchschnitt zwei Stunden später in die Notaufnahme und sterben häufiger an Herzinfarkten als Männer. Grundsätzlich werden Krankheiten und Medikamente zum Großteil an Männern erforscht und getestet, die Erkenntnisse dann auf Frauen übertragen - oft zum Nachteil der Frauen.
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In einem patriarchalisch geprägten System ist dies eine logische Konsequenz - eine anerkannte Studie des Hindawi Pain and Research Managements aus dem Jahr 2018 hat diesbezüglich 77 Studien inklusive zahlreicher Gespräche mit Patienten und Ärzten in westlichen und westlich geprägten Ländern ausgewertet, mit dem Ziel, geschlechterspezifische Voreingenommenheit in der Schmerzbehandlung herauszukristallisieren. Dabei wurde festgestellt, dass die Ungleichbehandlung nicht von ungefähr kommt. Vielmehr sei die Annahme, dass Männer und ihre gesundheitlichen Probleme die Norm sind und Frauen als Abweichung gelten, Teil der Aufrechterhaltung der gesellschaftlichen Geschlechterordnung.
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Was hat all das mit der Schließung der Senologie in Bad Berleburg zu tun? Sie fügt sich bestärkend in das bestehende Bild ein, in dem gerade erst angefangen wird, Strukturen aufzubrechen. Wenn nun ein männlicher Minister, namentlich Karl-Josef Laumann, Politikerinnen erklärt, warum er die Schließung der Station (die sich hauptsächlich um ein potenziell tödliches Frauenleiden kümmert) befürwortet, kommt das nicht nur dem neudeutschen „mansplaining“ (wenn ein Mann einer Frau etwas erklärt, ohne zu berücksichtigen, dass sie das Thema vielleicht besser kennt oder versteht) gleich, sondern hat vor dem gesamten Hintergrund der Benachteiligung der Frau in der Medizin einen äußerst faden Nachgeschmack. Hier ist letztendlich nicht das Wohlbefinden der Bürgerinnen das, was die Entscheidung lenkt, sondern rein kapitalistisches Denken.
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Ähnlich verhält es sich auch in anderen Bereichen der weiblichen Gesundheit. Immer wieder lese ich in den sozialen Medien den Satz „Wenn Männer wie Frauen eine Periode bekämen, wären Periodenprodukte hierzulande umsonst“. Auch wenn man sich den Zugang zur männlichen bzw. weiblichen Sterilisation anschaut, sieht man: Männern wird es leichter gemacht als Frauen. Ja, der Eingriff ist bei Männern weniger risikobehaftet und ist auch reversibel - jedoch ist allein schon der Zugang zu Informationen, zum Beispiel über Anlaufstellen, ein einfacherer. Frauen wird jedoch nicht nur vor dem Hintergrund der Risiken einer Operation der Zugang verwehrt, auch spielen dabei gesellschaftliche Normen eine große Rolle, da die dauerhafte Sterilisation von Frauen eher hinterfragt oder eingeschränkt wird. Selbstbestimmung gilt dann doch nicht mehr.
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Brustkrebs stand laut dem statistischen Bundesamt im Jahr 2023 an der vierten Stelle in den Top Ten der häufigsten Todesursachen bei deutschen Frauen. Ein guter Zugang zu Vorsorge und Behandlung in westlichen Ländern sind es, die erkrankten Frauen die Chance auf ein Weiterleben geben. Ist dieser direkte Zugang nicht da, steigt die Sterblichkeit automatisch. Das nimmt man in Kauf, wenn man stocksteif an Zahlen und Vorgaben festhält, anstatt Mut aufzubringen und Vorgaben zu hinterfragen. Der Erhalt der Senologie in Wittgenstein wäre ein Zeichen dafür, dass Frauen und ihre Gesundheit doch mehr wert sind als Zahlen und dass die medizinischen Belange von Frauen in ländlichen Regionen genau so ernst genommen werden, als wären es die eigenen.