Herbertshausen. Marie Wagner aus Herbertshausen teilt ihre persönliche Erfahrung mit einem Burnout. Und wie sie einen Weg zurück ins Leben gefunden hat.
„Burnout ist nur eine Modeerscheinung.“ „Man muss auch mal machen, dass es geht. „Sie ist faul und hat einfach keinen Bock.“ Mit diesen Vorurteilen werden viele Menschen, die von einem Burnout betroffen sind, konfrontiert. Marie Wagner hatte 2022 eine akute Überlastungsreaktion. „Eine Burnout-Depression. Und begleitend dazu entwickelte ich eine vorübergehende Angst- und Panikstörung“, sagt die 47-Jährige. Es kam zu einer plötzlich auftretenden Bewegungsstarre, die etwa ein dreiviertel Jahr andauerte und ihr die Selbstversorgung unmöglich machte. Körperliche Symptome, wie Magen-Darm-Reizungen, Atemnot, Herzrasen und schnelle Erschöpfung seien bereits zwei Jahre zuvor spürbar gewesen. „In Situationen, in denen ich mich unwohl fühlte, war es wie ein Strick um meinen Hals. Ich hatte das Gefühl, ich kann nur noch durch ein Nadelöhr atmen“, sagt Marie Wagner.
Diese Symptome brachte die 47-Jährige damals aber nicht mit einer möglichen Überlastung in Verbindung. Anfangs suchte sie nach den körperlichen Ursachen. Es hat etwas gedauert, bis sie verstand, dass es psychisch bedingt war. Denn das Ganze war ein schleichender Prozess.
„Wenn der Körper nicht funktioniert, funktioniert die Psyche nicht und umgekehrt auch. Das ist ein zusammenhängendes System. Das verstehen viele Leute nicht.“
Auslöser des Burnouts war, neben den körperlichen Belastungen durch die Arbeitszeit und den Anforderungen in der stationären Jugendhilfe, ein innerer Konflikt, der die Psyche belastete. „Ich hatte einen bestimmten Anspruch an mich selbst“, sagt Marie Wagner. „Die allgemeingültigen Rahmenbedingungen und der Aspekt der Wirtschaftlichkeit in meinem Arbeitsbereich waren das Problem und lösten einige innere Konflikte aus“, erklärt sie. „Wenn der übergeordnete Rahmen marode ist, bröckelt auch die Fassade derer, die darin wirken. All das wirkt auf vielen Ebenen einfach ungesund. Für die betreuenden Personen bedeutet das, der Zielgruppe und den eigenen Bedürfnissen nicht gerecht werden zu können – irgendetwas oder irgendwer fällt immer hinten runter. Das passte nicht zu meinen moralischen Werten“, sagt Marie Wagner weiter. „Ich dachte, es gibt bestimmt Einrichtungen, in denen es anders ist. Das habe ich allerdings in zehn Jahren stationäre Jugendhilfe nicht erlebt.“
Stress und Überlastung: Irgendwann gab der Körper nach
Sie suchte nach einem Ausweg in Form einer beruflichen Veränderung: „Um meinen Job in der stationären Jugendhilfe nicht gänzlich verlassen zu müssen und eher über einer Stundenreduzierung und einem zusätzlichen Job im Handwerk mein Leben finanziell bestreiten zu können.“ Zufällig stieß sie auf eine Ausbildung zur Dreadstylistin bei der DreadFactory und traf alle notwendigen Vorbereitungen und bewarb sich. „Ich wollte schon seit ich 17 Jahre alt bin Dreadlocks haben. Das hat mir einen Ausweg gezeigt: Damit könnte ich Teilzeit arbeiten und mir etwas Eigenes aufbauen.“ Sie machte einen Zwölf-Wochen-Kurs, bestand die Prüfung, bereitete ihren Internetauftritt vor und nachdem alles geschafft war, trat die akute Überlastungsreaktion in Form der Bewegungsstarre ein. „Ich konnte mich nicht mehr bewegen. Ich war fertig“, erinnert sie sich an die Situation. Vorübergehend musste sie das Haus verlassen. Sie kam in der Zeit bei ihrer Mutter unter, weil sie sich allein nicht mehr versorgen konnte.
„Es kamen alle Emotionen auf einmal. Jedes Ereignis aus der Vergangenheit holte mich ein. Als Entladung habe ich geweint, tagelang. Dadurch konnte ich wieder entspannen. Das war wie ein Blitzableiter.“
„Wenn der Körper nicht funktioniert, funktioniert die Psyche nicht und umgekehrt auch. Das ist ein zusammenhängendes System. Das verstehen viele Leute nicht.“ Auch Marie Wagner konnte es anfangs nicht verstehen. „Ich bin ständig beim Hausarzt gewesen, habe die Ärzte gewechselt, weil niemand etwas gefunden hat.“ Ein Laaspher Arzt hat ihr auf ihrem Weg aus dem Burnout sehr geholfen. „Ich brauchte die Logik dahinter. Er hat mir geholfen, dass ich selbst erkenne, dass ich aus der Waage geraten bin. Als ich das erkannt habe, fiel mir ein Stein von Herzen. Das war wie eine Befreiung.“ Marie Wagner wusste endlich, was mit ihr los war. „Es kamen alle Emotionen auf einmal. Jedes Ereignis aus der Vergangenheit holte mich ein. Als Entladung habe ich geweint, tagelang. Dadurch konnte ich wieder entspannen. Das war wie ein Blitzableiter.“ Indem sie sich auf nichts anderes als sich selbst konzentrierte, kam sie wieder auf die Beine. „Meinem Körper und meinem Geist, das zu geben, was er in dem Moment brauchte – und zwar Ruhe – das hat mir Kraft gegeben.“
Beim Burnout können Betroffene die Gedanken nicht kontrollieren
Erst im Oktober 2022 kehrte sie zurück in ihr eigenes Haus. 2023 machte sie eine psychosomatische Reha. Danach konzentrierte sie sich auf ihre Selbstständigkeit. „Das hat mir Freude gemacht und ich habe mir Zeit gelassen. Ich hatte etwas, worauf ich mich konzertieren konnte.“ Mit Fachbüchern aus der Psychologie gelang es ihr weiter, ihre Gedanken umzuleiten. „Die Festplatte zu überschreiben“, wie sie sagt. Was sich einfach anhört, ist es für Betroffene nicht. „Ein ehemaliger Kollege sagte damals zu mir: ‚Das ist alles eine Frage der Gedanken.‘ Das hilft Betroffenen nicht weiter. Burnout ist eine akute Überlastungsstörung, in dem Moment kannst du deine Gedanken nicht kontrollieren.“
- DreadWerkstatt Wittgenstein: Marie Wagner lebt ihren Traum
- Wittgensteiner über Depression: „Dunkel, kalt und schwer“
- Zurück ins Leben: Simone Dickels Weg aus der Depression
Unterstützung von Familie und Freunden sei aber viel wert. „Angehörige brauchen Geduld, eine annehmende, unterstützende Haltung. Sie können auch mal sagen: ‚Ich weiß grad nicht, was ich machen soll, kann ich dir irgendwie helfen?‘“, sagt Marie Wagner. Eine Freundin habe ihr Nachrichten geschickt und sie darüber mit in den Alltag genommen. „Sie hat mir immer gesagt, sie freut sich, wenn ich wieder dabei bin.“ Vor allem sollten Angehörige und Bekannte keine Vorurteile gegenüber den Betroffenen haben. „Jeder kann in diese Situation kommen, niemand ist davor geschützt“, stellt Marie Wagner klar.
Mittlerweile hat die 47-Jährige einen neuen Job, arbeitet insgesamt knapp 22 Stunden die Woche. In der ambulanten Jugendhilfe, nicht mehr stationär. „Ich betreue Kinder, deren Familien von Krisen bedroht oder betroffen sind. Das Arbeitsfeld passt zu meinen ethischen und moralischen Vorstellungen und es entsteht kein innerer Konflikt.“ Dazu baut sie sich ihre Selbstständigkeit als Dreadstylistin weiter aus. „So habe ich genug freie Zeit, genügend Abstand zur Arbeit und dem Stress. Ich kann mich wieder regulieren. Ich habe ein Leben, von dem ich vorher dachte, dass es nicht möglich ist.“