Siegen/Bad Berleburg. Die ehemals frei lebende Wisentherde im Rothaargebirge steht vor zweitem Winter im Gatter und das Blauzungen-Virus macht alles schwieriger.
Es steht nicht gut um die Zukunft der Wisente am Rothaarsteig. Und das liegt nicht allein daran, dass aktuell viele Kälber sterben oder eine Entscheidung des Verwaltungsgerichts Arnsberg über eine erneute Freilassung noch lange nicht in Sicht ist. Unsere Redaktion hat sich nach der Herde erkundigt, die seit fast einem Jahr in einem 24 Hektar großen Gatter in einem Seitental im Wald bei Bad Berleburg lebt.
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Hier hat der Kreis als Veterinärbehörde die Aufsicht über die Tiere übernommen, nachdem der Trägerverein des Artenschutzprojektes ins Insolvenzverfahren gegangen ist und vor einer Liquidierung steht. Versorgt werden die weit über 40 Wildrinder vom Kreis-Tierarzt Dr. Ludger Belke und Wisentrangern im Auftrag des Kreises. Wie groß die Herde aktuell ist, sei aber nicht zu beantworten. „Die gesamte Herde kann zurzeit nicht zuverlässig erfasst werden. Dies wird erst wieder nach Eintritt einer strengeren winterlichen Witterung möglich sein, wenn sich alle Tiere wieder über längere Zeiträume dauerhaft an der Fütterung einfinden“, erklärt die Pressestelle des Kreises Siegen Wittgenstein auf Nachfrage.
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Impfung gegen Tierseuchen
Und weiter heißt es: „Die Tiere befinden sich weiterhin in einer sehr guten körperlichen Verfassung.“ Allerdings relativiert der Kreis seine Aussage wenig später selbst, als die Redaktion das Thema Blauzungenkrankheit anspricht: „Erste Impfungen gegen die Blauzungenkrankheit wurden durchgeführt und Blutproben zur Überprüfung des Gesundheitsstatus entnommen. Die Ergebnisse zeigen, dass die beprobten Wisente frei von auf Rinder übertragbaren Tierseuchenerregern sind, jedoch bei allen untersuchten Tieren eine Infektion mit dem Virus der Blauzungenkrankheit festgestellt werden konnte. Die beprobten Tiere zeigen jedoch keinerlei klinischen Symptome wie Apathie, steifer Gang, Fressunlust, etc.“ Das sei aber laut dem Kreis auch bei anderen Rindern zu beobachten und beruft sich dabei auf Beobachtungen der Tierarztpraxen bei heimischen Rinderbeständen.
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Insgesamt fünf tote Neugeborene
Eine Folge der Seuche lässt aber aufhorchen: „Ältere Tiere zeigen trotz Infektion nur milde Symptomatik, jedoch sind gehäuft Verkalbungen, Frühgeburten und Geburten lebensschwacher Kälber festzustellen. Dies wird in geimpften und ungeimpften Beständen beobachtet“, berichtet der Kreis und liefert auch konkrete Fälle aus dem Wisentgatter in Bad Berleburg: „Im Verlauf des Jahres wurden sechs Kälber geboren – vier der Kälber sind direkt oder wenige Tage nach der Geburt gestorben.“ Außerdem habe man bei einem wenige Wochen alten Kalb der Herde einen gebrochenen Vorderlauf entdeckt. „Mit Blick auf die geringen Heilungschancen musste das Kalb durch eine die Herde betreuende Tierarztpraxis von seinem Leid erlöst werden“, heißt es aus der Pressestelle des Kreises.
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Warum die Sterblichkeit bei den Kälbern aktuell so hoch ist, dazu wollte sich beim Kreis niemand festlegen: „Ob der in dieser Kleinstpopulation bestehende hohe Inzuchtgrad oder vielleicht die Infektionen der Mutterkühe mit der Blauzungenkrankheit - zum Teil trotz Impfung - die unzureichende Vitalität der neugeborenen Wisente bedingen, kann ähnlich wie bei anderen geimpften und ungeimpften Rinder-Tierbeständen, nur spekuliert werden“.
Zukunft der Tiere
Eine Auflösung der Herde in Wittgenstein und ein Transfer der Wildrinder in andere Artenschutzprojekte oder Gatter ist momentan noch nicht in Sicht. Die Blauzungenkrankheit dürfte dabei auch eine Rolle spielen, weil sich die Seuche rasant in Deutschland und Europa ausbreitet. Nach wie vor ist der Stand hier unverändert. Der Kreis pflegt nach eigenen Angaben „Kontakte zu den Verantwortlichen anderer Projekte im In- und Ausland, die perspektivisch verschiedenen Möglichkeiten eröffnen, Wisente der ehemals frei laufenden Herde zu verbringen. Potenzielle Kooperationspartner anderer Projekte machen allerdings eine Mitwirkung und eine Übernahme von Tieren von dem Ausgang des noch laufenden Gerichtsverfahrens abhängig.“
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Für den bevorstehenden Winter sei die Versorgung der Tiere mit Futter gesichert. „Die notwendigen Finanzmittel werden durch das Land Nordrhein-Westfalen und den Kreis Siegen-Wittgenstein bereitgestellt. Die operative Umsetzung wird durch den Wisentranger, der über die notwendige Fachkunde verfügt, in Abstimmung mit dem Veterinäramt des Kreises sichergestellt“, so der Kreis Siegen-Wittgenstein, der mit der gegatterten Herde nun in den zweiten Winter gehen wird.