Bad Berleburg. Sie verkörpert das, was Taliban an Frauen fürchten: Sie ist gebildet und Feministin. In Berleburg startet Autorin Marie Bamyani neu.

Frauen in Afghanistan leiden ganz besonders unter der Machtübernahme der Taliban: Seit August 2021 dürfen sie nicht mehr ihrem Beruf nachgehen, nicht mehr eine Schule oder Universität besuchen. Befolgen sie nicht die strengen Kleidervorschriften, drohen ihnen und ihrer Familie harte Strafen, wie Inhaftierung oder Jobverlust. Abgesehen von diesen Repressalien kann es ganz besonders gefährlich für Personen werden, die für ausländische Firmen oder Regierungen arbeiten. Eine von diesen gefährdeten Personen war Marie Bamyani.
„Wenn ich da geblieben wäre, wäre ich getötet worden“, sagt Marie Bamyani, die seit dreieinhalb Jahren in Bad Berleburg lebt. Sie hat für NGOs (non-governmental-organisations) und die deutsche Regierung in Kabul gearbeitet. Einige Wochen nach der erneuten Machtübernahme der Taliban bekam sie die Möglichkeit mithilfe ihres Arbeitgebers aus Afghanistan auszureisen. Seitdem lebt sie alleine in in einer Wohnung in Bad Berleburg. „Am Anfang war es sehr schwierig für mich“, berichtet Marie. In Afghanistan leben unverheiratete Frauen und Männer bei ihren Eltern, meistens unter einem Dach mit mehreren Generationen. Marie Bamyani selbst hat sechs Geschwister und fühlte sich zu Beginn oft einsam in ihrer Wohnung in Deutschland.

„Es gab viele Mädchen in meinem Alter, die nicht in die Schule gehen durften(...). Ihre Eltern dachten, es wäre Geldverschwendung. Wenn du keine Bildung hast, weißt du nicht, was um dich herum und im Ausland passiert.“

Marie Bamyani
Autorin

Marie Bamyani schreibt feministische Geschichten

„Es ist anders, aber es ist auch gut, ich kann meine eigenen Routinen befolgen...“. Dazu gehört für Marie Bamyani eindeutig auch das Schreiben: Sie ist Autorin und schreibt (Kurz-)Geschichten. Ihr Hauptthema sind Frauen und Ungerechtigkeiten, mit denen Frauen, vorrangig in Afghanistan, leben müssen. „Jeder spricht über die großen Sachen“, meint Marie, „wenn ich kleine Sachen in der Gesellschaft feststelle, die nicht richtig laufen, forme ich diese Sachen in eine Geschichte.“ Marie möchte Probleme ansprechen, die nicht direkt auffallen. „Zum Beispiel, wenn ein Mann in Afghanistan einer Frau entgegen kommt und ihr keinen Platz macht.“ Marie ist überzeugt, dass diese kleinen Missstände eine bestimmte Mentalität verdeutlichen und das Weltbild der Menschen in einer Gesellschaft formen. Ihre fiktiven Geschichten sind keine offensive Gesellschafts- oder Regimekritik, aber sie regen zum Nachdenken an.“

„Ich will nicht, dass ein Mann mein Sprachrohr ist“

Dass diese Art des Schreibens von den Taliban nicht akzeptiert wird, besonders wenn eine Frau es tut, macht ihre Arbeit noch wichtiger. „In der afghanischen Geschichte waren fast alle Autoren männlich“, sagt Marie, „aber ich will nicht, dass ein Mann mein Sprachrohr ist.“ Besonders wichtig ist es ihr, Geschichten über Personen und Kulturen zu schreiben, die sie selbst kennt und nachvollziehen kann. Marie möchte den Frauen in Afghanistan eine Stimme geben, denn insgesamt können etwa 70 Prozent der afghanischen Frauen nicht lesen und schreiben, „sie sind stumm gestellt“. Marie Bamyani hatte Glück: Ihre Eltern erlaubten und finanzierten ihre Schul- und Universitätsbildung. „Es gab viele Mädchen in meinem Alter, die nicht in die Schule gehen durften(...). Ihre Eltern dachten, es wäre Geldverschwendung.“ In Afghanistan sind es meistens die Ehemänner, die studieren und später arbeiten gehen. Mädchen und Frauen bekommen oft nur Zugang zu einer Grundausbildung, um sich dann auf die Arbeit für die Familie zu fokussieren.

Kein braves afghanisches Mädchen mehr

Anders als die meisten jungen Afghaninnen, laut Unicef heiraten drei von zehn Afghaninnen bevor sie 18 Jahre alt werden, heiratete Marie nicht. Sie sagte ihren Eltern, dass sie sich nicht verheiraten lassen wolle, um ihre Ausbildung weiter führen zu können. „Gute Mädchen in Afghanistan gehorchen“, sagt Marie, und als sie entschied, nicht mehr länger die gesellschaftlichen und religiösen Regeln zu befolgen, war das „wie eine Bombe“ in ihrer Familie. Marie wollte, nachdem sie mit 16 Jahren die Biografie von Forugh Farrokhzad gelesen hatte, ihre eigenen Ziele verfolgen und sich nicht länger unterordnen. Forugh Farrokhzad inspirierte Marie Bamyani und zeigt ihr, dass „es nicht so wichtig ist, ein gutes afghanisches Mädchen zu sein“, sondern dass man seine eigenen Ziele verfolgen muss. So kam es, dass auch Marie begann Geschichten zu schreiben, zu studieren und regulär zu arbeiten.

Zwischen 2001 und 2021 begannen zwar deutlich mehr Frauen auch außerhalb ihrer eigenen vier Wände zu arbeiten, aber dennoch waren sie fast immer alleine für den Haushalt zuständig. Auch deshalb, und weil viele Familien es ihnen nicht erlauben, haben Frauen meistens keine volle Arbeitsstelle, schon gar nicht in akademischen Berufen. Marie gehörte zu den wenigen Frauen, die unverheiratet, gut gebildet und voll berufstätig waren. Seit der erneuten Machtübernahme der Taliban im Sommer 2021 hat sich das Bild jedoch wieder gewandelt, Frauen dürfen offiziell gar nicht mehr arbeiten.

Das ist ein großes Problem, aber viele Frauen erkennen nicht, dass sie benachteiligt gegenüber Männern sind. „Wenn du keine Bildung hast, weißt du nicht, was um dich herum und im Ausland passiert“, sagt Marie. Für viele Afghaninnen ist es ganz klar: Der Mann arbeitet außer Haus und verdient Geld, die Frau kümmert sich um Haushalt und Kinder. „Es ist wie eine Verkehrsregel“, es wird nicht hinterfragt. Doch wenn die Frauen nicht ausgebildet werden und sich ihren Männern blind unterwerfen, kommt es zu gefährlichen Machtstrukturen und nicht selten zu Missbrauch. Das möchte Marie aufdecken und gleichzeitig dafür sorgen, dass Frauen verstehen, wer sie sein wollen und können.

„Ich bin schon Menschen begegnet, die wirklich nicht respektvoll zu mir waren, nur weil ich nicht deutsch bin.“

Marie Bamyani
Über Ausländerfeindlichkeit

Heute, in Deutschland, lebt Marie von ihrer Familie getrennt. Einige ihrer Geschwister leben auch im Ausland, ihre Eltern und ihre kleine Schwester sind aber noch immer in Afghanistan. Auch wenn ihre Eltern sehr religiös sind, unterstützen sie Marie Bamyanis Lebensstil in Deutschland. „Niemand aus meiner Familie kritisiert, wie ich jetzt lebe“, sagt Marie, die heute kein Kopftuch trägt und sich westlich kleidet und lebt.

Heute lebt Marie Bamyani in Bad Berleburg

In Wittgenstein habe sie kaum negative Erfahrungen gemacht, weil sie Afghanin ist, nur manchmal, weil sie Migrantin ist. „Ich bin schon Menschen begegnet, die wirklich nicht respektvoll zu mir waren, nur weil ich nicht deutsch bin.“ Allerdings komme das nur selten vor, in Bad Berleburg fast gar nicht. Auch wenn Marie immer nach Großbritannien wollte, sie sich auch für Stipendien beworben hatte, ist sie nun froh in Deutschland zu sein. Sie möchte die Sprache noch besser lernen und dann einen guten Job finden, der es ihr ermöglicht in ihren Interessensgebieten zu arbeiten. „Ich möchte nicht immer in meiner Muttersprache oder auf Englisch sprechen“, sagt Marie, sie möchte sich in Deutschland integrieren.

Auch ihre Geschichten sollen ins Deutsche übersetzt werden. „Als ich in Afghanistan war, habe ich für Afghanen geschrieben“, erzählt Marie, sie möchte eine Gesellschaft wirklich verstehen, bevor sie aus ihrer Perspektive schreibt. Aber, für die Zukunft, kann sich Marie auch gut vorstellen, die Geschichten von Frauen aus anderen Kulturen und Ländern zu verschriftlichen. Das soll aber auch ihr Fokus bleiben „Ich möchte die Realität abbilden“, sagt Marie Bamyani und meint damit die Lebensrealitäten von Frauen.

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