Wittgenstein. Supermarkt-Kunden freuen sich, wenn Ware kurz vor Ablauf noch zum halben Preis verkauft wird. Doch was bleibt am Ende noch für die Tafeln übrig?
Lebensmittel aus dem Supermarkt, bei denen das Mindesthaltbarkeitsdatum (MHD) abzulaufen droht – sie werden üblicherweise aus dem Regel geräumt. Doch was passiert dann damit? In den Müll wie bisher jedenfalls sollten sie nicht, finden Verbraucher aus Bad Berleburg im Gespräch mit unserer Redaktion. Und tatsächlich gibt es auch bei den Händlern ein Umdenken.
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Eine Bad Berleburger Kundin hält es für einen sehr guten Ansatz, wenn die Märkte Lebensmittel kurz vor dem Ablauf des MHD zu reduzierten Preisen verkauften. Genau das geschehe bei Lidl, aber auch bei Aldi oder Rewe, erzählt sie – und findet: „Lieber günstiger verkaufen als in die Tonne.“ Das gilt nach Meinung der Berleburgerin im Übrigen auch für Blumen, ehe sie vertrocknen. „Da würde ich zugreifen.“
Landwirte nehmen Reste ab
Kunde Thomas Körner aus Weidenhausen findet es bedauerlich, dass das Containern „immer noch strafbar ist“. Hier müsse es endlich legale Regelungen geben, findet er. Mindestens jedoch sollten die Supermärkte fast abgelaufene Ware an die Tafeln abgeben. Aus Körners Sicht zu begrüßen ist der Trend, dass „Geschäfte anfangen, um 30 oder 50 Prozent mit dem Preis herunterzugehen, drei Tage vor Ablauf des Mindesthaltbarkeitsdatums“. Prima sei auch, wenn frische Ware vom Morgen am Abend billiger sei – oder Brot vom Vortag.
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„Bei mir kriegt die Bad Berleburg-Erndtebrücker Tafel fast alles“, sagt Markus Quitadamo, Inhaber des Edeka-Frischemarktes Quitadamo in Feudingen mit Blick auf nicht mehr ganz so frische Lebensmittel. Bei halbem Preis würden die aber auch von Kundinnen und Kunden gerne mitgenommen. Und für die letzten Reste kenne er mehrere Landwirte als Abnehmer. Quitadamo: „Beim mir kommt nichts weg.“ Im Grunde genommen brauche er gar keine Biotonne mehr, es werde alles verwertet.
„Containern“ lohnt sich nicht
Das sogenannte „Containern“, bei dem Umwelt-Aktivisten oder auch Bedürftige bei den Supermärkten in die Mülltonnen greifen, um noch Essbares herauszuholen, würde sich bei Quitadamo also gar nicht lohnen. Es findet in Wittgenstein zumindest aber auch offenbar gar nicht statt.
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„Ich bin noch gut“: Ware bietet sich zum halben Preis an
Der Discounter Lidl verkauft zum Beispiel in seiner Bad Berleburger Filiale „Brot vom Vortag zum reduzierten Preis“ aus einem Regal mit dem Stichwort „Lebensmittel-Rettung – zu gut für die Tonne“. Dahinter verbirgt sich eine Strategie des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft. Aber auch eingetüteten Salat gibt’s dort zum halben Preis: „Ich bin noch gut“, heißt es auf der Verpackung.Auf Anfrage unserer Redaktion teilt Lidl Deutschland mit: „Die ,Lidl-Lebensmittelrettung‘ hat das Ziel, Lebensmittelverluste und den organischen Abfall im Unternehmen bis 2025 um 30 Prozent zu reduzieren. Aufgrund unseres effizienten Warenwirtschaftssystems, unseres Konzepts ,Ich bin noch gut‘ sowie der vertrauensvollen Zusammenarbeit mit den Tafeln tragen wir umfassend zur Lebensmittelrettung bei.“
„Es kommt ganz selten vor, dass wir Anzeigen bekommen“, sagt Stefan Pusch, Sprecher der Kreispolizeibehörde Siegen-Wittgenstein. Und wenn, dann „in der Regel von den betroffenen Märkten, vor allem in Siegen“. Dort seien es über die letzten zwölf Monate vielleicht zwei, drei Fälle gewesen – und den Kollegen in Wittgenstein sei dieses Phänomen noch gar nicht untergekommen. Da komme als Diebstahlsdelikt, zu dem auch das Containern gehöre, der klassische Ladendiebstahl deutlich häufiger vor. Und schließlich gäben die Händler ja auch viel ihrer verderblichen Waren an die Tafeln ab, ehe sie in der Tonne landeten, sagt Pusch.
Spenden-Bereitschaft eingebrochen
Allerdings gingen die Lebensmittel-Spenden der lokalen Supermärkte seit Ausbruch des Ukraine-Krieges zurück, stellte bereits Ende Mai im Interview mit unserer Redaktion Anette Trapp fest, Vorstandsmitglied der Bad Berleburg-Erndtebrücker Tafel. „Die Spenden-Bereitschaft ist eingebrochen“, sagt sie, denn: „Die Märkte können selbst nicht mehr in dem Umfang beliefert werden wie vorher – und durch die hohen Spritkosten wird auch nicht mehr so viel vor Ort gelagert.“ Zugleich seien bei weiter steigenden Preisen „immer mehr Leute auf das Angebot der lokalen Tafeln angewiesen“.
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Eine Gruppe um Frank Oldeleer von der Erndtebrücker Initiative „Wittgenstein im Wandel“ befasst sich auch mit „Zero Waste“ – also dem Ziel, ein Leben zu führen, bei dem möglichst wenig Abfall produziert wird und Rohstoffe nicht vergeudet werden. Er findet es gut, „wenn Leute reduzierte Ware kaufen. Das ist besser, als wenn sie weggeworfen wird“. Doch blieben selbst in den Läden oft schon die Regale leer, weil Lieferketten unterbrochen seien. Es bleibe also „oft gar nicht mehr so viel übrig“.
Tipp: Leben vereinfachen
Den Wittgensteiner Konsumenten rät Oldeleer, ihr Leben zu „vereinfachen, robuster zu gestalten“. Und nimmt dabei seine eigene Familie in den Blick: „Wir versuchen im Alltag, das Kontingent dessen, was wir einkaufen, auf gut kombinierbare Grundzutaten zu begrenzen.“ Man könne leichter größere Mengen von einzelnen Produkten einkaufen, das sei „gut für die Vorratshaltung“. Das dürfe aber natürlich nicht „zur Hamster-Mentalität führen“.