Tarija/Bolivien. Die heutige Etappe führt Lisa Achatzi durch Bolivien. Und was sie zwischen den Städten Potosi und Tarija erlebt, ist wirklich abenteuerlich.
Als sich Lisa Achatzi per Sprachnachricht meldet, legt sie gerade eine mehrtägige Pause ein. Zeit für ein kurzes Resümee: 1750 Euro konnte sie für die UNO-Flüchtlingshilfe an Spenden zusammenfahren. Wenn es für die Bad Laaspherin in den nächsten Tagen in Richtung Paraguay weitergeht, wird die nächste Spendenperiode für „Viva con Aqua“ sein – ein Verein, der sich weltweit für den Zugang zu sauberem Trinkwasser einsetzt. Zurückblicken, runterkommen, Kraft tanken: für all das scheint die bolivianische Stadt Tarija ein guter Ort zu sein.
Könnte Vollkorn sein
Achatzi findet in der Stadt alles vor, was es für Ruhetage braucht – fast alles. Als Veganerin stößt sie in Südamerika immer wieder an ihre Grenzen. Die Vorfreude auf ein veganes Restaurant war groß, doch hatte es entgegen der Öffnungszeiten geschlossen. „Ist offen? Ist zu? Keine Ahnung. Südamerika halt. Man weiß es einfach nie“, sagt Achatzi frustriert. Kurze Zeit später passiert Ähnliches: „Eine deutsche Bäckerei! Aber klar, auch die hat geschlossen. Jetzt habe ich vorhin durch Zufall ein Brot gefunden, das Vollkorn sein könnte.“
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Für den guten Zweck
10.500 Kilometer legte Lisa Achatzi in sieben Monaten für SOS-Kinderdörfer mit dem Fahrrad durch Südamerika zurück. Im März 2020 musste sie ihre Tour wegen der Corona-Pandemie beenden. Nun fährt sie erneut für einen guten Zweck: Aufgrund des Ukraine-Krieges startet sie die erste Spendenperiode für die UNO-Flüchtlingshilfe.Spenden können Interessierte über Lisa Achatzis Reiseblog www.wheelsoffortune.org oder im Fotofachgeschäft Achatzi in Bad Laasphe.Einmal im Monat berichtet unsere Zeitung von Achatzis Tour durch Südamerika. Per Sprachnachrichten schildert die Laaspherin ihre Erlebnisse.
Nun mag man aus der Sicht eines Wittgensteiner Lehnstuhls meinen: Okay, ärgerlich, kann passieren. Doch was eine warme Mahlzeit in einem Restaurant oder ein gutes Brot für Achatzi bedeuten, lässt sich nach den letzten vier Wochen auf zwei Rädern kaum erahnen. Rückblickend zählten sie zu den härtesten, die Achatzi während ihrer bislang über 14.000 Rad-Kilometer durch Südamerika gemacht hat.
Wie bei „Mad Max“
„In Bolivien geht es einfach immer bergauf. Die Höhenmeter will ich gar nicht wissen. Und immer Straßen mit Staub und Schotter. Hier kriegt man Waden aus Stahl.“ In Potosi auf 4100 Metern Höhe gestartet, musste Achatzi 4500 Höhenmeter zurücklegen, um Tarija in 1800 Meter Höhe zu erreichen. Zum Vergleich: Die Königsetappe des diesjährigen Giro d’Italia wies 5440 Höhenmeter auf. Extreme Belastungen nicht nur für das Rad, sondern auch für die Lunge.
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Die Landschaft gleicht einem Wüstenplaneten und hätte auch der Drehort der „Mad Max“-Filme sein können. Auch die Geschichten gleichen sich. Anfang Mai fährt Achatzi 60 Kilometer geradeaus, ohne das ihr ein Fahrzeug oder Dorf begegnet. Plötzlich sieht sie, wie ein Lkw quer auf der Straße steht. Von dem Fahrer fehlt aber jede Spur. Ein paar Kilometer später kauert eine ausgelaugte Person am Straßenrand. Es klingt nach der Szene eines Italo-Westerns, in der die eine Person der anderen kein Wasser geben kann, weil dann beiden verdursten würden. Achatzi muss taktieren und den Fahrer schlechten Gewissens zurücklassen. Sie fährt schnell weiter, um zeitnah ein Fahrzeug zu finden, das den Fahrer aufsammeln kann. Der Plan geht auf. Stunden später rauscht ein Pick-up an ihr vorbei, auf dessen Ladefläche der erschöpfte Lkw-Fahrer liegt.
Entdeckung der Einsamkeit
Mitte Mai steht Achatzi dann ein Goliath von Strecke gegenüber. Auf der Ruta de las Vicuñas geht es vier Tage lang durch mehrere Nationalparks. Was für Touristen attraktiv klingt, führt bei Achatzi zu schrillenden Alarmglocken: keine Tankstellen, keine Supermärkte, keine Werkstatt. Obendrein hört sie die Stimme eines Grenzbeamten in ihrem Kopf, der die Strecke als Schmugglerroute von Drogen-Kartellen beschrieb. An Hilfe bei einem Notfall ist nicht zu denken, einzige Begleiter sind Alpakas, die gelangweilt die Straßen überqueren.
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Von einer Kuppe auf 4730 Meter Höhe fährt Achatzi zehn Kilometer hinab zu einem See: „Plötzlich sehe ich den Salar de Surire. Ein Anblick, so atemberaubend, dass mein Gehirn gar nicht verarbeiten kann, was ich dort sehe.“ Der Salzsee ist dreimal so groß wie der Bodensee, überall pochen Thermalquellen. Vor einigen Jahren schrieb der Journalist Stefan Geiger eine Reportage über diesen Fleck Erde. Der Titel lautete „Die Entdeckung der Einsamkeit“ – und Achatzi ist mittendrin. Wer hier im Auto durch will, muss zusätzliche Kanister mit Benzin füllen, weil die nächste Tankstelle 600 Kilometer entfernt ist.
Als Achatzi am anderen Morgen verschlafen aus ihrem Zelt kriecht, hat sie Gesellschaft: Vier Flamingos starren sie fragend an. Achatzi denkt sich überglücklich: „Ich bin wirklich hier! Ich habe mich durch reine Muskelkraft hierher bewegt. Mein Leben wiegt 40 Kilogramm, befindet sich in vier Radtaschen und fährt auf zwei Rädern.“ Da weiß sie noch nicht, dass ihr Körper ein paar Tage später kapitulieren wird. Aber das ist die Geschichte der nächsten Ausgabe.
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