Netphen. Liter Benzin für 48 Pfennig: Berta Krengel ist 2006 mit 91 Jahren gestorben, bis 1998 tankten die Netphener bei ihr. Einen Führerschein hatte sie nicht

Tante Betty. Man muss nicht ganz alt sein, um sich in Netphen an sie zu erinnern. Berta Krengel ist 2006 im Alter von 91 Jahren gestorben. Bis zum 31. Dezember 1998 haben die Netphener bei ihr getankt. Dann ging sie in Ruhestand. Weil die kleine Shell-Tankstelle sonst aufwändig hätte umgebaut werden müssen, damit neue Umweltbestimmungen eingehalten werden können. Was sich schon deshalb nicht gelohnt hätte, weil die Tankstelle 2005 dem neuen Kreisverkehr weichen musste, mit dem die Umgehungsstraße an die B 62 angebunden wurde. In der neuen Ausgabe von „Blick ins Netpherland“, der Zeitschrift des Heimatvereins Netpherland, erinnert Wilfried Lerchstein an Tante Betty.

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Die Netphener Tankstellen

1937 eröffnete die Tankstelle auf dem Grundstück der Kfz-Werkstatt von Hermann Krengel. Eine Zapfsäule gab es an der Kronprinzenstraße 22, 48 Pfennige kostet der Liter Benzin, in heutiger Währung etwa 23 Cent. Später kam noch eine Autowaschanlage dazu. Otto und Ulrich Krengel, die Söhne von Berta und Hermann, verlagerten 1979 den Betrieb in das neue Autohaus Krengel an der Oberen Industriestraße. Die Tankstelle blieb. Und Tante Betty auch, als 1980 ihr Ehemann starb. Selbst Auto gefahren ist sie nie. Sie hatte keinen Führerschein, das Fahrrad war ihr genug.

Blick ins Netpherland
Die Tankstelle Krengel an der Kronprinzenstraße in Eichen wird 1937 eröffnet. © Archiv Heimatverein Netpherland | Archiv Heimatverein Netpherland

Als sie Ende 1998 aufhörte, gab es einen großen Bahnhof in der Kronprinzenstraße. Ortsvorsteher Raimund Wagener und Gemeindedirektor Ulf Stötzel kamen mit Blumen, sogar Landrat Paul Breuer schrieb. Jede Menge Anekdoten wurden ausgetauscht. Unvergessen ist der Trabant, der mit zwei Thüringern kurz nach der Maueröffnung im November 1989 vorfuhr. Tante Betty rührte das Öl-Benzin-Gemisch für den Zweitakter von Hand an …

Etwas weiter in Richtung Ortsmitte, auf der anderen Seite der Kronprinzenstraße, gab es noch eine Tankstelle: August Schneider eröffnete dort 1935, als zwei Jahre vor Hermann Krengel, eine Leuna-Tankstelle. August und Maria Schneider hatten acht Kinder. Rosa, die jüngste Tochter, ist zusammen mit Ida Göbel (später: Werthenbach) und Eleonore Schäfer (später: Schmallenbach) auf jenem in Netphen viel verbreiteten Foto mit Anita Ruth Faber zu sehen, sie waren Freundinnen des jüdischen Mädchens, das 1943 im KZ Auschwitz ermordet wurde – an die Freundin erinnert heute die Sekundarschule mit ihrem Namen.

Blick ins Netpherland
An der Ecke Kronprinzenstraße/Hofstraße stand die Leuna-Tankstelle von August Schneider. © Archiv Heimatverein Netpherland | Archiv Heimatverein Netpherland

Aus der Leuna-Tankstelle wurde eine Gasolin-Tankstelle, die 1964 aufgegeben wurde. Heute tanken die Netphener gegenüber von Tante Betty bei Bell Oil, früher: Aral, oder am Ortsausgang in Richtung Dreis-Tiefenbach bei Raiffeisen – dorthin, auf das Gelände der alten Ziegelei, ist das einstige „Kornhaus“ umgezogen, das in der Nachbarschaft des Bahnhofs der Umgehungsstraße im Weg stand. So schließen sich die Kreise…

Die Schuhgeschäfte in Netphen

Ebenfalls legendär ist das Schuhgeschäft der Familie Junk in Dreis-Tiefenbach, das Friedrich Karl Junk 1899 eröffnete und heute in vierter Generation von dessen Urenkelin Heike Junk-Joenke geführt wird – es dürfte mit seinen 125 Jahren eines der ältesten Schuhgeschäfte in Deutschland sein. Der Littfelder Friedrich Karl Junk war zunächst von Haus zu Haus gezogen, um Schuhe zu reparieren. Dann heiratete er die Näherin Auguste Flender. Im Haus ihrer Familie an der heutigen Dreisbachstraße eröffnete er eine Schuhmacherwerkstatt, der später ein kleiner Laden angegliedert wurde - um „Konfektionsschuhe“ zu verkaufen, die nach und nach die Maßanfertigungen ablösten.

Blick ins Netpherland
Auch 2015 arbeitet Günter Junk noch in der Werkstatt. © Michael Junk | Michael Junk

Von ihren fünf Kindern traten Willi und Paul in die beruflichen Fußstapfen des Vaters. Der Halbschuh löste in den 1920er Jahren den Schnürstiefel ab, Schuhe für Frauen wurden Modeartikel. Junks bauten an, die Abwärme des Ofens aus der Werkstatt heizte die Wohnung darüber. „Mit dem großen Wasserboiler im ersten Stock hatten Junks damit die erste beheizbare Badewanne im Ort“, berichtet Michael Junk in seinem Aufsatz für das „Netpherland“. Willi Junk übernahm 1944, Günter Junk 1960, Heike Junk-Joenke 2005. 1954 entstand der Schaufenster-Vorbau, 1963 und 1980 wurde der Laden erweitert. Günter Junk starb 2021 im Alter von 85 Jahren; er war bei seiner Diamantenen Meisterfeier 2020 der letzte aktive Dreisber Schuhmachermeister.

Sonnenweg und Lohschäler

In weiteren Beiträgen wirft Heinz Stötzel einen Blick auf das alte Amtshaus mit den beiden Arrestzellen im Keller, denen die benachbarte Brücke über die Netphe den inoffiziellen Namen „Restbrücke“ verdankt, und auf die nur dorfintern begangene 725-Jahrfeier von Eckmannshausen.

Außerdem geht es um den Sonnenweg in Irmgarteichen und um die Geschichte des Lohschälens. Die von Bernd Heinemann gefertigte Skulptur des Lohschälers steht seit 2024 auf dem neu gestalteten Werthenbacher Dorfplatz. Sie knüpft an den „Gerber“ an, den Heinemann für den Obernetpher Marktplatz hat gießen lassen.

Erinnert wird an den vor 100 Jahren in Netphen geborenen Pfarrer Herbert Kringe, an den 2021 verstorbenen Heimatforscher und ehemaligen Netphener Tiefbauamtsleiter Ewald Hatzig und an den früheren Ortsvorsteher und stellvertretenden Bürgermeister Raimund Wagener, der 2024 gestorben ist.

Dargestellt werden die Aktivitäten des Heimatvereins, die sich nun auf Wickels Hus am Markt konzentrieren. Die Trägerschaft des Museums wurde 2024 an einen neu gegründeten Museumsverein abgegeben.

Nur etwas älter ist das Netphener Schuhgeschäft Wickel, das 1898 von Wilhelm Wickel eröffnet wurde. Die Werkstatt kann heute noch besucht werden - im Netphener Museum. Die „Shufabrick & Lager Wickel und Wagener“ befand sich in der Lahnstraße gegenüber dem heutigen Einkaufszentrum. Die Brüder Heinrich, der Schuhmachermeister, und Aloys, der Kaufmann, führen das Geschäft, in dem ihre Schwester Maria seit ihrem 14. Lebensjahr mitarbeitet. „Schusters Maria“ ist 83 Jahre alt, als sie das Geschäft im Jubiläumsjahr 1998 für immer schließt.

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Die Posthilfsstelle in Netphen

Zwei Tankstellen, zwei Schuhgeschäfte – und eine Poststelle. Eine „Posthilfsstelle“, die Wilfried Lerchstein ebenfalls vorstellt: Postsendungen wurden dort gesammelt und weiterverteilt, Briefmarken verkauft und Telegramme angenommen. Mit Datum vom 7. März 1907 wird der Afholderbacher Gastwirt Carl Krämer von der Kaiserlichen Oberpostdirektion zum „Posthilfstelleninhaber“ bestellt und mit den „Pflichten und Rechten eines Reichsbeamten“ versehen. Im Gasthof gab es eine öffentliche Fernsprechstelle, die an das Ortsnetz Hllchenbach angeschlossen war. Der Gastwirt wurde verpflichtet, den „Unfallmeldedienst“ zu versehen und im Notfall Polizei, Arzt, Feuerwehr oder Pfarrer herbeizurufen.

Blick ins Netpherland
Anneliese Krämer (rechts), im Bild mit ihrer Schwester Gerda, war die letzte Hilfsposthalterin von Afholderbach. © Marc Seelbach | Marc Seelbach

„Schmeds“ war der Hausname des Gasthofs. Im Haus befand sich eine Schmiede. „Schmieden und Gasthöfe passten einst gut zusammen“, erklärt Wilfried Lerchstein, „während die Pferde beschlagen oder die Wagen repariert wurden, gingen die Fuhrleute derweil in die Gastwirtschaft oder übernachteten in der Fuhrmannsstube.“ Carl Krämer starb 1940. Seine Tochter Helene übernahm zunächst die Posthilfsstelle, dann deren Bruder Ernst. Dessen Tochter Anneliese führte die Posthilfsstelle „5901 Afholderbach Post Netphen“ mit dem Fernsprecher „Ruf 132 Netphen“ ab 1962 in der vierten und letzten Generation. Ende der 1960er Jahre verlor das Dorf seine Post. Übrig blieb der Briefkasten am Gasthof.

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