Dreis-Tiefenbach. Ein Kind zu verlieren: Trauer und Schmerz sind unfassbar groß. Gisela Bierbrauers Sohn ist tot. Sie hat Erinnerungen geschaffen - jetzt hilft sie anderen.
Der Tod gehört zum Leben dazu, aber egal, wie man es betrachtet, es ist nie schön, einen geliebten Menschen zu verlieren. Doch wenn das Schicksal den Eltern ein Kind nimmt, entsteht eine ganz andere Art von Trauer, die für die meisten Eltern besonders schlimm ist. Eine besondere Form der Trauerbewältigung bietet Gisela Bierbrauer in ihrem Atelier „Kreativ Spiel Raum“ in Dreis-Tiefenbach an.
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Sie ist selbst betroffen. Ihr Sohn starb 2006 im Alter von 20 Jahren bei einem Motorradunfall. „Ein Kind zu verlieren, ist ein Schmerz der schwer zu begreifen ist“, sagt Gisela Bierbrauer. Sie hat Kunst auf Lehramt studiert und jahrelang als Lehrerin gearbeitet. Im Jahr 2020 erfüllte sie sich den Traum von einem eigenen Atelier, in dem sie ihrer Kunst nachgehen und eben auch ihren Verlust noch tiefer verarbeiten kann. „Die ersten Bilder, die ich gemalt habe, waren eher düster, mit der Zeit wurden sie immer heller, haben aber immer Facetten meines Sohnes widergespiegelt“, sagt sie.
Siegen: Beim Malen den Verlust des Kindes zu verarbeiten, hat vielen geholfen
Das Malen half ihr, ihre Trauer zu verarbeiten, aber auch, eine Erinnerung zu schaffen. „Man will ja nicht, dass das Kind in Vergessenheit gerät, sondern die Erinnerung bewahren“, sagt die Künstlerin. Bereits in der Vergangenheit ist sie auf betroffene Eltern zugegangen und hat ihnen angeboten, gemeinsam ein Erinnerungsbild zu gestalten. Petra Rath war eine von ihnen, auch sie hat ihren Sohn durch einen Unfall, einen Hausbrand, verloren. „Es ist das Schlimmste, wenn einem das Kind so plötzlich entrissen wird, ohne Vorwarnung“, sagt Petra Rath. Obwohl sie lange glaubte, nicht kreativ begabt zu sein, hat sie durch Gisela Bierbrauer einen Weg gefunden, mit dem Tod ihres Sohnes umzugehen. „Man holt das eigene Kind wieder hervor, setzt sich mit ihm auseinander und wehrt sich so auch gegen das Vergessen und Verdrängen“, erzählt sie.
Dabei ist es völlig egal, wie die Betroffenen ihr Bild gestalten wollen. „Es muss nicht unbedingt etwas sein, das offensiv an das Kind erinnert, man kann auch ganz abstrakte und kreative Ideen verwenden, die Bedeutung ist für die Eltern ja ohnehin offensichtlich“, erklärt Gisela Bierbrauer. Petra Rath hat zum Beispiel die Buchstaben ihres Vornamens und die Ziffern ihres Geburtstages ganz versteckt in ihr Bild einfließen lassen, aber auch ihre Interessen fanden Platz: „Ich habe Aspekte seines Lieblingsvereins und ein Zitat aus einem Lied seines Lieblingsmusikers genommen, um seine Persönlichkeit einzubringen“, beschreibt sie. Auch Skulpturen und Objekte können dabei entstehen, ebenso Schmuckstücke wie Ringe.
Siegen: Atelier von Gisela Bierbrauer ist ein „Safe Space“ für verwaiste Eltern
Die beiden Mütter verbindet ihr Verlust, eine Trauer, die die meisten Menschen nicht nachvollziehen können. „Es entsteht sofort eine Verbindung auf einer anderen Ebene, schließlich hat man das Gleiche durchgemacht“, sagt Gisela Bierbrauer. „Oft wissen andere nicht, wie sie mit einem umgehen sollen. Manchmal scheint es fast so, als würden die Menschen die Straßenseite wechseln, nur um dem Thema aus dem Weg zu gehen.“ Für die meisten Menschen endet das Thema mit der Beerdigung, nicht aber für die Eltern: „Man kommt nach Hause und da ist immer noch das Zimmer, das man eigentlich gar nicht anfassen will, aber irgendwann muss man es aufräumen“, erzählt die Atelier-Inhaberin. „Für viele bleibt man dann für immer die Mutter, die ein Kind verloren hat.“
Auch wenn Betroffene anfangs nicht darüber sprechen wollen, heißt das nicht, dass sie es nie tun werden, betont Gisela Bierbrauer. „Das Schlimmste ist, wenn man gesagt bekommt, man soll es endlich gut sein lassen. Denn das geht einfach nicht“, sagt Petra Rath. Die beiden Frauen sind sich einig, dass eines der schwierigsten Dinge ist, dass man einerseits natürlich den Menschen und damit die gemeinsame Vergangenheit verliert, andererseits aber auch die Zukunft – und nicht möchte, dass das eigene Kind in Vergessenheit gerät. Für Gisela Bierbrauer liegt das Problem darin, dass wir keine richtige Trauerkultur besitzen und den Verlust einfach aushalten und verdrängen.
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Umso wichtiger ist es für die Künsterlin, in ihrem Atelier einen sicheren Ort für die Eltern zu schaffen. „Hier kann gelacht, geweint, geredet und geschwiegen werden. Es gibt keinen Zeitdruck, man muss nicht gleich mit dem Malen anfangen“, sagt sie. „Man ist nicht allein, und wenn man noch keine Idee hat, was man machen möchte, unterstütze ich. Die Ideen kommen dann meist von selbst.“ Viele, mit denen Gisela Bierbrauer gemalt hat, haben dadurch Freude an der Kunst gefunden. „Mir ist es wichtig, dass die Leute von dem Angebot erfahren und sich melden können. Einfach mal vorbeikommen“, erklärt sie, denn generell gebe es zu wenig Angebote, die auch ohne konkrete Gespräche funktionieren und den Eltern ein Ventil bieten. Dabei spielt es keine Rolle, um welche Umstände es sich handelt, denn egal ob Unfall oder Krankheit, im Atelier ist jeder willkommen. „Gerne können auch Geschwisterkinder mitkommen, um sich gemeinsam an das Familienmitglied zu erinnern, man kann auch gemeinsam malen“, sagt Gisela Bierbrauer. Der Kontakt kann über die Website kreativ-spiel-raum.com hergestellt werden.
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