Siegen. „Konnte nichts tun, ich habe vor Angst geweint“: Alte Frau berichtet im Landgericht Siegen vom Mordversuch. Sie beschuldigt ihre Ex-Schwiegertochter.
Die Aussagen der mutmaßlichen Täterin und auch die der Geschädigten werfen im Grunde mehr Fragen auf, als sie beantworten: Im Prozess wegen versuchten Mordes vor dem Siegener Landgericht haben am Montag, 6. Januar, Angeklagte und Opfer ihre Sicht der Geschehnisse am 20. Juni 2024 dargelegt.
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Der 59-jährigen wird vorgeworfen, an diesem Tag ihre ehemalige Schwiegermutter in deren Wohnung schwer geschlagen zu haben mit dem Ziel, an in der Wohnung gelagertes Geld zu kommen. Dabei habe sie in Kauf genommen, dass die 83-Jährige stirbt - unter anderem mit einem schweren Aschenbecher, angeblich auch mit einem Bügeleisen soll die Angeklagte auf sie eingeprügelt, sie auch gewürgt haben. Dann habe sie sie laut Anklage an Händen und Füßen gefesselt, die Seniorin lag mehrere Tage in ihrer Wohnung, bis ihr Sohn sie fand.
Angeklagte vor dem Landgericht Siegen: Keine Erinnerung was passiert ist
Sie wisse kaum noch etwas, sagt die 59-Jährige: Sie könne sich nur daran erinnern, zuhause in Geisweid den Bus genommen zu haben, um zur Wohnung der Ex-Schwiegermutter an der Marienborner Straße zu fahren - und dass sie abends zurückgekehrt sei, am Körper Kleidungsstücke, die ihr nicht gehörten. Die habe sie weggeworfen und geduscht. Ihre Tochter, mit der sie zusammen wohnt, habe wissen wollen, wo sie war, wo sie das Geld herhatte. Sie habe sich das zunächst selbst nicht erklären können, ihr irgendwas erzählt. Anhand Kleidung und Geld habe sie sich zusammengereimt: Das könne nur von der Schwiegermutter sein. Einen Teil des Gelds gab sie der Tochter, behielt den Rest. Am nächsten Abend sei sie mit dem Zug zu ihrer Mutter nach Leipzig gefahren. Ihre Tochter habe angerufen: Die Polizei sei da, die Oma im Krankenhaus. „Da habe ich mir gedacht, dass es darum ging.“
„Ich kenne die Person nicht, die das gemacht hat. Das war überhaupt nicht ich!“
Auf Nachfrage erzählt die Frau von einer eher schwierigen Beziehung zur Geschädigten. Seit der Trennung von ihrem Mann habe sie keinerlei Kontakt gehabt, sei nur ab und an in deren Wohnumfeld spazieren gegangen. Schon während der Ehe „hatte ich kein Verhältnis zu ihr“, sagt sie - Mutter und Sohn hätten in ihrem Beisein schlecht über sie gesprochen - auf Griechisch, in der Annahme, sie könne nichts verstehen. Sie könne nichts, sei dumm, nur zum Arbeiten da, habe es geheißen - ihr Ex-Mann habe nicht gearbeitet, sie das Geld verdient.
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Finanziell sei es bei ihr sehr eng. Das Krankengeld sei ausgelaufen, Arbeitslosengeld nicht bewilligt worden, „das Konto bis zum Anschlag überzogen“, keine Rücklagen, „quasi gar kein Einkommen“. Auch die Tochter habe nicht viel beitragen können. Mit ihr habe sie eher nebeneinander her gelebt, „wir sind beide nicht sehr kommunikativ“. Körperlich sei sie nicht gut dran gewesen, war demnach in neurologischer Behandlung, ein Blutgerinnsel sei festgestellt worden. Ausfallerscheinungen habe sie bei sich nicht beobachtet - außer fehlende Erinnerungen wie die am Tattag. „Mir fehlt dann einfach die Zeit“. Alkohol, Drogen, Medikamente habe sie nicht genommen, laut Aktenlage war die Beschuldigte auch nie gewalttätig.
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Von ihrer Schwiegermutter sei „allgemein bekannt“, dass sie trotz ärmlicher Lebensumstände Geld in der Wohnung habe - aber nicht, wo und wie viel. Das bestätigen später auch deren Sohn und Enkel. Einmal hätte sie helfen können, als es wirklich eng wurde, sagt die Angeklagte - aber sie habe es nicht getan. Dennoch: „Es ist mir nicht egal, was mit ihr passiert ist“, sagt sie. Was sie zu ihr gesagt und angetan haben soll: „Ich kenne die Person nicht, die das gemacht hat. Das war überhaupt nicht ich!“
Mordversuch: Geschädigte (83) sagt im Siegener Landgericht aus - erhebliche Widersprüche
Die 83-Jährige widerspricht sich an vielen Stellen selbst. Die Seniorin ist sichtlich gezeichnet von dem schweren Angriff, immer wieder kommt die winzige, gebeugte Frau auf die Wunden an ihrem Kopf zu sprechen, auf die mehrwöchigen Krankenhausaufenthalte, von den Folgen für ihre Gesundheit, die nicht mehr die gleiche sei wie vorher. Unklar bleibt, was sie vom Tatgeschehen noch selbst erinnern kann, was sie sich zusammengereimt hat, was andere ihr erzählt haben.
„Ich habe sie geliebt wie mein eigenes Kind. Ich habe keine Erklärung, warum sie das gemacht hat.“
Sie sei an diesem Nachmittag, dem Todestag ihres Mannes, von der Arbeit als Haushaltshilfe heimgekommen, ihre ehemalige Schwiegertochter sei unvermittelt aufgetaucht und habe sie gedrängt, ihre Wohnungstür im Dachgeschoss zu öffnen. „Ihr erstes Wort: Ich will Geld“, so die Frau. Sie habe keins, entgegnete sie. „Sie war sofort bereit, mich fertig zu machen“: Ihre Schwiegertochter habe sie in die Küche geschoben, ihr einen Marmor-Aschenbecher gegen den Kopf geschlagen. Dann habe sie Geschirrtücher nass gemacht, um sie zu würgen, was sie habe verhindern können. Sie sei ins Badezimmer geflohen, habe dort aus dem Fenster um Hilfe rufen wollen. Die Angreiferin habe sie zurückgezogen, mit dem Kopf gegen Heizkörper und Wasserrohre geschleudert und an Händen und Füßen gefesselt. Sie sei ohnmächtig geworden.
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Bis dahin ist ihre Aussage recht konstant, danach wird es teils verwirrend. Die Badezimmertür war zu, als die Seniorin gefunden wurde - die gefesselte, bewusstlose, schwer verletzte Frau will dennoch beobachtet haben, wie die Angeklagte ihr Handy an sich nahm, das Telefonkabel durchschnitt und mit einem weißen Plastikeimer, in dem sich 70- bis 80.000 Euro befunden hätten, die Wohnung verließ. Sie sei sogar ins Treppenhaus gegangen - um sich dann wieder ins Badezimmer auf den Boden zu legen? Die Nachfragen der Vorsitzenden Richterin bringen keine Klarheit. Dass sie auch mit einem Bügeleisen verprügelt wurde, fällt ihr erst auf Nachfrage ein - sie sei nicht komplett ohnmächtig gewesen. Die ganze Nacht habe sie bewegungsunfähig auf dem Boden gelegen, „ich konnte nichts machen, ich habe vor Angst geweint“, sagt sie. „Sie haben von Donnerstag bis Sonntag die ganze Zeit da gelegen?!“, insistiert Vorsitzende Richterin Elfriede Dreisbach, ohne zu essen, zu trinken. Das Gefühl für diesen Zeitraum scheint der Frau verloren gegangen zu sein.
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Auch von der Geschädigten ist wenig zur Beziehung mit der Ex-Schwiegertochter zu erfahren, die sie seit Ende der Ehe mit ihrem Sohn nicht mehr gesehen habe. Sie habe sie lieb, sagt die alte Frau, habe ihr auch immer schöne Sachen geschenkt - die Schwiegertochter hingegen sei öfter gierig gewesen. Mit ihrem Sohn habe sie in Anwesenheit der Schwiegertochter nie Griechisch gesprochen, „ich war immer lieb und nett zu ihr. Ich habe sie geliebt wie mein eigenes Kind. Ich habe keine Erklärung, warum sie das gemacht hat. Das macht mich fertig.“
„Überall war Blut auf dem Boden.“
Unklar bleibt zunächst auch die finanzielle Situation der 83-Jährigen. Sie bekomme eine kleine Rente, auch für ihren verstorbenen Mann, gehe arbeiten, habe die für ein Häuschen im Alter angesparte erhebliche Summe in der Wohnung - dennoch reiche es kaum für Miete und Essen, sagt sie.
Die Zeugen: Als sie in Siegen die alte Frau fanden, war überall Blut auf dem Boden
Spät am Sonntagabend sei er zu seiner Mutter gefahren, sagt der Sohn des Opfers und Ex-Mann der Angeklagten. Sie öffnete nicht, ging nicht ans Telefon - er holte den Zweitschlüssel, sah die Verwüstung in der Wohnung, suchte in allen Zimmern, bekam die Badezimmertür nicht auf und rief die Polizei, erzählt der Mann. Seine neue Lebensgefährtin sagt: „Überall war Blut auf dem Boden.“ Besagte Tür sei nicht abgeschlossen gewesen, sondern von innen blockiert, als ob da etwas liege. Laut Rettungssanitäter, der die Frau schließlich fand, sei die Tür verschlossen gewesen, so die Vorsitzende.
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Geld habe er bei seiner Mutter nie gesehen, geredet habe sie aber sogar von mehreren 100.000 Euro. „Wir wussten, dass sie welches hatte, aber nicht wo und wie viel“, so der Zeuge, das bestätigt auch sein Sohn. Sie sei äußerst sparsam, könne aber auch großzügig sein. Wenn sie um Geld baten, hätten sie mal welches bekommen, mal nicht. Den Eimer mit dem Geld habe er nie gesehen, „aber wenn man sie kennt, ist das glaubhaft“. Als er hörte, dass die Mutter seine Ex-Frau beschuldige, sei er schockiert gewesen - er habe sie nie gewalttätig erlebt. Das Verhältnis der beiden Frauen sei „neutral“ gewesen. Seit der Tat habe sie abgebaut, das merke man nun - nach wie vor lebt die Seniorin allein in der Dachgeschosswohnung. Er besuche sie, so oft er es schaffe.