Kreuztal. Notfallseelsorger Martin Jung und Martina Schmitt betreuen Menschen in traumatischen Situationen, wie zuletzt nach der Messerattacke in Siegen.

Martina Schmitt aus Kreuztal und Martin Jung aus Hilchenbach beschäftigen sich in ihrem Ehrenamt als Notfallseelsorger mit den Schattenseiten des Lebens. Sie sind da, wenn das unfassbare über Menschen hereinbricht: Häusliche Todesfälle, Suizide, Tod von Kindern oder Unfälle. „Wir sind Notärzte für die Seele“, sagt Jung.

+++Mehr Nachrichten aus Siegen und dem Siegerland finden Sie hier!+++

Sie sind dabei, wenn die Polizei die Todesnachricht überbringt, und kümmern sich um die Betreuung der Hinterbliebenen; aber auch um Menschen, die schreckliche Ereignisse miterleben, wie zuletzt in Siegen, als eine Frau mit einem Messer Fahrgäste eines Shuttlebusses von Neunkirchen zum Stadtfest angreift. Das 18-köpfige Notfallseelsorge-Team ist beim Evangelischen Kirchenkreis Siegen-Wittgenstein angesiedelt und rund um die Uhr einsatzbereit. 

Notfallseelsorger leisten psychosoziale Erstversorgung in Siegen-Wittgenstein - „Notärtze für die Seele“

„Wir sind für den Akutfall da“, sagt Martina Schmitt. Sie leisten psychosoziale Erstversorgung und tragen in den ersten Stunden nach einem Ereignis zur Stabilisation der Betroffenen bei. „Gegebenenfalls werden Bedürftige danach an Ambulanzen, Beratungsstellen oder Kirchengemeinden weitervermittelt. Es kommt aber auch schonmal vor, dass sich Betroffene einen Tag später nochmal melden, weil Gesprächsbedarf besteht.“

„Wir sind für den Akutfall da. In erster Linie geht es darum, das unfassbare Leid gemeinsam auszuhalten.“

Martina Schmitt, Notfallseelsorgerin im Kreis Siegen-Wittgenstein

Immer dann, wenn Menschen mit unfassbaren Situationen konfrontiert werden, beginne eine Stressreaktion, sagt Jung. Durch die Stressreaktion werden die notwendigen Ressourcen für den Körper bereitgestellt, um mit Kampf (Fight), Flucht (Flight), oder Erstarrung (Freeze) zu reagieren. „Ich habe einmal einen Polizeibeamten bei der Überbringung einer Todesnachricht begleitet, aber die Nachricht kam nicht an. Die betreffende Dame reagierte, als sei nichts passiert. Die Trauer hat viele Gesichter. In solchen Situationen bieten wir an, auch am nächsten Tag nochmal vorbeizuschauen“, sagt Schmitt.

Siegen-Wittgenstein: Notfallseelsorger helfen Menschen wieder in eine Normalität zu kommen

„Wir kommen nicht, um Betroffenen mit guten Ratschlägen und seichten Sprüchen gegenüberzutreten, das hilft nicht weiter. In erster Linie geht es darum, das unfassbare Leid gemeinsam auszuhalten. Da kommt es dann auch schonmal vor, dass man lange Zeit einfach schweigend beieinandersitzt“, sagt Schmitt, die sich als Fachberaterin für Psychotraumatologie weitergebildet hat.
 

Notfallseelsorger werden

Interessierte können sich bei dem Notfallseelsorge-Team Siegerland des Evangelischen Kirchenkreis Siegen-Wittgenstein bewerben. Das Team besteht aktuell aus 18 Notfallseelsorgern.

Die Ausbildung – in Modulen in Abend- und Tageseinheiten unterteilt – geht über sechs bis sieben Monate, und wird vom Fachbereich Seelsorge am Institut für Aus-, Fort- und Weiterbildung (IAFW) der Evangelischen Kirche von Westfalen angeboten.

Vor jedem Einsatz betet Martin Jung. „Man weiß nie, was einen erwartet. Seelsorge ist eine der ureigensten Aufgaben von Kirche und Gemeinde. Deshalb ist es für mich ganz wichtig, meinen Gott mit im Boot zu haben.“ Die überkonfessionell aufgestellten Seelsorger missionieren nicht in ihren Einsätzen. Ihre vorrangige Aufgabe ist es, den Betroffenen in die Normalität zurückzuhelfen. Das könne durch einfache Sachen passieren. „Die Bitte nach einem Glas Wasser oder einem Kaffee zum Beispiel“, sagt Martina Schmitt. „Ich hatte mal einen Einsatz komplett in Siegerländer Platt“, sagt Martin Jung. „Das hat für eine total vertraute Atmosphäre gesorgt. Beim Abschied haben wir uns dann sogar in den Arm genommen.“

Siegen-Wittgenstein: Die Notfallseelsorger unterstützen sich gegenseitig

Nach dem Einsatz schreiben die Notfallseelsorger ihre Einsatzberichte. „Hierbei kann man sich selbst nochmal mit den erlebten Situationen auseinandersetzen. Manche Einsätze sind auch belastend. Hier kann man dann Kollegen bei einem Kaffee oder einem Spaziergang um Rat fragen“, sagt Jung. Alle Einsätze können in der sogenannten Supervisionsgruppe nachbesprochen werden. Bei Bedarf stehe auch therapeutische Hilfe für die Ehrenamtler zur Verfügung.

Notfallseelsorger unterliegen einer Schweigepflicht. Das heißt, über alles, was den Ehrenamtlichen während eines Einsatzes zur Kenntnis gelangt, müssen und haben sie zu schweigen. „Wenn man gerade erfahren hat, dass die eigene Tochter nicht mehr nach Hause kommen wird, kann man kein Theater mehr spielen. Es brechen alle Dämme. Daher hat es erste Priorität, dass sich die Betroffenen bei uns sicher fühlen können. Und das ist durch die Schweigepflicht gegeben,“ sagt Jung.

+++ Immer auf dem Laufenden mit WhatsApp: Hier geht‘s zum Kanal der Lokalredaktion Siegen +++

Daher werde bei Interessenten für das Ehrenamt als Notfallseelsorger auch ein wenig genauer hingesehen, sagt Jung. Nach einer Bewerbung, in der die Motivation für das Interesse an diesem Amt dargelegt wird, finden Gespräche statt. Danach beginnt in der Regel die Ausbildung. „Man sollte Menschen lieben, und man sollte sich bewusst sein, dass der Tod zum Leben dazugehört, wenn man sich bewerben möchte“, sind sich Martina Schmitt und Martin Jung einig.

+++Die Lokalredaktion Siegen ist auch bei Facebook!+++