Siegen. Fahrrad-Verleiher Velocity Siegerland ist insolvent - das Unternehmen existiert nicht mehr. E-Bikes und Stationen stehen aber noch überall in der Region.

Es ist immer noch nicht so richtig klar, was mit den Verleihstationen des insolventen Anbieters Velocity Siegerland passieren wird. Im April wurde der Geschäftsbetrieb von einem auf den anderen Tag eingestellt (wir berichteten), seither stehen E-Bikes und -Lastenräder unbenutzbar im öffentlichen Raum zwischen Neunkirchen und Kreuztal herum. Für die Kommunen und Unternehmen, auf deren Grundstücken sich die Stationen befinden, eine verworrene Situation – es fehlten klare Ansprechpersonen und Zuständigkeiten. Die Stationen haben sie als Paten teils selbst bezahlt, die Fahrräder nicht, deren Eigentümer war nicht aufzutreiben...

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Was inzwischen aber feststeht: Velocity Siegerland wird die Stationen nicht selbst zurückbauen können. Das teilt der ehemalige Geschäftsführer Andreas Berkenkopf auf Anfrage mit: Velocity Siegerland wurde als Gesellschaft (Mitglieder: Siegerland-Fonds, Velocity Mobility, damaliger Geschäftsführer) laut Eintrag im Handelsregister aufgelöst, das Unternehmen existiert nicht mehr, es gebe keinerlei Guthaben, so Berkenkopf, der nun als Liquidator fungiert. Müssen die „Stationspaten“, also beispielsweise die Stadt Siegen oder die Sparkasse, die Anlagen damit nun selber zurückbauen? Das könnte passieren, ist aber noch nicht abschließend geklärt.

Siegen: Velocity Siegerland ist insolvent - und auch das „Mutterunternehmen“ in Aachen

Denn wie der ehemalige Geschäftsführer mitteilt, könnte das „Mutterunternehmen“, die Aachener Velocity Mobility Gmbh, nun womöglich den Rückbau übernehmen. Es ist zwar selbst zahlungsunfähig – im Gegensatz zu Velocity Siegerland aber noch existent. Auch der Siegerländer Ableger hatte die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens beantragt, was aber mangels Masse vom zuständigen Amtsgericht Siegen zurückgewiesen wurde (wir berichteten). Es gibt keinerlei Werte, die zu Geld gemacht werden können, um die Gläubiger zu bedienen. Anders in Aachen: Dort läuft ein geordnetes Insolvenzverfahren. Die Verhandlungen darüber, wie es im Siegerland weitergeht, fänden derzeit statt, so Andreas Berkenkopf. Manche Stationspaten prüfen zumindest auch noch, ob der Betrieb irgendwie anders wieder aufgenommen werden könnte. Dazu müsste allerdings eine neue Technik entwickelt werden – die bisherige Software von Velocity in Aachen stehe aufgrund der Insolvenz nicht mehr zur Verfügung. Das wäre in jedem Fall teuer.

Bleibt noch die Frage der E-Bikes und -Lastenräder. Die seien nicht geleast worden, sondern gekauft, sagt der ehemalige Geschäftsführer – mit einem Kredit der Sparkasse Siegen. Daher befinden sie sich inzwischen im Sicherungseigentum der Sparkasse. Weil der Kredit noch nicht abbezahlt sei, habe sie demnach das Recht, diese Güter quasi als Schuldenmasse zu betrachten und, falls möglich, zu Geld zu machen. Da das Insolvenzverfahren abgelehnt wurde, kam im Falle von Velocity Siegerland ein Liquidationsverfahren zum Tragen: Generell sollen damit die Gläubiger bestmöglich befriedigt werden, erklärt dazu Tanja Wagener, Rechtsexpertin bei der Siegener Industrie- und Handelskammer (IHK).

Können Kommunen und Unternehmen in Siegen und Umgebung Velocity-Stationen anders nutzen?

Allzu viel von den Kosten dürften die Fahrzeuge selbst im günstigsten Fall nicht einbringen. Kommunen und Unternehmen unterstützten das Bike-Sharing-Netz in der Aufbauphase mit einmalig bis zu 20.500 Euro pro Station und stellten dafür private oder öffentliche Flächen zur Verfügung. Im Gegenzug konnten sie die Räder etwa für Dienstfahrten oder auch private Touren ihrer Beschäftigten nutzen, das Kontingent umfasste in der Regel einen Gegenwert von 12.000 Euro pro Jahr. Vertragslaufzeit: sieben Jahre, danach konnte der Rückbau verlangt werden. „Wenn allerdings der Zweck des Vertrages wegfällt, sprich die Geschäftsgrundlage“, erklärt IHK-Juristin Wagener, „ist es auch möglich, den Vertrag vor Vertragsablauf zu kündigen.“

„Wir wollen die Mobilitätsstruktur in Neunkirchen erhalten.“

Sylvia Heinz,
Stabstellenleiterin Regionale Entwicklung Gemeinde Neunkirchen

Das ist in einigen Fällen auch bereits geschehen – der Kreis Siegen-Wittgenstein und die Gemeinde Neunkirchen haben den zivilrechtlichen Vertrag mit Velocity gekündigt und eine sechsmonatige Frist gesetzt, hieß es im September – bis Frühjahr sollen die Stationen abgebaut sein, so Torsten Manges, Pressesprecher des Kreises. Ein Weiterbetrieb der Stationen am Lyz und an der Obernautalsperre stehe nicht zur Diskussion. Ähnliches berichtet Peter Haub, Leiter Liegenschaften und Gebäudetechnik am Campus Buschhütten, wo Velocity seinen Sitz hatte. Das Büro ist geräumt, der Mietvertrag gekündigt, Büroausstattung und Fährräder stünden zur Abholung bereit. „Die Technik der Station an der Siegener Straße in Buschhütten ist für uns nicht nutzbar.“ Man stehe mit dem ehemaligen Geschäftsführer in Kontakt und warte darauf, dass die Station abgebaut werde. Insgesamt 20.000 Euro habe das Unternehmen für die Stationspatenschaft gezahlt, sagt Haub.

Grüne Siegen: Velocity-Pleite ein Verlust für nachhaltige Mobilität in der Region

Westnetz hingegen, Stationspate im Energiepark an der Friedrichstraße, möchte die Station gerne behalten. Pressesprecher Patrick Plate: „Wir können uns vorstellen, zumindest das Gehäuse zu nutzen. Wir möchten, dass das Angebot der Elektromobilität am Standort bleibt.“ Auch das Klinikum Siegen möchte die Station an der Weidenauer Straße erhalten und hofft, dass sich vielleicht noch jemand findet, der „perspektivisch wieder den Betrieb übernehmen wird“, heißt es auf Anfrage. Die Gemeinde Neunkirchen hat bereits andere Pläne für die perspektivisch wieder frei werdenden Flächen: Laut Sylvia Heinz, Stabstellenleiterin Regionale Entwicklung, sollen in Salchendorf und am Rathaus stattdessen neue Fahrradboxen für E-Bikes aufgestellt werden. „Wir wollen die Mobilitätsstruktur in Neunkirchen erhalten.“

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Ebenso wie bei vielen Unternehmen gibt es in den Städten Kreuztal und Siegen keine Initiativen oder Konzepte über Um- oder Folgenutzung der Stationen – und das sei auch nicht geplant. Man habe versucht, mit Velocity ins Gespräch zu kommen, Informationen zu erhalten, sich mehrfach bemüht, heißt es in der Antwort der Siegener Verwaltung auf eine Anfrage der Grünen zum Thema. Die Kontaktaufnahme mit Velocity sei „extrem schwierig“. Die Grünen bedauern das Aus jedenfalls sehr: Es habe sie „tief betroffen gemacht“. Für eine Mobilitätswende mit vielfältigen und nachhaltigen Angeboten dürfe die Kommune Entwicklungen im Verkehrssektor nicht passiv abwarten, „in der Hoffnung, dass andere unsere Mobilitätsprobleme lösen. Wir müssen vielmehr bereit sein, die Verkehrswende in Siegen aktiv voranzutreiben, um zukunftsfähige Lösungen zu schaffen.“

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