Siegen. Die „Neuen Väter“ können ihre Rolle in der Familie heute freier gestalten als frühere Generationen. Unter einer Bedingung: Die Mütter ziehen mit.

Für Väter hat sich Einiges geändert. Früher wurden sie oft auf die Rolle des „Ernährers“ beschränkt, waren eher fürs Grobe zuständig und sollten sich „als echte Männer“ aus Gefühlsdingen heraushalten. Heute haben sie viel mehr Möglichkeiten, müssen sich damit aber auch viel intensiver mit ihrer Identität auseinandersetzen. „Wir haben nicht mehr die 50er Jahre“, sagt Dr. Heiner Ellebracht, Chefarzt der Kinder- und Jugendpsychiatrie an der DRK-Kinderklinik Siegen. „Natürlich gibt es Verbesserungen.“ Allerdings stellen sich für Männer damit auch neue Fragen nach der eigenen Rolle.

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„Die Freiheit zur Emotionalität, der Zugang zur Emotionalität: Das hat vor allem die Entwicklung der vergangenen 20 Jahre den Männern ermöglicht“, sagt Dr. Holger Petri, Chefarzt des Sozialpädiatrischen Zentrums (SPZ) an der Kinderklinik. „Es gibt ein größeres Verständnis dafür und es hat gerade in der jüngeren Generation eine deutlich höhere Selbstverständlichkeit, dass man sich die Sorge für das Kind teilt.“ Insgesamt plädiert er aber dafür, „das sehr differenziert zu betrachten“ – denn noch immer gibt es eine enorme Bandbreite, wenn es darum geht, wie Männer ihre Position in der Familie definieren und ausfüllen. „Es gibt auch immer noch Väter, die Familien als patriarchale Systeme verstehen und sich entsprechend verhalten“, merkt Heiner Ellebracht an.

„Jeder tut, was er glaubt, das er am besten kann.“

Dr. Holger Petri, Chefarzt des Sozialpädiatrischen Zentrums an der DRK-Kinderklinik in Siegen, über die Arbeitsteilung von Eltern bei der Betreuung kranker Kinder.

Siegen: Wenn das Kind erkrankt – wie Eltern die Fürsorge teilen, hängt von mehreren Faktoren ab

Die beiden Chefärzte bekommen über ihre Arbeit in der Kinder- und Jugendpsychiatrie beziehungsweise im SPZ – in dem vor allem Kinder mit Behinderungen behandelt werden – insbesondere die Dynamiken in Familien mit, die aufgrund der Erkrankung des Sohnes oder der Tochter in eine Belastungssituation geraten. Wer dann welche Aufgaben übernimmt, wird von verschiedenen Faktoren beeinflusst. „Dass es eine gewisse Arbeitsteilung gibt, ist oft auch eine Frage des sozialen Status‘“, erläutert Heiner Ellebracht. Wenn etwa das Kind so viel Betreuung benötigt, dass nur ein Elternteil arbeiten gehen kann, laute die Frage ganz pragmatisch: „Wie können wir uns aufteilen, damit wir über die Runden kommen?“ Oft sei es dann der Mann, der berufstätig bleibt.

Dr. Holger Petri und Dr. Heiner Ellebracht
Dr. Holger Petri (links), Chefarzt des Sozialpädiatrischen Zentrums, und Dr. Heiner Ellebracht, Chefarzt der Kinder- und Jugendpsychiatrie, arbeiten an der DRK-Kinderklinik Siegen eng mit den Familien der Patientinnen und Patienten zusammen. © WP | Florian Adam

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Holger Petri stellt außerdem fest, dass es auch unabhängig davon häufig den Geschlechtsrollenstereotypen entsprechende Lösungen gibt. Väter würden sich zum Beispiel oft um die Kommunikation mit Behörden und Krankenkassen kümmern, die Bewilligung von Hilfsmitteln durchfechten, sich mit der Klärung von Rechtsfragen auseinandersetzen. Mütter widmeten sich stärker der unmittelbaren Pflege. Wenn Männer sich vor allem mit organisatorischen und formalen Problemen befassen würden, bedeute das aber „keine Distanziertheit gegenüber den Kindern“, unterstreicht der Mediziner. „Man agiert jeweils in den Feldern, in denen man eigene Ressourcen vermutet. Jeder tut, was er glaubt, das er am besten kann.“

„Die Veränderung des Vaters passiert nicht ohne die Mutter.“

Dr. Heiner Ellebracht, Chefarzt der Kinder- und Jugendpsychiatrie an der DRK-Kinderklinik Siegen, über „Neue Väter“.

DRK-Kinderklinik Siegen: Die „Neuen Väter“ treten immer häufiger in Erscheinung

Inwieweit Männer sich in der direkten Pflege des Kindes einbringen, diese übernehmen oder zu Terminen bei Ärzten und Therapeuten mitkommen, hänge auch sehr davon ab, wie Frauen sich dazu positionieren. Es gebe das Bild des „neuen Vaters“, dieser sei mittlerweile auch häufiger anzutreffen. Doch „die Veränderung des Vaters passiert nicht ohne die Mutter“, sagt Heiner Ellebracht. Schon vor 30 Jahren waren „Väter nicht unbedingt schlechter drauf“. Es habe oft nur eine explizitere Ansprache gebraucht. „Wenn wir Väter konkret eingeladen und an ihre Verantwortung appelliert haben, sind sie in der Regel gekommen. Da gab es eher Sperren durch die Mütter.“ Auch an dieser Stelle fallen klassische Geschlechterzuschreibungen teilweise noch heute ins Gewicht, weil Mütter ihre Rolle in der Familie auf eine bestimmte Art definieren und dabei – bewusst oder unbewusst – derjenige Elternteil mit der engeren Bindung zum Nachwuchs sein möchten. „In der Kinder- und Jugendpsychiatrie haben wir oft das Phänomen, dass wir uns sogar sehr gezielt um die Väter bemühen, damit die Kinder sich von der Mutter ein Stück lösen können“, sagt Heiner Ellebracht. „Da ist es manchmal schwierig für Mütter, einen Schritt zurückzutreten.“

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Natürlich würden Kinder „profitieren, wenn Eltern sich die Fürsorge teilen und ihre jeweiligen Stärken einbringen“, sagt Holger Petri. Darüber hinaus sei es angesichts der Herausforderungen, die Familien mit kranken Kindern zu bewältigen haben, sinnvoll, wenn Väter und Mütter beide zu Terminen erschienen, „weil wir so ein breiteres Bild der sozialen Situation bekommen“. Ein zentrales Anliegen in der Kinder- und Jugendpsychiatrie und in der Sozialpädiatrie sei die „Elternermächtigung“ – also die Befähigung der Eltern, im Kontakt mit ihrem Kind und seinen individuellen Gegebenheiten handlungsfähig und kompetent zu sein. „Und wir sind immer am stärksten, wenn wir das gesamte System ermächtigen können: also beide Elternteile.“ Vätern gestehe die Gesellschaft inzwischen glücklicherweise mehr Raum zu als früher, ohne dass dadurch deren Männlichkeit infrage gestellt werde: „Weil Heldentum nicht mehr nur Boxhandschuhe, sondern auch Pampers beinhaltet“, so Holger Petri. „Für mich sind Helden auch Männer, die ihre Identität in ihrer Rolle als Väter finden.“

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