Kreuztal/Siegen. Sexuelle Gewalt gegen Kinder ist ein immer größeres Problem - und auch unter Kindern und Jugendlichen gehört sie fast schon zum „normalen“ Alltag.

Die Beratungsstelle für Mädchen in Not in Kreuztal schlägt Alarm. Der Jahresbericht aus 2023 gibt Anlass zur Sorge. Seit 1990 bietet die Beratungsstelle spezifische Angebote für Mädchen und junge Frauen bis 27 Jahre an. Die Fallzahlen steigen errschreckend an. Dabei handelt es sich primär um Fälle von sexueller Gewalt. Aber auch bei physischer und psychischer Gewalt oder in anderen Notlagen wird Rat bei den Sozialarbeiterinnen gesucht.

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Die Zahlen für 2023 bestätigen den besorgniserregenden Trend der vergangenen Jahre. Lagen die Zahlen in den Jahren vor Corona immer um die 100 Fälle pro Jahr, so gab es bereits 2022 einen erschreckenden Rekord von 121 Fällen. Nun hatte die Beratungsstelle mit 141 Fällen einen erneuten Anstieg, der die Sozialpädagoginnen vor einige Herausforderungen stellt. 

Siegen: Mädchen in Not brauchen dringend Hilfe - Arbeit der Beratungsstelle in Gefahr

Die Arbeit und Beratung der Sozialpädagoginnen ist wichtiger denn je. „Unser Arbeitsaufkommen ist seit 2023 so hoch wie nie zuvor. Ohne die Unterstützung unserer zusätzlichen Kollegin Marah Fuhrmann hätten wir die Anfragen im Bereich Beratung und Prävention nicht stemmen können“, berichtet Melissa Thor. Die Sozialarbeiterin leitet aktuell die Beratungsstelle und kümmert sich gemeinsam mit Katharina Heinrich um die Fälle. „Die dabei fehlende finanzielle Sicherheit ist besonders belastend. Ein Wegfall ihrer Stelle wäre nicht nur für das Team, sondern besonders für die Klientinnen von großem Nachteil.“ Marah Fuhrmann kam vergangenes Jahr zunächst als Minijobberin zum Team, mittlerweile arbeitet sie 30 Stunden pro Woche. 

Das Team der Beratungsstelle für Mädchen in Not Kreuztal
Das Team der Beratungsstelle für Mädchen in Not in Kreuztal stellt den Jahresbericht 2023 vor und warnt vor steigenden Fallzahlen und mangelnder Finanzierung. © Alina Stahn | Alina Stahn

Bereits im März 2024 veröffentlichte die Beratungsstelle einen Brandbrief, da sie die Finanzierung der Stelle von Marah Fuhrmann nicht stemmen konnte. „Daraufhin haben wir dankenswerterweise einige Spenden erhalten, das hat die Stelle für einige Monate gesichert. Aber wie das so ist mit Spenden, sie sind leider keine langfristige Lösung und wir bangen weiter um die Stelle von Frau Fuhrmann“, so Melissa Thor.

Siegen: Auch Jungen Opfer sexueller Gewalt - Beratungsstelle versucht zu helfen

„Man darf auch nicht vergessen, dass wir hier die Fälle gezählt haben und es oft so ist, dass nicht nur eine Person pro Fall involviert ist. Es gibt Fälle, wo das drei bis vier Personen sein können, die Betroffenen und Bezugspersonen“, erklärt Katharina Heinrich. „Wir haben auch 18 Fälle gehabt, wo wir Jungs betreut haben. Da war immer eine Bezugsperson, die sich von uns hat beraten lassen. Ebenso gibt es unterschiedliche Beratungszeiträume, manche kommen nur ein- oder zweimal, andere kommen regelmäßig über Monate oder Jahre.“ Das Team der Beratungsstelle versucht in jeder Lage zu helfen: „Generell betreuen wir keine Jungen, aber natürlich unterstützen wir die Bezugspersonen und helfen, die Jungen an geeignete Stellen zu vermitteln“, sagt Melissa Thor. 

Spielhaus in der Beratungsstelle für Mädchen in Not
Das Spielhaus ist seit Gründung der Beratungsstelle für Mädchen in Not ein fester Bestandteil und hilft gerade den kleinen Klientinnen, sich spielerisch zu öffnen. © Alina Stahn | Alina Stahn

„Die jüngsten Klientinnen sind meist zwischen 3 und 6 Jahre alt, für sie gibt es im Spielzimmer verschiedene Spielsachen, denn oft öffnen sich die Kinder besonders in Spielsituationen. Unser Puppenhaus gibt es schon seit der Gründung und besonders Rollenspiele laden dazu ein, Erlebtes zu erzählen“, berichtet Katharina Heinrich. Am häufigsten nutzen die 15- bis 18-Jährigen das Angebot der Beratungsstelle, hier waren es im Jahr 2023 41 Fälle, dicht gefolgt von den 11- bis 14-Jährigen. Hier stieg die Zahl von 29 auf 37. Einen rasanten Anstieg gab es auch in der Altersgruppe der 0- bis 6-Jährigen, hier stieg die Zahl von 12 auf 23 und hat sich damit fast verdoppelt. 

Siegen: Sexuelle Gewalt gegen Kinder geht erschreckend oft von der eigenen Familie aus

Im Jahr 2023 verzeichnete die Beratungsstelle für Mädchen in Not 81 Fälle, in denen sexualisierte Gewalt der Beratungsanlass war, dabei gab es 90 Beschuldigte. „Erschreckend ist, dass davon 22 aus dem sozialen Umfeld und 36 aus dem familiären Nahbereich kommen, davon 22 mal der Vater oder Vaterersatz. Aber die Kinder werden immer nur vor der Gefahr durch Fremde gewarnt, dass ihnen das draußen passieren kann, aber nie, dass die Gefahr auch zu Hause lauern kann“, sagt Katharina Heinrich. „Dadurch, dass verschwiegen wird, dass so etwas auch im familiären und sozialen Umfeld passieren kann, ist die Hemmschwelle für die Betroffenen viel höher, sich in einem solchen Fall zu öffnen. Die Kinder haben oft Angst, die Familie oder Freundschaften zu zerstören.“ Aber nicht nur das ist erschreckend, sieben Mal waren es Mitschüler und auch diese Zahl zeigt, dass die Gewalt unter Kindern und Jugendlichen immer mehr zunimmt. „Die Gewalttaten unter Kindern und Jugendlichen, die das sexuelle Selbstbestimmungsrecht verletzten, bilden immer mehr einen fast schon ,normalen‘ Alltag für die junge Generation. Besonders die Möglichkeit, Gewalt durch digitale Medien auszuüben und zu erweitern, lässt Betroffene nicht los“, erläutert Katharina Heinrich.

„Die Kinder werden immer nur vor der Gefahr durch Fremde gewarnt, dass ihnen das draußen passieren kann - aber nie, dass die Gefahr auch zu Hause lauern kann.“

Katharina Heinrich
Beratungsstelle für Mädchen in Not

Gerade um dieser Thematik vorzubeugen, sind Präventionsmaßnahmen und Schulungen durch Sozialarbeiterinnen in Schulen, Kindergärten, Universitäten oder auch Elternabende besonders wichtig. Neben den betroffenen Mädchen und Frauen sollen dadurch auch Bezugspersonen wie Lehrpersonal, Erzieher und Erzieherinnen oder auch Familienmitglieder sensibilisiert werden. Momentan sind die Sozialarbeiterinnen jedoch so stark ausgelastet, dass sie die offenen Sprechstunden für Mädchen in den Schulen absagen mussten. Der Beratungsstelle fehlen die finanziellen Mittel, um die Stunden abzudecken. Langfristiges Ziel ist es, die Stelle von Marah Fuhrmann zu erhalten, um die steigende Nachfrage nach Beratung und Prävention gewährleisten und dann hoffentlich auch die Sprechstunden an Schulen wieder anbieten zu können. Es ist gerade das institutionelle Umfeld, in dem für die Betroffenen der Kontakt zur Beratungsstelle entsteht.

Mädchen in Not in Siegen-Wittgenstein: Weit und breit kaum andere Beratungsstellen

Der Beratungsstelle für Mädchen in Not und dem Trägervereins für soziale Arbeit und Kultur Südwestfalen ist bewusst, wie wichtig ihre Arbeit für den Kreis Siegen-Wittgenstein ist, denn ein vergleichbares Beratungsangebot gibt es nur in Köln oder Marburg. „Das ist eine Distanz die Hilfesuchende mit großer Wahrscheinlichkeit nicht auf sich nehmen würden“, beschreibt Katharina Heinrich. Umso wichtiger ist für den Trägerverein, dass die Beratungsstelle finanziell abgesichert ist, denn derzeit ist sie noch auf Spenden angewiesen.

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Labradorhündin Amy unterstützt das Team der Beratungsstelle für Mädchen in Not
Die Labradorhündin Amy befindet sich derzeit in Ausbildung und wird ab Februar 2025 die Beratungsstelle für Mädchen in Not als systemischer Begleithund tierisch unterstützen. © Alina Stahn | Alina Stahn

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