Deuz. Ganze Netphener Schüler-Generationen lernen „Auf Augenhöhe“ mit Ruanda. So erfolgreich ist keine andere Schule in Deutschland.
Papp-Figuren, hinter denen Kinder stehen. Jolina ist eine Mutter, Johanna mimt einen Raser, Moritz einen Zocker. Rümeysan spielt die Oma. „Sitzen, warten auf nichts…“ Die alte Uhr tickt zu laut. Es klingelt an der Tür, die Enkeltochter kommt zu Besuch. Mit Mühle spielen, Kuchen essen und ganz viel reden vergeht der Nachmittag wie im Flug. „Plötzlich ist mein Wohnzimmer randvoll mit Glück.“
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Das Glücksmärchen
Giulia Gendolla und Ursula Wussow, die Theaterpädagogin und die Lehrerin, applaudieren. Die Szene aus dem Glücks-Märchen der Ruanda AG des Netphener Gymnasiums ist im Kasten. Im Deuzer Q drehen nämlich Oliver Haase und Marcel Schmidt ein Präsentationsvideo: Bereits zum dritten Mal sind die Netphener unter den Siegern des Wettbewerbs „Eine Welt für alle“, den der Bundespräsident ausschreibt. Das hat noch keine Schule geschafft. Am 21. Juni geht es nach Berlin.
Laura ist dran, tritt hinter der Figur mit dem Fridays-for-Future-Shirt hervor. „Du brauchst noch Konfetti“, fällt Ursula Wussow ein. Das ist der Glücksstaub, der nach jeder Szene durch den Raum schwebt. „Super“, sagt Kameramann Oliver Haase, der mit Marcel Schmidt das „Team West“ der Preisträger-Filmer bildet – ihr vierter von zehn Drehtagen gehört Netphen. „Du musst improvisieren, wir haben die Fee nicht“, sagt Giulia Gendolla ihrer Darstellerin. Die Fee ist in Quarantäne.
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Die Pandemie hat auch die vielfach preisgekrönte Ruanda AG durchgeschüttelt. Aber sie hat es überstanden. Aus dem Glücks-Projekt, das Ende 2019 in Netphen und bei der Root Foundation für Straßenkinder in Kigali, der Hauptstadt von Ruanda, gestartet ist, ist ein Glücksmärchen geworden – das kann man nämlich Szene für Szene auch allein und auf Distanz spielen. In Netphen wird man es erst im August zu sehen bekommen, im Rahmen der „Glücksvisioonen“ der Theater AG am Gymnasium.
Qulturwerkstatt
Die Qulturwerkstatt, die in einem Wohnhaus mit ehemaliger Schreinerei mitten in Deuz entsteht, wird vom Land als „Dritter Ort“ gefördert und hat im Rahmen der Südwestfalen-Regionale bereits den zweiten von drei Qualifizierungssternen erreicht. „Wir möchten uns auch als außerschulischer Lernort etablieren“, sagt Giulia Gendolla, die dem Vorstand des Trägervereins angehört. Die Ruanda AG ist ein Beispiel dafür. Außer dem Gymnasium haben auch andere Schulen das neue Kulturzentrum in Deuz schon entdeckt.Am 20. Mai findet ein Vereinsfest statt, bei dem auch die aktuellen Baupläne für das Q vorgestellt werden. „Wir möchten versuchen, Leute an Bord zu holen“ – es gibt halt noch viel zu tun, und der Bedarf an finanzieller Unterstützung ist groß. „Let’s Q it 2.0“ heißt diese Baustellen-Eröffnungsveranstaltung. Und am 18. Juni gibt es dann den Nachhaltigkeitsworkshop „Qids4Adults“. Info: www.qulturwerkstatt.de
Der Workshop für die Großen
Es geht raus in den Garten des Q, der neuen Deuzer „Qulturwerkstatt“, der inzwischen auch wöchentlicher Treff der Ruanda AG ist – die von Ursula Wussow, mittlerweile in Rente, und Giulia Gendolla, gerade in Elternzeit, ehrenamtlich geleitet wird. Auf der Wäschespinne hängt das Transparent mit der Jahreszahl 2030. Die Sechstklässler, alle in Schwarz, halten Karten mit den Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen in der Hand. Und bewegen sich in überlangsamem Tempo auf ihr Ziel zu. Wenn sie das nicht für die Kamera machen, werden sich ihnen Erwachsene anschließen. Vorgeführt wird der Einstieg in einen Workshop, bei dem die Kinder die Lehrenden und die Großen die Lernenden sind. Die Idee dazu ist ihnen bei einer Schülerakademie in den Hilchenbacher Klimawelten gekommen.
„Das Gleiche bitte noch mal.“ Die Mädchen, die den Workshop für die Kamera spiele, lassen sich nicht aus dem Konzept bringen. „Und bitte…“ Ein Texthänger. „Fang einfach noch mal an…“ Es braucht Stunden, bis die Videoschnipsel den Ansprüchen der Profis genügen. Ursula Wussow dokumentiert auch dieses Kapitel der Ruanda AG, die sie vor mittlerweile siebeneinhalb Jahren noch an der Realschule in Netphen initiiert hat, mit ihrer Fotokamera. Auch für das Nachhaltigkeits-Thema gilt das Leitmotiv „Auf Augenhöhe“. „Beim Erreichen der SDGs (Sustainable Development Goals – Ziele der nachhaltigen Entwicklung, d.Red.) werden alle Länder zu Entwicklungsländern“, stellt sie fest. Das haben Schüler-Generationen von Ruanda AGen in Netphen schon erfahren: als es um Liebe ging ebenso wie beim Plastikmüll, der in Kigali weniger vorkommt als in Deutschland.
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Auf Augenhöhe: Netphen-Kigali
Und so soll auch das Glücks-Thema verbinden. Das jetzt, nach der Pandemie-Unterbrechung, auf die Bühne kommt. Nicht, dass die AG in den beiden Jahren untätig geblieben wäre: Die Mädchen und Jungen haben Müll gesammelt - in Ruanda gibt es dazu jeden Monat einen Umuganda Day – und damit gleich einen Sonderpreis beim „Trashbusters Award“ der Naturschutzjugend gewonnen. Das Preisgeld haben sein nach Kigali überwiesen. Bei der Root Foundation konnten dafür Frauen nähen lernen. Rucksäcke und Mäppchen, die dabei entstanden sind, werden in Netphen verkauft, und der Erlös geht zurück zu der Stiftung in Kigali, die Straßenkindern eine Schulausbildung ermöglicht.
Ein typisches Auf-Augenhöhe-Projekt. Wie auch die Beteiligung am Bergmischwald-Projekt bei der Waldgenossenschaft Obernetphen. Vier Mal waren sie schon bei den Pflanzaktionen dabei. Nachhaltig eben. „Heute habe ich 100 Bäume gepflanzt“, hat Laura eben beim Filmen des Glücks-Märchens gesagt, als sie die Fridays-For-Future-Aktivistin mimte. Da schließen sich die vielen Kreise, kommen Glück und Engagement für eine gute Welt zusammen. „Super“, lobt Oliver Haase und schaltet die Kamera ab. Und jetzt ist es nur noch spannend: Welchen Platz die Netphener auf dem Siegertreppchen in Berlin wohl bekommen?
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