Würgendorf. Selbstbedienung in der Würgendorfer Wehrkirche: Per App kommen Andacht, Gesang und farbiges Licht nach Wahl.
Es ist ruhig in der Wehrkirche Würgendorf, aber nicht still. Leise Klaviermusik erfüllt das kleine Kirchenschiff, hinter der Kanzel ist die Wand den Gewölbebögen folgend in Rot, Grün und Violett illuminiert. Vor der ersten Bank auf der rechten Seite ist ein neuer Monitor installiert. Von diesem Touch-Bildschirm aus wird die neue Audio- und Lichttechnik gesteuert, die in dem Sakralraum künftig die gewünschte Atmosphäre erzeugt. Die Wehrkirche ist die erste mediale Kirche im Dreiländereck und in der Evangelischen Kirche von Westfalen gar ein Novum.
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Sibylle Wahl, Ehefrau von Pfarrer Jochen Wahl, hatte in der Nähe von Heidelberg eine mediale Kirche kennengelernt und die Idee mit nach Burbach gebracht. Die evangelisch reformierte Kirchengemeinde war gleich Feuer und Flamme und beantragte mitten in der Pandemie eine Förderung über das Leader-Regionalmanagement 3-Länder-Eck, das mit Mitteln des Bundes und des Landes Kleinprojekte bis zu 20.000 Euro Gesamtvolumen mit 80 Prozent unterstützt. „Komm und entdecke“ hat etwa 15.000 Euro gekostet.
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Täglich von 9 bis 18 Uhr
Ziel war es, ein völlig neues Angebot für die Region zu schaffen: Gläubigen sollte es tagsüber ermöglicht werden, das Bedürfnis nach innerer Einkehr, Ruhe oder Gebet zu stillen und die Art und Weise eigenständig und individuell gestalten zu können. Dafür wurde die über 700 Jahre alte Wehrkirche mit der entsprechenden Technik ausgestattet. Über den Touchscreen haben Besucher jetzt täglich von 9 bis 18 Uhr die Möglichkeit – in dieser Zeit ist das denkmalgeschützte Gebäude nun frei zugänglich –, ihr eigenes „Programm“ zur Andacht, Meditation oder zum Gebet zusammenzustellen.
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Neben verschiedenen Lichteinstellungen, von Regenbogenfarben über Farbverläufe bis hin zu thematischen und symbolischen Kombinationen wie aktuell etwa Blau und Gelb als Farben der Ukraine, gibt es eine Auswahl an Musik, Andachtstexten, Psalmen, (Kinder-)Geschichten und Gebeten, die über die Audioanlage im Kirchenschiff abgespielt werden kann. Diese Datenbank soll nach und nach erweitert und erneuert werden – vornehmlich mit Beiträgen aus der Region selbst.
„Wir haben einen Weg gesucht, die heutigen medialen Möglichkeiten zu nutzen, um Menschen anzusprechen und sie einzuladen, mit dem Unendlichen und Gott in Berührung zu kommen – gerade in Corona-Zeiten auch ganz für sich und in einem Rahmen, der sie persönlich anspricht“, erläutert Pfarrer Jochen Wahl. Andachten, Taufen und Trauungen finden auch weiterhin in der Wehrkirche statt. „Ich wünsche mir, dass wir hier viele Begegnungen zwischen Menschen haben werden.“
Radwegekirche
Die evangelisch reformierte Kirchengemeinde Burbach hat nicht nur an ihre Mitglieder oder die Gläubigen aus der unmittelbaren Umgebung im Blick. Mit dem neuen Konzept empfiehlt sich der spätromanische Bau für das Projekt „Radwegekirchen“ (www.offene-kirchen.info) der Evangelischen Kirche von Westfalen.Gemeinsam mit dem Heimatverein Würgendorf, der die Kirche zwischen 2004 und 2007 umfassend sanierte und aus ihrem Dornröschenschlaf erweckte, möchte die Kirchengemeinde demnächst auch auf dem angrenzenden Rothaarsteig auf die Wehrkirche hinweisen.
Förderung über Leader
„Ich wusste nicht, dass es so etwas gibt“, gab Burbachs Bürgermeister Christoph Ewers bei der Eröffnung zu. „Das Projekt setzt die Restaurierung und Pflege durch den Heimatverein fort, der sich seit Beginn der 2000er Jahre für die Belebung der Kirche engagiert. Die mediale Kirche ist eine wunderbare Weiterentwicklung – nicht übertrieben audiovisuell, sondern ganz im Sinne der Idee, Ruhe und Gotteserfahrung zu erleben.“ Er dürfe sich sogar dreifach über das Projekt freuen: „als Bürgermeister, als Leader-Vorstandsmitglied und als Würgendorfer.“ Zumal darauf hingewiesen werde, dass die Wehrkirche sowohl ein spiritueller als auch ein kulturhistorischer Ort sei. „Nicht zuletzt wird die Gemeinde um ein touristisches Angebot reicher.“
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Kirche soll Farbigkeit wiederentdecken
Synodalassessor Rolf Fersterra vertrat den Superintendenten des evangelischen Kirchenkreises Siegen, Peter-Thomas Stuberg, und interpretierte angesichts der Illumination aus den 1. Petrus-Brief: „Die Gnade Gottes ist bunt und farbig. Die Kirche muss ihre Farbigkeit wiederentdecken. Habt Mut zur Farbigkeit!“, motivierte er die Mitglieder der Kirchengemeinde Burbach. Und: „Gottes Segen für dieses Gebäude, möge Er hier einziehen und vielen Menschen begegnen.“
Auch Pfarrer Uwe Wiesner, Leiter des Pastoralen Raums Südliches Siegerland, befand in seinem Grußwort für die katholische Glaubensgemeinschaft: „Buntheit in der Kirche ist ein wunderschönes Gefühl.“ Gerade in Zeiten des anhaltenden Krisenmodus „brauchen die Menschen etwas, wo sie sich auf das Wesentliche konzentrieren können. Wir wollen die Menschen zu Christus führen.“ Dabei sei es gut und richtig, den Geist der Ökumene zu fördern und aufeinander zu schauen, denn: „Die beiden großen Kirchen haben keine Mehrheit mehr“, stellte er kritisch für die deutsche Gesellschaft fest.
Schwellenangst nehmen
Roswitha Still, Vorsitzende des Leader-Regionalvereins 3-Länder-Eck, war bei ihrem ersten Besuch in der Wehrkirche ganz bewegt. Die mediale Kirche sei „einzigartig in unserer Leader-Region. Und die Menschen, die sich hier begegnen werden, kommen nicht nur aus dem Ort.“ Der Heimatverein Würgendorf freut sich indes, dass nach zwei Jahren Corona wieder Leben in die Kirche einzieht. Vor der Pandemie gab es 20 bis 30 Veranstaltungen im Jahr. Nicht nur Andachten, Hochzeiten und Taufen, sondern auch kulturelle Angebote und Vorträge. „Der Heimatverein steht voll und ganz hinter dieser Kirche“, betonte Vorsitzender Matthias Moos. Dass dies kein leeres Lippenbekenntnis ist, zeigt sich in der Unterstützung des neuesten Projektes: Der Heimatverein sorgt dafür, dass die Wehrkirche nun täglich geöffnet ist.
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.Die mediale Kirche helfe dabei „Schwellenangst zu verlieren und Kirche kennenzulernen“, so Presbyter Jörg Furchtmann, der das Projekt maßgeblich für die evangelisch reformierte. Kirchengemeinde Burbach begleitete. Er verwies auf die schon jetzt vorhandene inhaltliche Bandbreite des Audio-Angebots, das Gefühle von großer Trauer bis aufrichtiger Freude abbilde. Als Beispiel spielte er Psalm 23 („Der Herr ist mein Hirte“) ab, zu dem das Innere der kleinen Würgendorfer Wehrkirche passend beleuchtet wurde.
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