Siegen. Friedenskundgebung für die Ukraine am Unteren Schloss in Siegen: Hoffen auf Ende des Kriegs in der Ukraine und dringende Hilfe für Flüchtlinge.

Am 23. März 1945 erfolgte der letzte Luftangriff alliierter Bomber auf Siegen. Fast 77 Jahre später wird diese Zeit wieder aktuell. Der erhoffte ewige Frieden ist plötzlich in weite Ferne gerückt, weil zwei Flugstunden entfernt wieder geschossen, gebombt und massenhaft gestorben wird. „Weil Putin es so will“, stellt Bürgermeister Steffen Mues am Montagabend, 14. März, auf dem Platz am Unteren Schloss fest.

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Nicht weit vom Dicken Turm, der die Gedenkstätte für die Toten des Krieges birgt. Noch nie habe er das Gebäude so wahrgenommen, sagt Mues ergriffen und schaut von der Bühne nach rechts, wo sich der Turm in den Farben blau und gelb illuminiert in den Abendhimmel reckt. Auch das Karstadt-Gebäude und das Museum für Gegenwartskunst zeigen die Farben der Ukraine und eine Friedenstaube, während auf dem Platz dazwischen das Friedenszeichen aus Kerzen seine stille Botschaft herausruft: Brennende Lichter statt brennender Städte.

Täglich treffen Flüchtlinge aus der Ukraine in Siegen ein, brauchen Obdach und Geld

„1000 Lichter für den Frieden“, unter diesem Motto ist von der Stadt Siegen eingeladen worden zu einer offiziellen Friedenskundgebung, die etwas mehr als eine Stunden dauern wird und neben Hoffnung auf ein schnelles Ende des Krieges in der Ukraine auf die dringenden Dinge aufmerksam machen will, die nun zu tun sind. Weil täglich Flüchtlinge auch in Siegen eintreffen, weil Wohnraum und Geld benötigt werden, um die dringendste Hilfe leisten zu können.

Blick vom Dicken Turm auf den Schlossplatz in Siegen: 1000 Lichter für den Frieden.
Blick vom Dicken Turm auf den Schlossplatz in Siegen: 1000 Lichter für den Frieden. © Unbekannt | Hendrik Schulz

„Wir brauchen vielleicht keine 75 Teddybären, sondern auch einmal 100 Euro“, sagt etwa Gerhard Alfes, der über die Maßnahmen des Achenbacher Heimatvereins berichtet, die längst zu einer Angelegenheit „des ganzen Dorfes“ geworden seien. Alfes fordert die mehr als 1000 Anwesenden auf, Mut zur Hilfe zu haben, der Dank der Geflüchteten sei der schönste Lohn. Rund 400 seien es bislang in Siegen, ergänzt Sozialdezernent Andree Schmidt für die Verwaltung, im gesamten vergangenen Jahr waren es „gerade einmal 80“. Schmidt betont die Unterstützung des Rathauses für alle Initiativen und weiß, dass diese Krise nicht so schnell wieder vorbei sein wird.

Veranstaltung in Siegen setzt Zeichen für Demokratie und Hilfsbereitschaft

Begonnen hat der Abend mit Versen von Hildegard Knef über den Krieg und seine Folgen, Moderator Gerd Buurmann wird dabei von Jördis Tielsch mit der Violine unterstützt, die „Ashokan Farewell“ anstimmt, jene traurig-sentimentale Melodie von Jay Ungar, die der Filmemacher Ken Burns 1990 zum zentralen musikalischen Thema seiner Dokumentation über den amerikanischen Bürgerkrieg wählte. Das setzt schon einmal einen deutlichen Ton für die Veranstaltung, die nach einigen Liedern der gebürtigen Wetzlarerin in einer Diskussion mündet.

Podiumsdiskussion mit Moderator Gerd Buurmann, Superintendent Peter-Thomas Stuberg (Evangelischer Kirchenkreis), Gemeindereferentin Alexandra Podstawa (Dekanat Siegen), Rektor Prof. Holger Burckhart (Universität Siegen) und Bürgermeister Steffen Mues.
Podiumsdiskussion mit Moderator Gerd Buurmann, Superintendent Peter-Thomas Stuberg (Evangelischer Kirchenkreis), Gemeindereferentin Alexandra Podstawa (Dekanat Siegen), Rektor Prof. Holger Burckhart (Universität Siegen) und Bürgermeister Steffen Mues. © Unbekannt | Michael Kunz

Buurmann stellt Fragen, vier Gäste antworten: Superintendent Peter-Thomas Stuberg (Evangelischer Kirchenkreis), Gemeindereferentin Alexandra Podstawa (Dekanat Siegen), Rektor Prof. Holger Burckhart (Universität Siegen) und der Bürgermeister. Steffen Mues hat zuvor bereits seine eigene Betroffenheit über die Ereignisse in der Ukraine in Worte gefasst, als Vertreter einer Generation, die im Kalten Krieg aufwuchs und einen „richtigen“ trotz aller Befürchtungen niemals für möglich hielt. „Es macht fassungslos, mitzuerleben, wie schnell ein rücksichtsloser Despot einen Krieg entfachen kann“, sagt er, spricht von einem enthemmten Führer in Russland, dem trotz aller Ängste aber auch entschlossen entgegengetreten werde, nicht zuletzt auch durch diese Veranstaltung, die ein Zeichen für Demokratie und Hilfsbereitschaft der Menschen gebe.

Sorgentelefone: Die Menschen in Siegen und Umgebung mit Redebedürfnis zu Ukraine

Die beiden Kirchenvertreter heben letzteres ebenfalls hervor. Die Menschen rückten zusammen, bezögen klare Positionen, betont Alexandra Podstawa, während Peter-Thomas Stuberg hervorhebt, wie groß derzeit das Bedürfnis nach Reden sei, wie viel seine Kollegen an den Sorgentelefonen zu tun hätten für Menschen jeden Alters. Er weigert sich auf Nachfrage, ein bewaffnetes Vorgehen gegen Putin zu unterstützen, „noch“, schränkt er allerdings ein, fordert stattdessen alle auf, die Hände zu falten und eine höhere Macht um Frieden zu bitten, zugleich aktiv den Betroffenen zu helfen.

Tetiana Havlin und Wasslilij Tscherleniak vom Friedensbund Siegen: Dankbarkeit für die Hilfsbereitschaft.
Tetiana Havlin und Wasslilij Tscherleniak vom Friedensbund Siegen: Dankbarkeit für die Hilfsbereitschaft. © Unbekannt | Michael Kunz

Prof. Holger Burckhart geht auf Immanuel Kant und dessen Thesen ein, sieht durchaus ein Recht auf Eingreifen gegen Gewalt und Krieg, aber zugleich auch die Berechtigung des Zögerns bei einem Gegenüber mit Atomwaffen und der offensichtlichen Bereitschaft, diese auch einzusetzen. Er selbst sei das Kind eines Soldaten und einer Widerstandskämpferin, „die Versöhnung ist also möglich“, damit auch die Hoffnung auf den Frieden in der Gegenwart.

Ein einziger Bunker in Siegen sei möglicherweise noch tauglich als Luftschutzraum

Wie nah der Krieg auch den Deutschen tatsächlich bereits gerückt ist, macht eine abschließende Frage von Gerd Buurmann an Steffen Mues deutlich. Er habe sich viel mit Freunden und Bekannten unterhalten, was denn geschehe, „wenn wir plötzlich Alarm haben, wo können wir dann hin?“ Es gebe praktisch keine Luftschutzräume mehr in Deutschland, antwortet ein nachdenklicher Bürgermeister. Ein einziger Bunker in Siegen sei möglicherweise noch tauglich, „ansonsten müssten wir sehen, ob wir die alten Stollen wieder reaktivieren können“. Wenn „tatsächlich Bomber über Siegen auftauchten, woran ich nicht glaube“, müsse im Augenblick jeder selbst sehen, wie er Schutz im eigenen Keller finde. Gemischte Aussichten also, die aber nicht das Ende des Abends bedeuten.

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Da gibt es noch ein Gedicht von Heinrich Heine, das Gerd Buurmann vorträgt, sowie Nachdenkliches von Tetiana Havlin, Koordinatorin der Ukraine-Hilfe in Siegen, und Wassilij Tscherleniak, Mitglied des Friedensbundes, die beide Verbindungen in die Ukraine und nach Russland haben, die vor allem auch dankbar sind für die große Unterstützung der Siegerländer. Und diejenigen, die danach immer noch auf dem Platz sind, animiert Christina Schmidt zum gemeinsamen Singen von Friedensliedern.