Hilchenbach/Siegen. Mord Hilchenbach: Beschuldigter (20) hat Tat gerechtfertigt, will aber unter innerem Zwang gewesen sein. Zeuge vermutet Kontakte zu Neo-Nazis.

Ist alles nur auf die psychische Erkrankung zurückzuführen? Wurde der junge Mann, der zugegeben hat, im August 2020 einen 74-Jährigen in Hilchenbach getötet zu haben, beeinflusst? Oder ist der Beschuldigte tatsächlich „einfach nur“ ein Mörder, der in einem Zustand der Schuldunfähigkeit handelte? Auch nach dem fünften Termin vor dem Siegener Schwurgericht gibt es auf all diese Fragen keine wirkliche Antwort.

Eine Einlassung in der Hauptverhandlung wird der Hilchenbacher wohl nicht machen. Er hat die Tat aber direkt nach der Festnahme gestanden und auch danach noch einmal im ersten offiziellen Verhör durch die Polizei. Das wird an diesem Mittwoch per Video in den Prozess eingeführt, ebenso Aufnahmen von der Verkündung des Haftbefehls und seiner vorläufigen Unterbringung in der Psychiatrie. Da ist der Beschuldigte in unterschiedlichen körperlichen Zuständen zu sehen, am Tag nach der Tat, morgens um 3 Uhr in ziemlich aufgelöster Verfassung, später deutlich gefasster vor den Richtern. Die Vorwürfe stimmten, erklärt er der Haftrichterin, allerdings sei alles „noch viel schlimmer“ gewesen. Zwei Stunden habe der Vorgang gedauert, immer wieder sei er dabei zu seinem Opfer gegangen und habe mit dem alten Mann geredet.

Mord in Vormwald: Angeklagter sprach nach der Tat von „1000 Stichen“

Der Getötete sei ein Kinderschänder gewesen, hat der Täter schon nach der Verhaftung behauptet. Die Polizisten sollten in dessen Haus fahren und die Videos auf dem PC betrachten, „dann versteht ihr mich!“ Eine Drogenhölle sei das gewesen, der alte Mann habe Stoff an Minderjährige verkauft. Jemand, der 1946 geboren sei, warum der überhaupt noch lebe, will der 20-Jährige wissen. Wie so einer dazu komme, in dem Alter noch so viel Kraft zu haben und sich gegen „eine fette Sau wie mich“ wehren zu können, grummelt er in der Nacht aufgebracht in Richtung des Vernehmungsbeamten.

„1000 Stiche“ habe er seinem Opfer verpasst, „der ist trotzdem noch rumgelaufen“. Später beruft er sich auf die bei ihm diagnostizierte schizophrene Paranoia und seine Sucht. In wenigen Wochen habe er eine Verhandlung, wo es um den §64 StGB gehe, „den ich kriegen soll“, also die Unterbringung in einer Entziehungseinrichtung. „Ich konnte nicht anders. Die Stimme hat es mir gesagt“, erklärt der Beschuldigte außerdem gegenüber dem Polizisten.

20-jähriger Hilchenbacher will nicht in die Psychiatrie, sondern ins Gefängnis

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Diese Stimme habe ihm auch das genaue Geburtsdatum des Opfers verraten, nur zehn Tage von seinem eigenen weg. Zuerst sei er in das Nachbarhaus gegangen, mit der großen Drogenplantage. Dort sei der Entschluss gefallen, diese für sich zu nutzen und den alten Mann zu beseitigen. Ob er schon früher mal über das Töten eines Menschen nachgedacht habe, möchte der Polizist wissen. Der Beschuldigte antwortet mit einem Ja, beschränkt dies allerdings sofort auf Kinderschänder und ähnliche Verbrecher. „Ich bin eine Lichtgestalt, ein Beschützer der Verfolgten, der Armen“, nimmt er für sich in Anspruch.

Als er nach dem vorläufigen Gutachten des Sachverständigen Dr. Brian Blackwell von der JVA Wuppertal in die Psychiatrie verlegt werden sollte, hat sich der Beschuldigte beschwert, Amtsrichter Matthias Witte sogar vor einem Fehler gewarnt. Im Gefängnis könne er seinen Schulabschluss machen und aus seiner Tat lernen. Komme er hingegen nach Eickelborn, sei das geradezu eine Belohnung für seine Tat, mit mehr Aufmerksamkeit und besserem Essen. „Sie kennen doch meinen Haftbefehl“, hält er dem Richter vor. In der Einrichtung gebe es bestimmt auch Pädophile und Vergewaltiger, deutet er seine eigene Gefährlichkeit und Unberechenbarkeit an.

Freund des beschuldigten Hilchenbachers spricht von Bekannten in der Neo-Nazi-Szene

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Gerichtsmedizinerin Dr. Katharina Jellinghaus hat am Morgen die Todesursache des Opfers als Zusammenspiel aus starkem Blutverlust nach Außen und Atemnot festgestellt, die durch Stiche und ein damit verbundenes Zusammenfallen beider Lungenflügel verursacht worden sei. Die LKA-Gutachterin Dr. Katja Kiel informiert über den Nachweis diverser DNA-Spuren des jungen Mannes an den Tatwaffen und am Tatort.

Ein Freund des Beschuldigten, der schon vor zwei Wochen gehört wurde, ist auf Wunsch des Gutachters noch einmal im Zeugenstand. Er wiederholt Vermutungen, sein Cousin, bei dem der Täter einige Zeit gewohnt hat, könne diesen angestiftet haben. Das sei auch die Überlegung einer Bekannten gewesen, die sich jüngere Männer mit Drogen gefügig mache und auch mit dem Beschuldigten eine Zeitlang zusammengewesen sei, möglicherweise sogar ein Kind von ihm habe. Deren Spur daneben, wie auch die seines Cousins, in die Neo-Nazi-Szene führe, die durchaus gewaltbereit sei, bestätigt der Zeuge Nachfragen des Sachverständigen.

Er selbst habe schon ein schlimmes Ende befürchtet, als der Beschuldigte in die Fänge seines Verwandten geraten sei – an dem der Zeuge kaum ein gutes Haar lässt. Am kommenden Montag steht die Vernehmung zahlreicher Polizisten auf dem Programm. Nach Möglichkeit will das Gericht auch jene frühere Lebensgefährtin laden und hören. Was allerdings nicht einfach sein werde, prophezeit Bewährungshelfer Reinhold Vater, ein langjähriger Kenner der Wittgensteiner „Szene“.