Netphen. Per Bürgerbegehren wollen Netphener den Rat zur Kehrtwende in Sachen Eishalle bewegen. Hier steht, wie das geht – und welche Erfahrungen es gibt.
Der Antrag für das Bürgerbegehren liegt auf dem Tisch. Damit ist die Drei-Monats-Frist gestoppt, in der Widerspruch gegen den Ratsbeschluss zur Eishalle und zu „Beach & Ice 57“ möglich ist. Aufgabe der Verwaltung wird es nun sein, die Kosten zu ermitteln, die die Umsetzung des begehrten Beschlusses verursachen würde. Und sie muss prüfen, ob die Frage für die Unterschriftenliste eindeutig formuliert ist. „Wir müssen dabei beraten“, formuliert Heike Büdenbender, Leiterin der Zentralen Verwaltung, die nun anstehende Aufgabe.
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Das angestrebte Bürgerbegehren ist nicht das erste im Kreisgebiet, seit die Gemeindeordnung des Landes Nordrhein-Westfalen diese Möglichkeit 1994 eingeführt hat. Erfolg hatte allerdings noch keine der Initiativen in Siegen-Wittgenstein.
So geht’s
1.: Rechtzeitig starten
Bis zu drei „Vertretungsberechtigte“ der Initiative informieren die Verwaltung über ihr beabsichtigtes Bürgerbegehren. Die Verwaltung ermittelt die Kosten des Verfahrens und teilt sie den Initiatoren mit.
Ein Bürgerbegehren gegen einen Ratsbeschluss muss spätestens sechs Wochen nach dessen Bekanntmachung eingereicht werden. Da der Ratsbeschluss vom 24. Juni, den Beschluss über die Zurückziehung des Förderantrags nicht aufzuheben, gar nicht bekannt gemacht werden musste und somit auch nicht offiziell bekannt gegeben wurde, beträgt die Frist drei Monate. Maßgeblich ist der Tag, an dem die Initiative ihr Begehren anzeigt. Eine Rolle dürfte aber der 20. September spielen: Bis dahin hat die Stadt Zeit, in Berlin anzuzeigen, ob sie ihr Projekt weiter verfolgt. Käme das Bürgerbegehren danach, wäre es unzulässig, weil der beantragte Beschluss nicht mehr ausführbar wäre.
Geld „schnellstmöglich“ annehmen
Diese Frage steht in der Anmeldung des Netphener Bürgerbegehrens: „Sind Sie dafür, dass der Rat der Stadt Netphen unter Aufhebung seines Beschlusses vom 24.06.2021 die Fördermittel des Bundesprogramms in Höhe von bis zu 3 Mio. Euro zur Sanierung der Eishalle schnellstmöglich annimmt?“
2.: 1843 Unterschriften sammeln
Nächster Schritt ist die Unterschriftensammlung. Das Formular muss die mit Ja oder Nein zu beantwortende Frage des Bürgerbegehrens, die Kostenschätzung für die Umsetzung des gewünschten Beschlusses und die Namen der Vertretungsberechtigten enthalten. Mindestens acht Prozent der Einwohner müssen das Begehren unterschreiben – dieses Quorum gilt für Gemeinden mit bis zu 30.000 Einwohnern. 23.033 Einwohner weist IT NRW zum letzten Stichtag am 30. Dezember 2020 für Netphen aus. Benötigt würden demnach 1843 Unterschriften.
Der Ratsbeschluss, gegen den sich das Begehren richtet, steht – so lange, bis der Rat das Bürgerbegehren als zulässig annimmt. Danach wirkt eine „Entscheidungssperre“, der Bürgermeister darf den Beschluss nicht mehr ausführen. In Sachen Eishalle dürfte es wohl auf die Formulierung des Begehrens ankommen, weil der Rat am 24. Juni – negativ – einen Antrag abgelehnt hat, die überraschend bewilligten Fördermittel für „Beach & Ice 57“ anzunehmen.
3.: Rat: Annehmen oder ablehnen?
Der Rat muss ein Bürgerbegehren für zulässig erklären. Tut er das, kann er anschließend entscheiden, dem Begehren zu folgen. Andernfalls muss er einen Bürgerentscheid einleiten. Die Entscheidung über die Zulässigkeit ist die Hürde, an der viele Bürgerbegehren scheitern. Seit neuestem können die Initiatoren vom Rat verlangen, dass bereits bei der Vorlage des Begehrens die Zulässigkeit geprüft und entschieden wird. Dann hat der Rat keine Möglichkeit mehr, die später vorgelegte Unterschriftensammlung als unzulässig zurückzuweisen.
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4.: Bürger entscheiden
Ein Bürgerentscheid läuft ab wie eine Kommunalwahl. Abstimmen dürfen alle, die auch bei der Kommunalwahl wählen dürfen – also alle Einwohner über 16 mit deutschem oder anderem EU-Pass. Angenommen ist der Bürgerentscheid, wenn die Mehrheit zustimmt, wobei diese Mehrheit mindestens 20 Prozent der Einwohner umfassen muss, konkret also 4607 Stimmen.
Das gab’s schon
Der erste Bürgerentscheid im Kreis Siegen-Wittgenstein richtete sich gegen den vom Kreistag beschlossenen Verkauf der Verkehrsbetriebe Westfalen-Süd (VWS). Die Abstimmung im Dezember 2003 endete mit einer Niederlage für die Initiative „Pro VWS“: Zwar hatten 96 Prozent der Teilnehmenden mit „Ja“ gestimmt, das waren aber nur knapp zehn Prozent der Einwohnerschaft – gebraucht worden wären die Stimmen von mindestens 20 Prozent.
In Hilchenbach wurde 2004 ein Bürgerbegehren gegen den Beschluss des Rates begonnen, den Kraemerschen Park für den Neubau eines Discountmarktes zu verkaufen. Der Rat wies das Begehren als unzulässig zurück, weil der Beschluss bereits ausgeführt war: Am 31. März hatte der Rat den Verkauf des Grundstücks neben dem Gerberpark-Einkaufszentrum beschlossen, am gleichen Tag war mit der Unterschriftensammlung des Bürgerbegehrens begonnen worden. Bereits am 1. April wurde der Grundstücksverkauf notariell beurkundet. Eine im September gewählte neue Ratsmehrheit versuchte vergeblich, die Transaktion rückgängig zu machen. Die mehrfach beklagte Baugenehmigung wurde schließlich 2006 durch das Oberverwaltungsgericht bestätigt.
2010 wurden in Siegen rund 6000 Unterschriften für den Erhalt des Löhrtor-Gymnasiums gesammelt. Der Rat wies das Bürgerbegehren als unzulässig zurück: Es sei nicht klar formuliert, ob auch kein anderes Gymnasium geschlossen werden solle. Aus Anlass der Entscheidung über den Neubau einer Mensa hatte die Verwaltung vorgerechnet, dass die Schule geschlossen und die Schülerschaft auf das Peter-Paul-Rubens-Gymnasium und das Gymnasium Auf der Morgenröthe aufgeteilt werden könnte. Der Rat beschloss, überhaupt keine Schule zu schließen.
Im November 2012 hat die Initiative „Grundschulerhalt in Anzhausen, Obersdorf und Wilden“ mehr als 3000 Unterschriften für ein Bürgerbegehren vorgelegt. Es richtete sich gegen den Beschuss des Rates, nur noch die Grundschulen in Wilnsdorf, Niederdielfen, Rudersdorf und Wilgersdorf weiterzuführen. Der Rat nahm das Begehren als zulässig an, lehnte die Forderung aber ab. Im April 2013 kam es zum Bürgerentscheid. Die 3361 Ja-Stimmen entsprachen 19,37 Prozent der Bevölkerung. Das 20-Prozent-Quorum wurde um 109 Stimmen verfehlt. Mit Nein gestimmt hatten 2975 Stimmberechtigte. Die Abstimmungsbeteiligung lag bei fast 37 Prozent.
In Wilnsdorf formierte sich Widerstand gegen die Windkraftplanung der Gemeinde. Im November 2015 wies der Rat das Bürgerbegehren als unzulässig zurück: Die Frage, ob zwischen Windrädern und Wohnbebauung ein Mindestabstand von 2000 Metern festgelegt werden soll, betreffe die Bauleitplanung, und die sei ausdrücklich von Bürgerbegehren ausgeschlossen.
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